Möbelmarkt_04.2022
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Interview mit Christophe Gazel (IPEA)<br />
Effizienz und Marktkenntnis punkten<br />
Welche Chancen bietet der<br />
Exportmarkt Frankreich<br />
deutschen Möbelherstellern?<br />
MÖBELMARKT-Chefredakteur<br />
Gerald Schultheiß fragte<br />
Christophe Gazel vom Instituts<br />
der französischen Möbelindustrie.<br />
MM: Wie stellt sich die französische<br />
Möbelindustrie auf die radikal veränderte<br />
neue Weltordnung zwischen<br />
Made in France und Nachhaltigkeit,<br />
regionalen, europäischen und globalen<br />
Produktions- und Lieferketten<br />
und den preislichen/qualitativen Verschiebungen<br />
auf dem heimischen<br />
Markt und auf ihren Exportmärkten<br />
ein?<br />
Christophe Gazel: Die französische<br />
Möbelproduktion hat in den letzten zwei<br />
Jahren von dem starken Umsatzwachstum<br />
profitiert, wobei die Hersteller von<br />
Küchen und hochwertigen Möbeln hervorragende<br />
Ergebnisse erzielt haben.<br />
Diese starke Nachfrage auf dem heimischen<br />
Markt hat die Exportdynamik<br />
deutlich gebremst. Bei gleichbleibendem<br />
Preis bevorzugen 91% der Verbraucher<br />
„Made in France“ und 43%<br />
sind bereit, für ein Produkt, das sie für<br />
ökologisch halten, mehr zu bezahlen.<br />
Diese Entscheidung für ein französisches<br />
oder ökologisches Produkt<br />
schwächt sich jedoch ab, wenn der<br />
Preisunterschied mehr als 10% beträgt.<br />
Angesichts des Preisanstiegs und der<br />
bevorstehenden Umwälzungen der Möbelindustrie<br />
in Europa wird sich der Verbraucher<br />
zwischen Freizeit oder Mobilität<br />
entscheiden müssen. Die Besinnung<br />
auf ein hochwertiges Zuhause wird voll<br />
und ganz dem mittleren und oberen<br />
Preissegment zugutekommen und viel<br />
weniger dem Discount.<br />
MM: Wie haben sich die globale Beschaffungsströme<br />
und -strukturen<br />
im französischen Einrichtungshandel<br />
im Zuge der Pandemie weiter<br />
verändert, und wo sieht dieser derzeit<br />
diesbezüglich seine Zukunft?<br />
Gazel: Der französische Markt ist sehr<br />
durchlässig für Importe, mit einer Deckungsrate<br />
von nur 25% zwischen Importen<br />
und Exporten. Trotz des starken<br />
Preisanstiegs bei Containern und der<br />
Covid-Krise in Asien blieben die französischen<br />
Einfuhren von Möbeln aus China<br />
2020 stabil und stiegen 2021 auf<br />
über 15% des Wertes der Einfuhren und<br />
mehr als 20% des Volumens. Der Anteil<br />
der Einfuhren aus China ist nun wertmäßig<br />
gleich groß wie der aus Deutschland.<br />
Die Einfuhren aus Deutschland<br />
betreffen jedoch hauptsächlich Küchen,<br />
die auf dem Vormarsch sind, und Möbel,<br />
die in Frankreich Marktanteile verlieren.<br />
China gewinnt weiterhin Marktanteile<br />
bei Kleinmöbeln, Sofas und<br />
Bettwaren. Trotz der Containerpreise<br />
wird China mit dem Krieg in der Ukraine<br />
wieder wettbewerbsfähig werden, da<br />
dies ein sehr gut organisierter Sektor<br />
für die europäischen Discounter ist.<br />
MM: Aus deutscher Sicht ist Frankreich<br />
als das seit Jahren wichtigste<br />
Möbelexport-Land bislang fast<br />
ausschließlich ein Absatzmarkt. Wo<br />
sehen Sie aus Sicht des deutschen<br />
Handels in Frankreich Chancen und<br />
Potenziale auch als neuem, alternativen<br />
Beschaffungsmarkt?<br />
Gazel: In den letzten Jahren hat<br />
Deutschland in der Möbelindustrie zugunsten<br />
Polens und der baltischen<br />
Länder an Wettbewerbsfähigkeit verloren,<br />
während es in der Küchenindustrie<br />
an Leistung gewonnen hat. Bei den<br />
Polstermöbeln nehmen Osteuropa und<br />
China eine immer stärkere Position ein.<br />
Die Pandemie und dann der Krieg in<br />
der Ukraine führen zu einer europäischen<br />
Umstrukturierung der Produktion<br />
mit starken Preissteigerungen und einem<br />
erhöhten Risiko der Verknappung<br />
von Waren, ob Komponenten oder fertige<br />
Möbel. Die Sicherung der Versorgung<br />
wird das zentrale Thema der<br />
nächsten zwei Jahre werden, noch<br />
vor den Preissteigerungen. Frankreich<br />
beginnt, nach mehr als 30 Jahren<br />
Wachstum im Massenvertrieb,<br />
in Bezug auf die Sortimentsbreite<br />
aufzuholen.<br />
MM: Und wo liegen infolge der<br />
globalen und europäischen Neuordnung<br />
der Märkte bis hin zu<br />
den massiven Preissteigerungen<br />
der Produktion in Osteuropa<br />
analog dazu auch Chancen<br />
und Perspektiven für eine ganz<br />
neue Qualität einer Zuliefer- und<br />
Produktions-Partnerschaft von<br />
deutschen Möbelherstellern und<br />
-importeuren mit ihren französischen<br />
Kollegen?<br />
Gazel: Es liegt auf der Hand,<br />
dass der mit den Lieferproblemen<br />
in Osteuropa verbundene<br />
Preisanstieg zu<br />
einer Neuordnung<br />
der industriellen<br />
Vertriebspartnerschaften führen wird,<br />
zumal alle Marken CSR-Strategien eingeleitet<br />
haben. Die Verlagerung eines<br />
Teils der Produktion nach Europa wird<br />
durch den Krieg in der Ukraine destabilisiert.<br />
Die Gestaltung der Produkte<br />
selbst wird überdacht werden müssen,<br />
um Material zu sparen und die Transportkosten<br />
zu optimieren. Das Beispiel<br />
des Erfolgs einiger deutscher Küchenhersteller<br />
in Frankreich zeigt, dass<br />
deutsche industrielle Effizienz in Verbindung<br />
mit einer guten Kenntnis des französischen<br />
Marktes hervorragende Entwicklungsmöglichkeiten<br />
bietet.<br />
MM: Frankeich ist der am stärksten<br />
discountisierte <strong>Möbelmarkt</strong> Westeuropas.<br />
Lange lag der Marktanteil<br />
über 55%. Mit der Inflation und den<br />
explodierenden Produktions- und<br />
Beschaffungskosten ziehen gerade<br />
auch im Möbeldiscount die Preise<br />
drastisch an. Wie sehen Sie die<br />
künftige Entwicklung im Discounthandel?<br />
Gazel: Es stellt sich die Frage: Welchen<br />
Platz haben die Discounter auf dem<br />
<strong>Möbelmarkt</strong> angesichts der aktuellen<br />
und zukünftigen Steigerungen? Die<br />
große Herausforderung für diese Marken<br />
besteht darin, die Versorgung mit<br />
den wesentlichen Funktionen der Wohnungsausstattung<br />
zu gewährleisten. In<br />
der jüngsten IPEA-Studie geben 64 %<br />
der Franzosen, die 2022 Möbel kaufen<br />
wollen, an, dass eine Preiserhöhung zur<br />
Stornierung oder Verschiebung ihrer<br />
Käufe führen würde. Die Konkurrenz<br />
durch gebrauchte Möbel wird zunehmen,<br />
insbesondere bei Produkten von<br />
Discountern. Im Jahr 2021 haben 1 Million<br />
Menschen gebrauchte Möbel gekauft,<br />
und für 2022 wird die Zahl auf<br />
mehr als 1,5 Millionen geschätzt. Secondhand-Verkaufsplattformen,<br />
Recyclingzentren<br />
und Spendenorganisationen<br />
werden den Discountern stark<br />
zusetzen. Angesichts all dieser Entwicklungen<br />
rücken die Bedingungen für<br />
den Kauf von Möbeln und die Verhandlungen<br />
über den Transport, einschließlich<br />
der Container, in den Mittelpunkt.<br />
Die jüngste Übernahme von 70% des<br />
Pure-Players Drawer durch But zeigt,<br />
dass eine Annäherung der verschiedenen<br />
Händlertypen gerade erst begonnen<br />
hat.<br />
MM: Und wie werden sich die pulverisierten,<br />
deutlich nach oben korrigierten<br />
Preislagen im Möbelhandel<br />
auch auf die übrigen Marktsegmente<br />
und Distributionswege im französischen<br />
Einrichtungsmarkt auswirken?<br />
Gazel: Im mittleren und oberen Preissegment<br />
ist die Preiselastizität des <strong>Möbelmarkt</strong>es<br />
stark ausgeprägt. Der Verbraucher<br />
hat keine wirklichen<br />
Richtwerte, und die durchschnittlichen<br />
Warenkörbe sind in den letzten zwei<br />
Jahren stark gestiegen. Unsere jüngsten<br />
Studien zeigen, dass die Franzosen<br />
weniger Möbel in ihrer Einrichtung<br />
wünschen, weil der Trend<br />
dahin geht, den Raum mit modularen/komponierbaren<br />
Lösungen zu<br />
gestalten. Die Rolle der Konfiguratoren<br />
nimmt bei Möbeln ebenso<br />
zu wie in der Küche. Das<br />
Entwicklungspotenzial dieses<br />
Stauraummarktes durch modulare<br />
und anpassbare Lösungen<br />
ist sehr groß und übersteigt<br />
bei weitem das<br />
derzeitige Durchschnittsbudget<br />
für Möbel in Frankreich, das<br />
nur 505 Euro einschließlich<br />
Steuern beträgt.<br />
Christophe Gazel, Generaldirektor<br />
des Instituts der französischen<br />
Möbelindustrie. Foto: IPEA<br />
MÖBELMARKT<br />
04 / 2022<br />
Markt 39