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Möbelmarkt_04.2022

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Die vielfältigen Auswirkungen des Kriegs<br />

Jan Kurth, Geschäftsführer der<br />

Verbände der Deutschen Möbelindustrie<br />

(VDM/VHK), über die<br />

vielfältigen Auswirkungen des<br />

Ukraine-Kriegs auf die deutsche<br />

Möbelindustrie …<br />

(Stand: 11. April)<br />

„Die Folgen eines Energieboykotts<br />

wären noch wesentlich<br />

gravierender – da lässt sich im<br />

weichen Talkshow-Sessel prima<br />

theoretisch fabulieren.“<br />

Fast sieben Wochen dauert der russische<br />

Angriffskrieg auf die Ukraine nun<br />

schon an. Die Bilder der Gräueltaten<br />

der russischen Armee und der gewaltigen<br />

Zerstörungen entsetzen uns zutiefst.<br />

Noch ist kein Ende des Konflikts<br />

absehbar.<br />

Der Weg der Europäischen Union, den<br />

Druck auf Putin durch verschärfte<br />

Sanktionen zu erhöhen, ist der einzig<br />

gangbare. Ein mitunter diskutierter sofortiger<br />

Energieboykott erscheint dabei<br />

zwar auf den ersten Blick schlüssig,<br />

würde aber auf den zweiten und dritten<br />

Blick massive und unübersehbare Verwerfungen<br />

auch für unsere Branche<br />

mit sich bringen, ohne am Verlauf des<br />

Krieges kurzfristig etwas zu ändern.<br />

Schon heute hat der Ukraine-Krieg spürbare<br />

Auswirkungen auf die Möbelindustrie.<br />

Die infolge der Pandemie ohnehin<br />

gestörten Lieferketten geraten durch die<br />

Sanktionen, die steigenden Energiepreise<br />

und die Logistikprobleme noch stärker<br />

unter Druck. Für unsere Hersteller<br />

bedeutet dies massive Kostensteigerungen<br />

im zweistelligen Bereich.<br />

„Die Lieferketten<br />

geraten durch die<br />

Sanktionen, die Energiepreise<br />

und die Logistikprobleme<br />

noch stärker<br />

unter Druck.“<br />

Die ökonomischen Folgen eines Energieboykotts<br />

wären noch wesentlich<br />

gravierender. Gerade für Deutschland<br />

und auch gerade für Produktionsketten,<br />

die – wie die Holzwerkstoffproduktion<br />

mit ihrem hohen Anteil an Harnstoffleimen<br />

– gasbasiert sind. Da lässt<br />

sich im weichen Talkshow-Sessel prima<br />

theoretisch einfach fabulieren, die<br />

Realität ist aber deutlich komplexer.<br />

Fallen Energielieferungen kurzfristig<br />

weg, regelt der bundesweite Notfallplan<br />

Gas eine Priorisierung bei der Versorgung.<br />

Privathaushalte und soziale<br />

wie medizinische Grundversorgung vor<br />

Industrie. Und innerhalb der Industrie<br />

stünden gasintensive Produktionsketten,<br />

die nicht systemrelevant sind, auf<br />

der Kippe.<br />

Wie angespannt die Lage jetzt schon<br />

ist, zeigt unsere jüngste Verbandsumfrage:<br />

Im Monat März waren drei Viertel<br />

der befragten Unternehmen bei ihrer<br />

Materialbeschaffung direkt oder<br />

indirekt von den Auswirkungen des<br />

Ukraine-Kriegs betroffen. Bei jedem<br />

zweiten Hersteller kam es aufgrund der<br />

Materialengpässe zu Einschränkungen<br />

„Drei Viertel der Unternehmen<br />

waren bei ihrer<br />

Beschaffung betroffen.<br />

Bei jedem zweiten kam<br />

es zu Einschränkungen<br />

oder Verzögerungen in<br />

der Produktion.“<br />

Foto: VDM<br />

oder Verzögerungen in der Produktion.<br />

Dabei sind die Polstermöbelhersteller<br />

überdurchschnittlich stark betroffen.<br />

Die größten Beschaffungsschwierigkeiten<br />

bestehen für die deutsche Möbelindustrie<br />

derzeit beim Einkauf von<br />

Holzwerkstoffen, wie die Umfrage ergeben<br />

hat. Erhebliche Engpässe gibt<br />

es zudem bei Massivholz, Furnieren,<br />

Federholzleisten und Schichtholz sowie<br />

bei Komponenten aus Metall.<br />

Neben den steigenden Material- und<br />

Energiepreisen bereitet zudem das<br />

Thema Logistik große Sorgen. Etwas<br />

mehr als die Hälfte der von uns befragten<br />

Möbelhersteller berichtet, dass die<br />

Logistikkapazitäten seit dem Ausbruch<br />

des Ukraine-Kriegs nochmals knapper<br />

geworden sind.<br />

Durch den Krieg hat sich der Fahrermangel<br />

weiter verschärft. Viele Lkw-<br />

Fahrer, die für Speditionen im internationalen<br />

Verkehr tätig sind, stammen<br />

aus der Ukraine. Mehr als 100.000<br />

ukrainische Fahrer könnten zum<br />

Kriegsdienst eingezogen werden,<br />

schätzt der Bundesverband Güterverkehr,<br />

Logistik und Entsorgung.<br />

Stark zu schaffen macht unserer Branche<br />

zudem die Pandemie. Zwei Drittel<br />

der befragten Unternehmen waren im<br />

März von größeren Personalausfällen<br />

aufgrund von Corona-Infektionen oder<br />

Quarantäne betroffen. Im Vergleich zur<br />

vorherigen Umfrage aus dem Januar<br />

stellt sich die Situation damit deutlich<br />

angespannter dar.<br />

„Ganz besonders sind<br />

wir in dieser Ausnahmesituation<br />

auf ein faires<br />

Miteinander innerhalb<br />

der gesamten Branche<br />

angewiesen.“<br />

Angesichts der extremen Rahmenbedingungen<br />

überrascht es wenig, dass<br />

das Geschäftsklima in der Möbelindustrie<br />

im März eingebrochen ist. Die<br />

Einschätzung der aktuellen Lage verschlechterte<br />

sich laut ifo-Institut leicht,<br />

die Geschäftserwartungen deutlich.<br />

Die negative Tendenz betrifft alle Segmente,<br />

wenn auch die Stimmung in der<br />

Küchenindustrie etwas besser zu sein<br />

scheint als in den anderen Sparten.<br />

Auch bei den Verbrauchern hat sich die<br />

Stimmung im März infolge des Kriegs<br />

und der Inflation spürbar eingetrübt.<br />

Unsere Hersteller unternehmen derzeit<br />

alle Anstrengungen, um bestmöglich<br />

und flexibel mit den vielen Herausforderungen<br />

umzugehen: Prozesse werden<br />

optimiert, die Materialbeschaffung<br />

standortnäher organisiert, Lagerkapazitäten<br />

ausgebaut, die Digitalisierung<br />

vorangetrieben. Ganz besonders sind<br />

wir in dieser Ausnahmesituation aber<br />

auf ein faires Miteinander innerhalb der<br />

gesamten Branche angewiesen.<br />

Ihr Jan Kurth<br />

48 Markt<br />

MÖBELMARKT<br />

04 / 2022

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