Melange No25
Melange No25 - das Magazin im Süden Bayerns
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KUNST IST LEBEN<br />
LEBEN IST KUNST<br />
„Es entsteht ein schöner Bruch",<br />
sagt Bockemühl,<br />
„ein Kontrapunkt, ein Hyperimage.<br />
Das ist ein ganz neues Projekt,<br />
das kennen wir so noch nicht."<br />
Die Worte sprudeln aus ihr heraus<br />
wie die Farbe auf die Leinwand.<br />
Gerade sind in Bockemühls Atelier einige Kartons voller „LebensStücke" als Fine-Art-Prints angekommen,<br />
die sie für die kommenden Ausstellungen mitsamt Lesung braucht. Die Künstlerin geht<br />
durch den kunterbunten Raum und drapiert die Kunstwerke im Kleinformat auf Staffeleien. Zu<br />
jedem einzelnen davon gäbe es viel zu erzählen. Neben dem beklecksten Tisch steht zum Beispiel das<br />
Bild „Paulchen mit Pommes", auf dem ein Bub ganz vertieft und unbeeindruckt Pommes Frites isst,<br />
während hinter ihm ein Polo-Turnier läuft. Das hat Bockemühl auf Sylt gesehen. Auch Zeitgeschichte<br />
ist dabei. Etwa die Queen mit dem Titel „The End of Eternity". Und auch Kühe fehlen nicht.<br />
Hand in Hand am Strand<br />
Bei einem Bild gehen die Wahrnehmungen von Bockemühl und Still besonders weit auseinander.<br />
Ein Mann steht Hand in Hand mit seinem Sohn am Strand. Umrahmt von einem schwarzen Rand.<br />
Bockemühl hatte beim Malen eine „positive Stimmung", erzählt sie. Sie taufte das Gemälde „Wie<br />
viel Vertrauen passt in eine Hand?" Ganz anders Sonja Still. Sie betrachtete das Bild, während sie<br />
von den Massengräbern in Isjum in der Ukraine erfuhr. Es wurde eine düstere Geschichte, die sie<br />
in dem Bild erkannte. „Da musste ich schlucken", gibt Bockemühl zu.<br />
„Aber ich sage ,ja‘. Ich kann das annehmen. Der Text passt dazu, obwohl er verstörend ist." Das Bild mache<br />
so einen ganz anderen Sinn.<br />
Gorbis Lebkuchen<br />
Eines der „LebensStücke" ist eine Ausnahme. Hier entstand die Geschichte vor dem Bild. Es ist<br />
ein Gemälde von Michail Gorbatschow, das Bockemühl zum Tod des großen Staatsmannes geschaffen<br />
hat. Unten rechts vor seinem Portrait hat sie einen kleinen Jungen mit einem Lebkuchen<br />
gemalt. Die Geschichte dahinter erzählte ihr Sonja Still. Diese hatte in ihrer Zeit als Fernseh-Reporterin<br />
Gorbatschow in Moskau interviewt. Der hatte ihr damals Folgendes erzählt: Als Kind,<br />
während des Krieges, bekam er von einer deutschen Frau einen Lebkuchen mit Schokoladenglasur<br />
geschenkt – die erste Schokolade seines Lebens. Da habe er sich gedacht: Wenn ihm im Krieg, wo<br />
niemand etwas hat, eine Deutsche Schokolade schenkt, dann können nicht alle Deutschen schlecht<br />
sein. „Vielleicht", sagt Sonja Still, „hat uns dieser Moment die Wiedervereinigung geschenkt." Eine kleine,<br />
große Geschichte.<br />
Nun soll es weitergehen mit den „LebensStücken" – auch nach Corona. „Wir machen es so lange, wie<br />
es den Leuten Freude macht", sagt Bockemühl. „Corona ist abgeschafft, aber wir haben überlebt", sagt Still<br />
und lacht.<br />
Alles ist eins<br />
Aber ob nun Corona oder nicht. Sabina Bockemühl will die Leute immer „mitziehen", „einen kraftvollen,<br />
positiven Flow erzeugen". Der Schlüssel dazu: Für Bockemühl, seit 1990 glücklich verheiratet,<br />
Mutter zweier Kinder und frischgebackene Oma, gibt es kein Berufs- und Privatleben. „Es ist<br />
alles eins", sagt sie. Es gibt keinen Arbeits- und keinen Feiertag. Die Künstlerin geht jeden Tag ins<br />
Atelier. Und wenn sie verreist, dann hat es immer auch mit Kunst und Kultur zu tun. Viel Zeit verbringt<br />
sie auch in ihrem Atelier auf Mallorca, wo ihr Vater lebt. „Das ist meine zweite Heimat", sagt<br />
sie. Neben schöner Landschaft und Architektur gibt es dort übrigens noch ein ganz besonderes,<br />
Bockemühlsches Motiv: die mallorquinische Kuh.<br />
Das Buch mit 55 „LebensStücken" ist Mitte Januar erschienen. Hinten im Buch finden sich<br />
die Texte auch auf Englisch.<br />
Das „MUSEUM FÜR ZEITGENÖSSISCHE KUNST – DIETER KUNERTH" in Ottobeuren<br />
zeigt das Projekt vom 3. Februar bis 16. April 2023.<br />
Vom 6. Juli bis 15. August ist es im „WAITZINGER KELLER, Kulturzentrum Miesbach" zu sehen.<br />
Autorin: Nina Gut I Fotos: Harry Stahl<br />
LebensStücke<br />
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