Aufsätze - GWDG
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Katalog<br />
nier, Nebukadnezar II., eine Strafexpedition. Unter seiner Führung wurde Jerusalem verwüstet und<br />
die Oberschicht entführt, um sie in Babylonien wieder anzusiedeln. Dem biblischen Bericht zufolge<br />
hatte Gott den Propheten Jeremias bereits vorher darüber in Kenntnis gesetzt, dass er das Verhalten<br />
der Israeliten nicht gutheiße und sie entsprechend bestrafen werde, sollten sie nicht wieder auf den<br />
rechten Weg zurückfinden. Diese Botschaft versuchte Jeremias daraufhin vergeblich mit seinem<br />
Schüler Baruch in Jerusalem zu verbreiten. 284<br />
Man kann den Schaffensprozess der Wegführung der Juden in die babylonische Gefangenschaft 285 in drei<br />
Schritten nachvollziehen. Vor 1865 entstand ein Karton, der bereits wesentliche Elemente des späteren<br />
Bildes zeigte (Abb. 52). 286 1865 legte Bendemann als Zwischenschritt „eine umfangreiche und<br />
ausgeführte Farbenskizze“ vor (Abb. 23). 287 Bis 1872 entstand schließlich die endgültige Fassung, die<br />
nach ihrer Fertigstellung zuerst in Bendemanns Atelier in Düsseldorf zu sehen war (Abb. 26). 288<br />
Noch im selben Jahr wurde sie auf der Akademieausstellung in Berlin gezeigt 289 und ein Jahr später<br />
auf der Wiener Weltausstellung. 290 Ab 1876 hing das Gemälde im Treppenhaus der Nationalgalerie in<br />
Höhe des dritten Geschosses. 291 1886 wurde es in die Eingangshalle verbracht, um 1917 wieder an<br />
seinen ursprünglichen Hängungsort zurückzukehren. 292 1937 wurden die großformatigen Historienbilder<br />
im Treppenhaus abgenommen und ins Depot verlegt. 293 Dort lagerte das Gemälde aufgerollt<br />
zusammen mit vier weiteren Bildern. Erst 2007 wurde es wieder entdeckt, nachdem es zwischenzeitlich<br />
als verschollen galt. 294<br />
Bereits auf dem Karton hat Bendemann den Grundaufbau zu seiner Bildkomposition gefunden.<br />
Der imaginäre Raum erfährt seine Gliederung durch eine bildparallel verlaufende Brücke, deren obere,<br />
horizontale Kante die Mittelachse des Bildes markiert. Auf der rechten Seite fluchtet eine gemauerte<br />
Böschung auf diese Brücke zu. Kompositorisch nutzt Bendemann die Brücke, um sein Bild in<br />
zwei Register aufzuteilen. Unterhalb der Brücke spielt sich das Geschehen im Vordergrund ab. Hier<br />
gruppieren sich um Jeremias die in Jerusalem verbliebenen Personen. Sich von diesen lösend, beginnt<br />
von hier aus der Zug der weggeführten Israeliten, der im unteren Bildregister von rechts nach links<br />
führt. Männer wenden sich auf dem Weg ins Exil noch einmal zu Jeremias um und zeigen anklagend<br />
auf den Propheten. Links im Bild steigt der Strom der Gefangenen in einer Kehrtwendung zur zweiten<br />
Bildebene auf, wo er nach rechts weiterzieht. An dessen Spitze, hinter dem Streitwagen Nebukadnezars,<br />
schreitet König Zedekia. Nebukadnezar ließ ihn blenden, weswegen er, von einem Kind<br />
gestützt, einen Stock tastend vor sich hält. Darüber – räumlich dahinter – zeigt Bendemann in der<br />
linken oberen Bildecke die Zerstörung des Tempels sowie den Raub der Bundeslade. Umgeben von<br />
weiß gewandeten Leviten, die von einem Kamelreiter angeführt werden, wird sie davongeschafft.<br />
Darunter – räumlich davor – überfängt der auf die Bildmittelachse ausgerichtete Brückenbogen<br />
die zentrale Gestalt des Propheten Jeremias und hebt diese wirkungsvoll heraus. Während die durchgehende<br />
Horizontale der Brückenoberkante die Dynamik der über diese hinwegziehenden Israeliten<br />
steigert, umschließt und fixiert die statische Form des Bogens darunter die in Jerusalem Verbliebenen.<br />
Hier sitzt der Prophet, an einen Steinblock gelehnt, und reagiert gebärdenreich auf die Anklagen<br />
von links. Er ist von weiteren Trauernden umgeben, unter denen sich auch Jeremias’ Schüler Baruch<br />
befindet. Die Hände auf den Oberschenkel gelegt, hockt er unter dem ausgestreckten Arm seines<br />
Lehrers. Auf der anderen Seite des Blocks kauert eine Mutter, Schutz suchend, mit ihrem Kind in<br />
einem Schlupfwinkel. Zu Füßen des Propheten liegt eine leblose Person, deren linker Arm den Bildrand<br />
berührt und damit den Vordergrund verortet.<br />
Genau auf der Brücke, an der Spitze des Zuges der Exulanten, fährt der König der Babylonier in<br />
gebieterischer Pose auf einem Streitwagen. Seine Person befindet sich zusammen mit Jeremias auf<br />
284 Donner 1995, Bd. 2, S. 402-413; vgl. auch Jeremia 36-52.<br />
285 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Christian Scholl: „Später Orientalismus“ in diesem Band.<br />
286 Schwarze und farbige Kreide, weiß gehöht auf braunem Papier, auf Leinwand aufgezogen, graugrün laviert, 790 x 1240<br />
mm, Düsseldorf, Museum Kunstpalast, Inv. Nr. 1919/821, siehe: Ausst. Kat. Düsseldorf 2011/12, Bd. 2, S. 148-150.<br />
287 Dioskuren 1865, S. 416, Abb. 11; Eintrag in den Listen der Düsseldorfer Kunstakademie für das Studienjahr 1864/65<br />
unter Bendemann: „Farbenskizze der Wegführung in die babylonische Gefangenschaft.“ Regierung Düsseldorf, Präsidialbüro,<br />
Nr. 1560, Bl. 277, HStA Düsseldorf, zitiert nach: Krey 2003, S. 174.<br />
288 Krey 2003, S. 174.<br />
289 Dioskuren 1872, S. 265.<br />
290 Bringmann 1982, S. 320.<br />
291 Krey 2003, S. 174.<br />
292 Ebd.<br />
293 Wesenberg/Bertz 2008, S. 23.<br />
294 Ebd.