Aufsätze - GWDG
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188<br />
Katalog<br />
Lauschende“. Außen schlossen sich „Knechte des Sinnengenusses“ und „Unerweckte Kinder dieser<br />
Welt“ 328 an.<br />
In der Mittelachse der Lünettenreihe befand sich jeweils eine Darstellung, die thematisch ausbrach.<br />
Bendemann markierte dies, indem er den Bildmodus änderte: Während die seitlichen Lünetten<br />
im Hintergrund jeweils Rankenwerk zeigten, blieben die mittleren Felder hiervon ausgespart.<br />
Auf der Südseite – über den Durchgang zum Kuppelsaal – war eine Darstellung zu sehen, die mit<br />
der Inschrift „Mit dem Genius ist die Natur in ewigem Bunde“ versehen war. Dabei handelt es sich<br />
um ein abgewandeltes Zitat aus Friedrich Schillers Gedicht Columbus. 329 Dem Bild, zu dem sich im<br />
Museum Kunstpalast in Düsseldorf ein Entwurf erhalten hat, kam ein programmatischer Charakter<br />
zu, so dass sich hier eine genauere Betrachtung lohnt. 330 Auf einer steinernen Tafel mit der besagten<br />
Inschrift saßen, zu beiden Seiten hingestreckt und die Gesichter einander zugewandt, eine halbnackte<br />
Frau als Personifikation der Natur und der im Bildprogramm immer wieder auftauchende geflügelte<br />
Genius mit der Lyra. Der als Rückenakt wiedergegebene Genius war dabei dargestellt, wie er „die<br />
Natur“ entschleierte. Die Geschlechterverteilung ist für die Denkweise der Zeit bezeichnend: Die<br />
aktivische Künstlerrolle wurde dem Mann zugesprochen, während die Frau für das passiv Naturhafte<br />
stand und dementsprechend auch nicht mit Flügeln versehen war. Tatsächlich stützte sich Bendemann<br />
bei dieser Bildidee auf eine Formulierung von Peter Cornelius selbst. Als er am 7. August 1862<br />
in Düsseldorf das Porträt von Cornelius zeichnete, schrieb dieser darunter die Zeilen: „Die Natur ist<br />
die Frau, der Genius der Mann“. 331 Auf der erhaltenen Vorzeichnung zu „Genius und Natur“, die<br />
dementsprechend zur Manifestation des Kunstverständnisses des in diesem Saal ausgestellten Malers<br />
wird, hat Bendemann diese Formulierung noch einmal niedergeschrieben. 332<br />
Auf der gegenüberliegenden Seite zeigte die Lünette eine Gruppe von drei geflügelten Kinderfiguren,<br />
welche das Namensschild „Peter von Cornelius“ hielten. Die Darstellung befand sich genau<br />
über dem Durchgang vom ersten zum zweiten Cornelius-Saal. Während das mittlere, frontal dargestellte<br />
Kind in Handwerkerkleidung wohl Cornelius selbst verkörperte, reichten die beiden begleitenden,<br />
nackt dargestellten Kinder diesem Kränze. Neben dem Kind auf der linken Seite stand eine<br />
Palette, die es als Allegorie der Malerei auswies. Sein Gegenüber hatte eine Art Zange zum Heben<br />
von Steinen bei sich, die auf Bildhauerei oder (was wahrscheinlicher ist) auf Architektur hindeutete.<br />
Dass Malerei und Architektur Peter Cornelius huldigten, entsprach durchaus dem Leitbild von Cornelius,<br />
Malerei und Architektur in Verbindung zu bringen.<br />
Es war dieses bewusst auf eine heteronome Kunst zielende, von der Romantik geprägte Leitbild,<br />
welches Großprojekte wie den Campo Santo für Berlin getragen hatte. Die Übertragung der Kartons<br />
zu den unausgeführt gebliebenen Campo-Santo-Fresken in die Berliner Nationalgalerie bezeichnet<br />
einerseits das Scheitern dieser Idee; andererseits wirkte diese in der spezifischen Art der Musealisierung<br />
in der Nationalgalerie auch weiter. So konnte Bendemann mit einem eigenen Bildprogramm<br />
aufwarten, das in den geradezu sakral aufgeladenen Cornelius-Sälen neue Zusammenhänge für die<br />
Kartons stiftete.<br />
Kunsthistorisch stellten diese Säle mit ihrer Ausmalung und den hier präsentierten Exponaten sicher<br />
kein Dokument einer künstlerischen Avantgarde dar. Vielmehr manifestierte sich in ihnen der in<br />
die Defensive geratene Anspruch eines um 1800 entwickelten, dezidiert idealistischen Kunstkonzeptes<br />
auf fortgesetzte Gültigkeit. Daher gerieten die Räume auch bald nach ihrer Fertigstellung in die<br />
Kritik, die sich sowohl gegen die zentrale Stellung spätnazarenischer Kartonkunst in der Nationalgalerie,<br />
als auch gegen Bendemanns farblich zurückhaltende Ausmalung wendete. Um die Kartons<br />
nicht zu überstrahlen, hatte Heinrich Strack, der Architekt der Nationalgalerie, eine gedämpfte „oliven-graue“<br />
Wandfarbe für die Cornelius-Säle durchgesetzt. 333 Nach der Eröffnung rügte etwa der<br />
Kritiker Adolf Rosenberg den „trüben Eindruck, den farblose Kartons immer machen werden“ und<br />
kritisierte die Raumgestaltung: „Man stelle sich vor: grauschwarze Zeichnungen auf im Laufe der<br />
328 Zu dieser Darstellung hat sich im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin ein Aquarell erhalten: Achenbach<br />
2007, S. 69-71, Z 47.<br />
329 Schiller 1983, S. 321: „Mit dem Genius steht die Natur in ewigen Bunde; / Was der eine verspricht, leistet die andre<br />
gewiß.“ Gemeint ist keine gleichrangige Beziehung zwischen Genius und Natur, sondern die Verheißung, dass die Natur<br />
dasjenige erfüllen werde, was der Genius in sie hineinprojiziere: So habe Columbus die Küste imaginiert, bevor sich<br />
diese tatsächlich zeigte.<br />
330 Vgl. Ricke-Immel 1978/80, Bd. 1, S. 49, Nr. 123.<br />
331 Vgl. ebd., S. 49.<br />
332 Vgl. ebd.<br />
333 Vgl. Dorgerloh 1999, S. 148.