Aufsätze - GWDG
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Christian Scholl<br />
reaktiviert hatte. 81 Es waren diese Bilder, die Bendemann in den 1830er Jahren berühmt gemacht<br />
hatten. In ihrer Grundanlage folgen sie den klassischen Kompositionsprinzipien der italienischen<br />
Renaissance. Dabei ist die Affektdarstellung weitgehend gebändigt. Franz Kugler schreibt in der<br />
Zeitschrift Museum von 1836, dass in Bendemanns Bildern alles enthalten sei,<br />
„was unser Herz verwunden und zum innigsten Mitgefühle hinreissen kann, - und doch ist über das Ganze und<br />
über die einzelnen Gestalten jener unergründliche Hauch der Schönheit, jene Reinheit und Seelengrösse ausgegossen,<br />
die auch das Anschauen des Schmerzes und des Leidens zum edelsten Genusse umgestaltet. Das furchtbare<br />
Elend, welches sich hier unsern Blicken entfaltet, wird nirgend grässlich, nirgend beklemmende Pein; die Erinnerung<br />
an dasselbe vermag es nicht, die Träume unsrer Nächte zu vergiften, sie gibt im Gegentheil unserm<br />
Gemüth Ruhe, unsern Gedanken und Empfindungen Klarheit und Würde.“ 82<br />
Es ist für ein Verständnis der immensen Wirkung von Bendemanns frühen Werken überaus bedeutsam,<br />
dass deren Erfolg wesentlich durch die ästhetische Beruhigung mitbestimmt wurde. Auf<br />
diese Weise entsprachen sie sowohl dem klassizistischen Autonomieideal, indem sie die ästhetische<br />
Unabhängigkeit des Betrachters nicht in Frage stellten, als auch der romantischen Kunsttheorie mit<br />
ihrer Forderung nach einer inhaltlich aufgeladenen, diskursiven Kunst. 83 Die für die 1830er Jahre<br />
erreichte Konsensfähigkeit der Gemälde war gerade für Darstellungen trauernder Juden von großer<br />
Bedeutung, sicherte sie doch eine breite Akzeptanz in einer Zeit, die einerseits von der Emanzipation<br />
der Juden geprägt war, andererseits aber auch von wachsendem Antisemitismus. So schreibt<br />
etwa Hermann Püttmann in seinem 1839 veröffentlichtem Buch Die Düsseldorfer Malerschule und ihre<br />
Leistungen seit der Errichtung des Kunstvereins im Jahre 1829:<br />
„Bendemanns Judenbilder sprechen ein tiefernstes Wort hinein in die Tagesdebatten über Emancipation des unglücklichen<br />
Volkes, und wenn es wahr ist, daß die Kunst Einfluß auf Culturfortschritte haben kann, wie es denn<br />
zu hoffen und auch zu glauben ist, so könnten diese Bilder statt des besten Plaidoyer dienen. Vielleicht war dies<br />
nicht einmal der Nebenzweck des Künstlers, aber kein gefühlvoller Zuschauer wird ohne tiefes Mitleiden die trüben<br />
trotzigen Gestalten der exilirten Juden betrachten, und seine Wünsche um Befreiung der jahrtausendlang<br />
Mißhandelten zum Himmel senden; keine poetische Arbeit moderner Juden hat nur im Entferntesten eine ähnliche<br />
Wirkung: den Schmerz des Volkes wahr ins Leben treten zu lassen, hervorgebracht, und die Klagen des Juden<br />
Joel Jacoby z.B., in ihrem modern süßlichen Castratenton stehen im Vergleich zu dem Jeremias wie ein Marionettenspiel<br />
zu einer Sophokleischen Tragödie.“ 84<br />
Bedeutsam ist hier nicht zuletzt der Vergleich mit dem Schriftsteller Joel Jacobi. Dessen Klagen eines<br />
Juden von 1837 bilden nämlich eines der wichtigsten literarischen Beispiele für die Orientalisierung<br />
jüdischer Themen. 85 Bendemann beteiligt sich zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht an einer<br />
solchen Orientalisierung. Seine Gefangenen Juden und sein Jeremias weisen zwar vereinzelt orientalisierende<br />
Motive auf – etwa mit der Palmenstaffage oder der Kleidung. Insgesamt folgen sie jedoch<br />
weitaus stärker dem Vorbild der italienischen Hochrenaissance. Dieser klassisch-klassizistische Gesamteindruck<br />
– und die Malerei der italienischen Renaissance bildet schon bei Winckelmann das<br />
Äquivalent zur Skulptur der griechischen Antike 86 – ist gemeint, wenn Püttmann von Sophokleischer<br />
Tragödie statt süßlichem Kastratenton spricht. Für den immensen Erfolg der beruhigten, auf<br />
klassische Allgemeingültigkeit hin angelegten Bilder war der weitgehende Verzicht auf Orientalismen<br />
grundlegend.<br />
Nun sollte sich das, was sich für die Rezeption der Bilder in den 1830er Jahren gerade als Vorteil<br />
erwiesen hatte, schon bald darauf umkehren. Dies ist entscheidend, um zu verstehen, weshalb<br />
Bendemann bei seinem späten Gemälde Die Wegführung der Juden in die babylonische Gefangenschaft zu<br />
ganz neuen Bildmitteln griff. In der Zeit des Vormärz kam es zu einem grundlegenden Wandel der<br />
Vorstellungen zur Funktions- und Wirkungsweise von Kunstwerken. Bis dahin – und noch bei<br />
Kugler klingt dies nach – stand die klassische Beruhigung in Verbindung mit einem Freiheitsideal,<br />
indem sie eine Betrachterautonomie konstituieren sollte. Friedrich Schillers Konzept der ästheti-<br />
81 Vgl. u. a. Pecht 1881, S. 284: „Bezeichnend für die Macht des Blutes in dem Künstler ist, daß er nach vierzig Jahren<br />
wieder auf dieses Thema zurückkam, überhaupt, obschon er entschieden auf christlich religiösen Standpunkte steht,<br />
seine Stoffe nie dem neuen, sondern immer nur dem alten Testamente entnahm. / Auch hier bildet der klagende Jeremias<br />
wiederum den Mittelpunkt der ganzen figurenreichen Composition.“<br />
82 Kugler 1836, S. 138.<br />
83 Zur grundsätzlichen Unterschiedlichkeit dieser Kunstkonzepte vgl. Scholl 2007, S. 39-53.<br />
84 Püttmann 1839, S. 44f.<br />
85 Vgl. Wittler 2010, S. 32. Für den Hinweis auf diesen Beitrag danke ich herzlich Andrea Polaschegg, Berlin.<br />
86 Vgl. Winckelmann 2002 [1764], S. 46 u. 48.