Aufsätze - GWDG
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Bendemanns Lehrer zeichnet 39<br />
Generell entspricht die Anordnung der Figuren auf der Zeichnung nicht der Komposition auf<br />
dem Gemälde. Dies ist für Studien dieser Art, welche sich von Schadow in größerer Zahl erhalten<br />
haben, durchaus charakteristisch. 17 Auch stilistisch passt das Blatt in dessen Œuvre. Es gibt daher<br />
kein Argument, das dagegen spricht, im Göttinger Blatt eine vorbereitende Zeichnung von Wilhelm<br />
Schadows eigener Hand für das mittlerweile in Antwerpen befindliche Gemälde zu sehen. Hierfür<br />
spricht auch das Quadratraster, das der maßstäblichen Übertragung der Einzelstudien auf den Gemäldegrund<br />
diente. 18<br />
Nun, da man die Zeichnung einem Gemälde zuordnen kann, ergeben sich neue Informationen<br />
über die Zusammenhänge, in denen das Blatt entstanden sein muss. Bei Schadows großformatigem<br />
Gemälde Caritas - es misst 167 x 122 cm und zeigt seine Figuren mithin in Lebensgröße – handelt<br />
es sich nämlich um ein seinerzeit vielbeachtetes Werk. 19 Für den Künstler nahm es auch biographisch<br />
eine Schlüsselstellung ein: Es entstand im Jahre 1828, als sich der Maler gerade in Düsseldorf<br />
als Nachfolger von Peter Cornelius etabliert hatte. Die Vorplanungen gehen bis in die Berliner<br />
Zeit zurück. Ikonographisch entspricht die Darstellung der theologischen Tugend der Gottes- und<br />
Nächstenliebe als Frauengestalt mit umgebenden, überwiegend auf ihrem Schoß platzierten Kindern<br />
einer seit der Renaissance etablierten Bildtradition. Diese orientierte sich nicht zuletzt an antiken<br />
Tellus-Darstellungen und betonte bei der Caritas vor allem den Aspekt der mütterlichen Liebe.<br />
20 Wichtig ist die Verbindung von Fülle und Herzlichkeit, mit welcher der reichhaltige und umfassende<br />
Charakter dieser Liebe veranschaulicht wird – bei Schadow reicht der Schoß gar nicht aus,<br />
die Schar zu tragen, so dass die Steinbank als zusätzliche Stütze eingesetzt werden muss. Hier<br />
kommt das Motiv des über diese Bank ausgebreiteten Mantels zum Tragen, das sich in der Gewandstudie<br />
der Göttinger Zeichnung ausgearbeitet findet.<br />
Schadow folgt aber mit seinem Bild nicht einfach nur einer älteren Tradition. Vielmehr erhält<br />
dieses eine zusätzliche, geradezu privatikonograhische Bedeutung, indem es sich bei der Caritas, wie<br />
Quellen nahelegen, um eine porträtähnliche Darstellung seiner Gattin Charlotte Schadow geb.<br />
Groschke handelt. 21 Der Künstler hatte 1823 die Tochter des Leibarztes des letzten Herzogs von<br />
Kurland geheiratet. Athanasius Graf Raczynski äußert sich hierzu in seiner Geschichte der neueren deutschen<br />
Kunst von 1836: „Mit dieser Heirath wurde seine Bestimmung entschieden. Seine Gattin brachte<br />
ihm Vermögen zu; zwei liebliche Kinder verschönen ihr Dasein und verheißen ihnen viel Freude<br />
für ein späteres Alter“. 22<br />
Es ist durchaus überlegenswert, ob es sich bei zwei der vier im Bild gezeigten Kinder ebenfalls<br />
um Porträts aus der eigenen Familie handelt. Der Künstler hat Sophie (geboren 1824) und Rudolf<br />
Gottfried Schadow (geboren 1826) zwei Jahre später in einem Doppelbildnis gemalt (Abb. 5). Vergleicht<br />
man dieses Gemälde mit der Caritas, so fallen gewisse Ähnlichkeiten auf: der im Zentrum<br />
liegende, auch auf der Göttinger Zeichnung dargestellte Knabe könnte Rudolf sein, der 1828 zwei<br />
Jahre alt war. Dessen ältere, 1828 vierjährige Schwester Sophie wiederum könnte in dem Mädchen<br />
porträtiert sein, dass sich – auf der Bank stehend – von rechts an die zentrale mütterliche Figur<br />
anschmiegt.<br />
In jedem Fall handelt es sich bei dieser Caritas um ein allegorisches Porträt, das durch einen<br />
privaten Kontext zusätzlich aufgeladen ist. Dies wiederum ist durchaus charakteristisch für die Malerei<br />
der Nazarener, welche Wilhelm Schadows entscheidend geprägt hat. Die Kunsttheorie der<br />
Romantik ermöglichte neuartige Verbindungen von Persönlichem und Allegorischem, welche gerade<br />
von den Nazarenern aufgegriffen wurden. 23 Dabei ging es um eine wechselseitige Potenzierung<br />
von allgemeinem, ikonographisch aufgeladenem Typus und persönlichem Hintergrund. Im Fall der<br />
Caritas zelebriert Schadow im Bild der Nächstenliebe sein eigenes Ehe- und Familienglück, welches<br />
17 Vgl. etwa Wilhelm Schadow: Gewandstudien, Bleistift, weiße Kreide und Tusche auf grauem Papier, 274 x 317 mm,<br />
Düsseldorf, Künstlerverein Malkasten (KVM Schadow 164) – vgl. hierzu Ausst. Kat. Bonn 1992, S. 49, 72, 79. Zum<br />
Zeichenstil Schadows nach seiner Rückkehr aus Rom vgl. Grewe 1998, Teil 1, S. 151-153.<br />
18 Ein derartiges Raster findet man bei Schadow etwa auf der Studie zu einer Draperie einer stehenden männlichen Figur – Studie<br />
zum Christus für das Gemälde Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen, Schwarze Kreide und Bleistift, mit<br />
weißer Kreide gehöht, 400 x 262 mm, Düsseldorf, Künstlerverein Malkasten (vgl. Ausst. Kat. Düsseldorf 2011/12,<br />
Bd. 2, S. 138f., Kat. Nr. 100). Dagegen taucht es in keiner bekannten Zeichnung Bendemanns auf.<br />
19 Zu Schadows Gemälde Caritas vgl. u. a. Mai 1977, S. 23; Grewe 1998, Teil 2, S. 129-132.<br />
20 Vgl. Boskovits/Wellershoff 1968, Sp. 351.<br />
21 Vgl. die Auflistung bei Püttmann 1839, S. 88: „Charitas 31. ([...]. Gattin des Malers)“.<br />
22 Raczynski 1836, S. 140.<br />
23 Vgl. etwa das Sulamith-und-Maria-Projekt von Franz Pforr und Friedrich Overbeck. Vgl. hierzu u.a. Büttner 2002, S.<br />
29-33; Grewe 2009a, S. 61-98.