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Aufsätze - GWDG

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Verbrechen und Gnade 47<br />

Anmerkungen zur Bildstruktur<br />

In seiner formalen Durchführung als monumentales Wandbild folgt Der Tod Abels Prinzipien der<br />

Wandmalerei, wie sie seit der Zeit Raffaels ausgebildet worden waren. Der stilistische Rekurs auf<br />

die Hochrenaissance, auf Figurenstil und Kolorit des späten Raffael, gehorcht dem decorum des Ortes<br />

und des Bildes mit seinem ernsten Thema, das letzte Dinge berührt. Es handelt sich um einen<br />

moralisch hochstehenden Gegenstand auf der textlichen Grundlage des Alten Testaments, der<br />

durch Ernsthaftigkeit und kontrolliertes Pathos gekennzeichnet ist. Diese Strenge spiegelt auch die<br />

formale Machart der Komposition: Das Bild ist vollkommen symmetrisch aufgebaut und besitzt<br />

eine klare Mittelachse, die von dem toten Abel, dem Opferalter und dem darüber frontal in der<br />

Wolkenzone thronenden Jahwe gekennzeichnet ist. Zugleich wird zwischen irdischer und himmlischer<br />

Sphäre deutlich unterschieden. Das Geschehen verteilt sich in der irdischen Zone gleichermaßen<br />

auf die rechte und linke Seite, dieses ausgeklügelte Equilibrium der beiden Bildhälften erinnert<br />

wohl kaum ohne Grund an die austarierte Balance der Waagschalen der Iustitia, wie sie aus der<br />

allegorischen Bildtradition bekannt ist. Mehr noch liegt in der strengen Symmetrie und kompositorischen<br />

Fokussierung auf die Gottesfigur in der Bildmitte aber auch der Grund, dass das Gemälde<br />

auf den ersten Blick wie eine Darstellung des Jüngsten Gerichts wirken mag und damit idealiter an die<br />

im Rechtskontext verbreitete Weltgerichtsikonographie anschließt, wie sie im spätmittelalterlichen<br />

Nordeuropa im profanen Kontext der Rathäuser in Brüssel, Löwen, Brügge, Maastricht, Augsburg,<br />

Basel, Lüneburg und an anderen Orten Verwendung gefunden hatte.<br />

Bendemann hat für das Monumentalgemälde<br />

zahlreiche Vorzeichnungen und<br />

Aktstudien angefertigt, die sich wesentlich in<br />

zwei Konvoluten erhalten haben, nämlich<br />

dem in Göttingen befindlichen und fünfzehn<br />

im Berliner Kupferstichkabinett aufbewahrten<br />

Zeichnungen. 53 In dem Berliner<br />

Konvolut finden sich vorbereitende Zeichnungen<br />

für die Figur Jahwes, den erschlagenen<br />

Abel, den schamvoll trauernd das Gesicht<br />

verbergenden Adam, die klagende Eva<br />

sowie für den fliehenden Kain. Für alle diese<br />

Figuren hat Bendemann intensive Aktstudien<br />

am Modell betrieben, um die anatomische<br />

Korrektheit seiner Pathosfiguren zu<br />

gewährleisten. Trotzdem scheinen hinter<br />

fast allen Figuren Prototypen aus der<br />

Kunstgeschichte auf, am deutlichsten wohl<br />

an der Figur des knienden und das Gesicht<br />

in den Händen verbergenden Adam, der an<br />

Raffaels Figur des Moses vor dem brennenden<br />

Dornbusch im Gewölbefresko der<br />

Stanza d’Eliodoro im Vatikan erinnert. Die<br />

Figur der Eva mit hochgerissenen Armen<br />

geht ebenfalls auf Prototypen des späten<br />

Raffael zurück. Auf Basis seines akademischen<br />

Modellstudiums hat Bendemann die<br />

‚guten‘ Erfindungen der Alten Meister<br />

gleichsam neu erfunden und ihnen das Ideal<br />

des akademisch veredelten Naturstudiums<br />

eingeschrieben.<br />

Der narrative Teil des Bildgegenstands folgt dem biblischen Bericht in 1. Mose, 4: Kain, der<br />

Ackerbauer, hat seinen Bruder Abel, den Schäfer, hinterhältig erschlagen, da dieser durch sein Opfer<br />

der Erstlinge seiner Herde Gott mehr gefallen hatte als Kain durch sein Opfer der Feldfrüchte.<br />

Der Herr sah Abel gnädig an, Kain aber nicht. Von der Sünde verführt, vor der der Herr ihn ge-<br />

53 Vgl. dazu Achenbach 2007, S. 43-55, Kat. Nr. Z 13 – Z 28.<br />

Abb. 8: Anbringung des Gemäldes im Treppenhaus der<br />

Justizvollzugsanstalt

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