Das Magazin der Kölner Philharmonie NR. 4 / 2023
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»Sequana«<br />
Mit Souad Massi stellt sich Algeriens prominenteste Sängerin vor<br />
Gänseblümchen hat sich Souad Massi auf dem Cover ihres neuen<br />
Albums über ihre geschlossenen Augen gelegt. Ein Zeichen,<br />
dass die Sängerin und Gitarristin sich von <strong>der</strong> Welt abwenden will?<br />
Keineswegs, die Begegnung mit <strong>der</strong> Natur gibt ihr nach eigenem<br />
Bekenntnis Kraft, engagiert Stellung zu beziehen gegen Krieg,<br />
Korruption und totalitäre Regime. Dabei bezaubert sie ebenso<br />
durch eine samtige, dunkle Stimme wie durch ihre poetischen Texte.<br />
Nun präsentiert sie sich mit ihrem Sextett erstmals in Köln. Ein<br />
Debüt, das man nicht verpassen sollte, gilt Souad Massi doch als<br />
prominenteste Sängerin Algeriens, die nun mit »Sequana« schon<br />
ihr zehntes Album vorstellt.<br />
Geboren wurde Souad Massi 1972 in Bab-el-Oued, einem Stadtteil<br />
von Algier. »Kulturell treffen sich in Algerien <strong>der</strong> Maghreb, Afrika,<br />
<strong>der</strong> Mittlere Osten und Europa«, sagt die Singer-Songwriterin. »Es<br />
ist ein Schmelztiegel. <strong>Das</strong> hat mich geformt und für einen freien<br />
Kopf gesorgt.« Aufgewachsen ist sie mit Chaabi, <strong>der</strong> Volksmusik<br />
ihrer Heimat, und den kayblischen Lie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Berber, aber auch<br />
mit Pop und Rockmusik. Schon früh griff sie zur Gitarre, um westliche<br />
Hits nachzuspielen. Erste Bühnenerfahrungen sammelte sie in<br />
einer Flamencogruppe und war Frontfrau einer algerischen Heavy<br />
Metal Band. Außerdem studierte sie Stadtplanung und arbeitete<br />
nach ihrem Diplom-Abschluss in einem Architekturbüro. Mit<br />
27 Jahren verließ Souad Massi ihre Heimat – <strong>der</strong> sich zuspitzende<br />
Bürgerkrieg, die Bedrohung durch Fundamentalisten machten<br />
Auftritte immer schwieriger. In Paris landete sie mit ihrer ersten<br />
Kassette in <strong>der</strong> Tasche und wurde dort schnell von einem internationalen<br />
Plattenlabel entdeckt. Seitdem lebt sie im französischen<br />
Exil.<br />
»Singer-Songwriterin<br />
Souad Massi hat ihre Klangpalette<br />
stetig erweitert.«<br />
Hohe Eigenständigkeit, Kennerschaft und Gelassenheit wurden<br />
ihr schon nach dem zweiten Album attestiert. Es müsse ein eigenes<br />
Genre erfunden werden, um die Musik von Souad Massi<br />
zu beschreiben, hieß es in einer Rezension. Seitdem hat sie ihre<br />
Klangpalette stetig erweitert, integriert immer mehr Sounds in ihre<br />
Stücke, auf »Sequana« nun auch auch Calypso, Country Music und<br />
Bossa nova. Der Titel des Albums spielt auf die Göttin Sequana<br />
an. Zu dieser gallo-römischen Hüterin <strong>der</strong> Seine-Quellen pilgerten<br />
einst die Menschen, um Heilung zu erbitten. Im romantischen, von<br />
Streichern begleiteten Titelsong ruft Souad Massi die Göttin an, sie<br />
möge vor allem die Jugendlichen beschützen. Als Mutter zweier<br />
Töchter im Teenager-Alter hat sie selbst erlebt, wie verloren sich<br />
gerade junge Menschen in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Pandemie fühlten. Damals<br />
ist »Sequana« entstanden, fast alle Lie<strong>der</strong> hat Souad Massi selbst<br />
geschrieben: Weltmusik im besten Sinne, die sie auf Arabisch und<br />
Französisch singt.<br />
Grooven<strong>der</strong> Wüstenblues in »Mirage« wechselt sich ab mit einem<br />
luftigen Bossa wie »L‘espoir«, mit rockigen Rhythmen in »Twam«<br />
und einer eigenen Version des Johnny-Cash-Klassikers »Hurt«.<br />
Schmerz und Schönheit verbinden sich auch, wenn Souad Massi<br />
im Song »Dessine-moi un pays« die Utopie eines Landes entwirft,<br />
in dem man ohne Angst und in Frieden leben kann; geschrieben<br />
für Menschen, »die sich an Flugzeuge klammern«, um <strong>der</strong> Diktatur<br />
zu entgehen. An welch große Tradition die Sängerin politisch<br />
anknüpft, macht schließlich das letzte, lateinamerikanisch inspirierte<br />
Stück des Albums deutlich: »Victor« – eine ergreifende Hommage<br />
an den chilenischen Musiker Victor Jara, ermordet 1973 von<br />
den Schergen des Pinochet-Regimes. Souad Massi erinnert daran,<br />
dass er »für Freiheit und Integrität« sein Leben gelassen hat; und<br />
für diese Werte zu kämpfen, fühle sie sich selbst verpflichtet.<br />
Annette Schroe<strong>der</strong><br />
54 <strong>Das</strong> <strong>Magazin</strong>