Wein-Boulevard 2009 - Pro Stuttgart eV
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<strong>Wein</strong>-<strong>Boulevard</strong><br />
Das wasser gibt dem<br />
ochsen kraft,<br />
dem menschen gibt’s<br />
der rebensaft. drum,<br />
bruder, trinke aus den<br />
wein, du willst doch<br />
wohl kein ochse sein.<br />
Sprichwort<br />
Eichenholzes alle anderen Düfte<br />
an Intensität. Wenngleich das Eichenaroma<br />
von manchen <strong>Wein</strong>genießern<br />
geschätzt wird, ist es<br />
streng genommen ein Fehler,<br />
wenn ein <strong>Wein</strong> nach seinem Gefäß<br />
riecht oder schmeckt. Einigermaßen<br />
geübte Verkoster finden sogar<br />
am Duft heraus, ob das entsprechende<br />
Fass bei seiner Herstellung<br />
mehr oder weniger stark ausgebrannt<br />
wurde. Starke Kaffee-, Kakao-<br />
oder Karamellaromen weisen<br />
auf das Herstellungsverfahren hin.<br />
Pferdeschweiß durch Brett<br />
Mikroorganismen hinterlassen<br />
ebenfalls verräterische Duftspuren<br />
im <strong>Wein</strong>. Wenn der <strong>Wein</strong> eine<br />
Butternote aufweist, so ist das<br />
ein Resultat der Aktivitäten von<br />
Milchsäurebakterien. Die sogenannte<br />
Milchsäuregärung ist bei<br />
den meisten <strong>Wein</strong>en ein durchaus<br />
erwünschter natürlicher Vorgang,<br />
bei dem ein Teil der aggressiven<br />
Äpfelsäure des <strong>Wein</strong>s in<br />
milde Milchsäure umgewandelt<br />
wird. Der <strong>Wein</strong> schmeckt nach<br />
der Milchsäuregärung weicher,<br />
voller und ist obendrein bekömmlicher.<br />
Allerdings gibt es<br />
eine ganze Reihe verschiedener<br />
Milchsäurebakterienarten, die<br />
neben Milch- und Kohlensäure<br />
unterschiedliche Aromen produzieren.<br />
Am liebsten sind den<br />
Winzern die Stämme, welche ihre<br />
Arbeit mit weitgehender Duftneutralität<br />
ausführen. Meist<br />
bleibt dennoch eine mehr oder<br />
weniger zarte Butternote zurück.<br />
Auch die Aromen von Joghurt,<br />
Käse und sogar Sauerkraut zählen<br />
zum Repertoire einiger Milchsäurebakterienstämme.<br />
Obwohl<br />
Letztere allgemein als unpassend<br />
empfunden werden, gibt es<br />
durchaus unterschiedliche Auffassungen<br />
über das aromatische<br />
Ergebnis der Tätigkeit des Hefepilzes<br />
Brettanomyces bruxellensis,<br />
in der <strong>Wein</strong>sprache international<br />
„Brett“ genannt. Diese<br />
kleinen Kerle mögen warme Keller<br />
und halten sich gern in den<br />
Poren von Holzfässern auf. Oft<br />
geht ihrem Auftreten mangelnde<br />
Hygiene voraus, manchmal hat<br />
der betroffene Winzer einfach<br />
Goldene Nase: Der <strong>Stuttgart</strong>er Sommelier Bernd Kreis Wulf Wager<br />
nur Pech, wenn er Brett in seinem<br />
<strong>Wein</strong> feststellen muss. Dann<br />
riecht er nämlich mehr oder weniger<br />
stark nach Pferdeschweiß.<br />
Es gibt tatsächlich Liebhaber dieser<br />
animalischen Noten, darunter<br />
sogar namhafte <strong>Wein</strong>kritiker.<br />
Doch im eigentlichen Sinne ist<br />
das Auftreten des Pferdeschweißaromas<br />
als <strong>Wein</strong>fehler zu werten.<br />
Höchstens in kaum wahrnehmbarer<br />
Dosis kann es zur aromatischen<br />
Vielfalt eines Rotweins<br />
beitragen.<br />
Sensorik trainieren<br />
Der menschliche Geruchssinn ist<br />
weitaus leistungsfähiger, als allgemein<br />
bekannt ist. Wenige Moleküle<br />
reichen aus, um eine<br />
Wahrnehmung zu treffen, und oft<br />
sogar, um ein Aroma eindeutig zu<br />
identifizieren. Natürlich gibt es<br />
Menschen, die über eine besondere<br />
Begabung zur Verkostung verfügen,<br />
doch kann jeder mit ein<br />
wenig Übung seine Geruchsnerven<br />
soweit schärfen, dass schon<br />
in kurzer Zeit eine erhebliche Verfeinerung<br />
der Geruchswahrnehmung<br />
feststellbar ist. Zur Schulung<br />
des Geruchssinns werden<br />
Sortimente mit Aromenlösungen<br />
angeboten. Meist ist die Auswahl<br />
der Riechfläschchen thematisch<br />
geordnet. So kann man die Wahrnehmung<br />
typischer Düfte anhand<br />
der leider teuren Baukästen systematisch<br />
trainieren.<br />
Das geht allerdings auch viel<br />
günstiger. Denn allein ein bisschen<br />
Aufmerksamkeit für die un-<br />
endlich vielen Duftquellen im<br />
Alltag genügt, den Geruchssinn<br />
auf Vordermann zu bringen. Die<br />
Umgebung ist voll von Düften,<br />
von denen überraschend viele im<br />
<strong>Wein</strong> vorkommen. Darüber hinaus<br />
sind die originalen Düfte<br />
viel näher an den Aromen des<br />
<strong>Wein</strong>s als die synthetischen Essenzen.<br />
Atmen Sie einfach beim<br />
Anziehen Ihrer Schuhe den Duft<br />
des Leders ein, schnuppern Sie<br />
konzentriert am Obst und Gemüse<br />
bei der Zubereitung des Essens<br />
oder riechen Sie gelegentlich Ihre<br />
Gewürzsammlung ab. Die Welt<br />
ist voll von faszinierenden Aromen,<br />
man muss sie nur wahrnehmen<br />
wollen. Die bewusste Beschäftigung<br />
mit Düften erweitert<br />
das Riechvermögen in überraschender<br />
Geschwindigkeit. Dabei<br />
wird gleichzeitig das Aromengedächtnis<br />
trainiert. Denn nur ein<br />
gut funktionierendes Aromengedächtnis<br />
ist in der Lage, die einzelnen<br />
Düfte aus dem komplexen<br />
Bukett eines <strong>Wein</strong>es zu erkennen.<br />
Wenn es nicht gleich auf Anhieb<br />
klappt, die Vanille aus dem Barriquewein<br />
herauszuriechen oder<br />
den Pfeffer aus dem Grünen Veltliner,<br />
ist das nicht so schlimm. Einfach<br />
locker weiterüben und vorallem<br />
die Degustation entspannt<br />
angehen. Setzt man sich nicht<br />
selbst unter Leistungsdruck und<br />
sieht man die <strong>Wein</strong>verkostung<br />
als entspannende Beschäftigung,<br />
werden sich die Fortschritte beim<br />
Verkosten zügig einstellen.<br />
Bernd Kreis