Bayerische Laufzeitung 2024

Böhmische Dörfer – Der Moldaulauf
Wie schaut es aus – kommst Du im Mai?“, fragte mich Martin -
der Mannschaftskapitän
Von Wolfgang Gunsenheimer
Es war der ersehnte Anruf im April. „Jasné
- Klar“, sagte ich, „ich habe doch schon zugesagt.
Und es ist mir eine Ehre!“ Was tatsächlich
stimmt. Denn ich empfinde es schon als
eine besondere Wertschätzung, dass ich als
einziger Deutscher in einem tschechischen
Team mitmachen darf.
„Wir treffen uns
am Vorabend in
Kasperske Hory.
Kennst Du das?“
Ein böhmisches
Dorf, im wahrsten
Sinne des Wortes.
Ich war tatsächlich
schon mal
dort gewesen und
hatte einen Zubringer
zum Goldsteig
ausgekundschaftet.
Und wieder konnte
ich sagen „Jasné –
Klar. Das ist Bergreichenstein. Znám – kenne
ich“.
Martin spricht sehr
gut Deutsch und
Englisch. Das vereinfacht
für mich die
Abstimmung im Vorfeld.
Und der Rest des
Teams? Und der Veranstalter?
Sprechen
nur tschechisch, ist
ja auch deren Muttersprache.
Und so
waren meine nächsten
Schritte in der
Vorbereitung schon
fast zwingend:
Wörterbuch rausholen und
Vokabeln pauken
Vor allem die, die ich auch brauche. Strecke,
Etappe, Start, Ziel, die Zahlen von 1 bis 36,
Höhenmeter, Zielzeit, Minuten pro Kilometer.
Warum ist das so wichtig?
Der Moldaulauf ist ein Etappenlauf, der von
der Quelle der Moldau in der Nähe von Horska
Kvilda bis nach Prag führt. Zwar ist die
Mündung in die Elbe erst einige Kilometer
später. Aber Prag ist natürlich das Highlight,
und deswegen endet dieser Lauf nach 360
km entlang der Moldau in der tschechischen
Hauptstadt. Die Strecke unterteilt der Veranstalter
in 36 Etappen, so dass jede Etappe im
Schnitt aus 10 km besteht. Die Wege sind abwechselnd
Feldwege, Single Trails oder Teer.
Und wie selbstverständlich geht jede Etappe
die Moldauhänge rauf und runter, was auf
allen Teilabschnitten zu ordentlich Höhenmetern
führt.
Jede Mannschaft besteht als Staffel aus mehreren
Läufern. Die individuelle Startzeit jedes
Teams berechnet sich aus eigenen errechneten
Laufzeit, so dass alle Mannschaften ungefähr
zeitgleich in Prag ankommen sollten.
Unser Start…
… war Samstag früh um 06:00 Uhr im Winterstadion
von Zadov, einem tschechischen
Skigebiet auf
einer Höhe
von knapp
1.000 m. Der
kalte Nebel
ließ unseren
Kaffee warm
dampfen.
Und wir feuerten
unseren
Startläufer
an, der als
austrainierter
Mittfünfziger
diesen besonderen
Moment
stolz genoss.
Die Landschaft dort erinnerte mich an den
Bayerischen Wald. Klar, geologisch ist das
identisch.
Heißt halt anders, nämlich
Böhmerwald
Wir erwarteten unseren Startläufer bereits
nach 50 Minuten am Ende seiner Etappe zur
Staffelübergabe. Also schnell
ins Auto und ab nach Lipka,.
Anschließend kam ich dran.
Martin gönnte mir eine fast
reine Downhill Etappe. Also
wollte ich mir keine Blöße
geben und nahm so gut wie
es ging Geschwindigkeit auf.
Ab km 6 gab es ein paar üble
Steigungen, aber nach 54
Minuten war ich im Ziel und
konnte an den vierten Läufer
in unserer Staffel übergeben.
Und so kamen wir an den Lipnosee mit imposanter
Staumauer, der rundherum touristisch
sehr gut erschlossen ist.
Nun hatte ich Laufpause bis Abend. So fuhren
wir zum Etappenort Rozmberk mit einem
beeindruckenden historischen Ortskern, wo
wir die böhmische Küche genossen und uns
bei einem Mittagsschlaf auf dem dortigen
Sportplatz in der warmen Frühlingssonne
ausruhten.
Es dämmerte in den Abend hinein und ich
durfte eine Straßenetappe laufen. Diese führte
7 km nur bergauf und dann 3 km bergab. Im
Ziel wurde es schon dunkel. Ich schickte meinen
Mannschaftskollegen in die tschechische
Nacht. Er blinkte und leuchtete am ganzen
Körper, seine Stirnlampe zeigte ihm den Weg.
Ich sah ihm nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckte.
Der örtliche Laufverein belohnte mich mit
dem üblichen Speisenangebot: Gegrillte
Bratwurst, Meerrettichsenf und türkischem
Kaffee. In weiser Voraussicht hatte ich genau
diese Wörter gelernt: Párek, hořčice und
turecká kava. Wenn ich nur in der Schule für
meine Mühen ähnlich belohnt worden wäre!
Unser Team lief die ganze Nacht durch, Etappe
für Etappe. Langsam näherten wir uns
Prag. Aus der anfangs wilden Moldau war
schon ein breiter und stattlicher Fluss geworden.
Ich absolvierte meine vierte und letzte
Etappe für das Team und schon waren wir
auch im Ziel. Alle neun freuten sich über
unseren Zieleinlauf, vor allem aber über die
gutbürgerliche Prager Küche, die wir
ausgiebig genossen.
Abends fuhr ich mit dem Zug zurück
nach Regensburg. Prag ist gar nicht
so weit weg, dachte ich. Ob ich es
schaffen würde, vor dem nächsten
Moldaulauf im Jahr 2024 die goldene
Stadt zu besuchen? Fest eingeplant
ist es.
Ist Dein Interesse am Böhmerwald
und dem Moldaulauf geweckt?
Dann schau selbst nach unter www.
vltavarun.cz .
152
Bayerische Laufzeitung 2024
Bayerische Laufzeitung 2024 ganz neu.indd 152 05.12.2023 14:51:22