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altlandkreis Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel Ausgabe Mai Juni 2024

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Schwabsoien | Bürokratie-Wahnsinn,<br />

Höfesterben, keine Planungssicherheit<br />

<strong>für</strong> potentiellen<br />

Nachwuchs: Die Probleme hiesiger<br />

Landwirte sind viel tiefreichender,<br />

als der hauptursächliche<br />

Auslöser der jüngsten Bauernproteste<br />

in ganz Bayern, Deutschland<br />

und Europa. Eine Frau, die zwischen<br />

<strong>den</strong> sprichwörtlichen Stühlen<br />

aus Politik, Gesellschaft und<br />

Landwirtschaft sitzt: Christine Sulzenbacher,<br />

55, aus Schwabsoien.<br />

Seit 2017 ist die einstige Realschülerin<br />

und gelernte Hotelkauffrau<br />

Kreisbäuerin <strong>für</strong> Weilheim-Schongau.<br />

Im großen Interview auf<br />

der Roten Couch ärgert sich die<br />

verheiratete Mutter zweier volljähriger<br />

Kinder über Düngen mit<br />

Schleppschlauchtechnik, berichtet<br />

von ihrem Lieblingsgericht, der<br />

Bedeutung ihrer Tattoos und wie<br />

es bei <strong>den</strong> hiesigen Landfrauen<br />

ankommt, dass ausgerechnet sie<br />

als Kreisbäuerin inzwischen keine<br />

Kühe mehr melkt.<br />

Frau Sulzenbacher, wie wertgeschätzt<br />

wer<strong>den</strong> Weilheim-Schongauer<br />

Landwirte von der breiten<br />

Masse der hier leben<strong>den</strong> Bevölkerung?<br />

Einzelfälle gibt es immer, die beispielsweise<br />

über böse Leserbriefe<br />

in der Tageszeitung schlechte Stimmung<br />

verbreiten. Im Großen und<br />

Ganzen wer<strong>den</strong> wir aber schon<br />

wertgeschätzt von der hier leben<strong>den</strong><br />

Bevölkerung.<br />

Weil Weilheim-Schongau flächenmäßig<br />

sehr weitläufi g ist, fi ndet<br />

der alljährliche Landfrauentag inhaltsgleich<br />

immer zwei Mal statt:<br />

Heuer fand er Anfang März erst in<br />

Schwabbruck, eine Woche später<br />

in Eberfi ng statt. Unter anderem<br />

prognostizierten Sie in Ihrer Rede,<br />

dass es in 15 Jahren nur noch halb<br />

so viele Höfe geben wird!<br />

Allein bei uns in Schwabsoien hat<br />

es vor 50 Jahren 70 Bauern gegeben,<br />

jetzt sind es nur noch sieben!<br />

Stand 2023 gibt es in Weilheim-<br />

Schongau 1 641 landwirtschaftliche<br />

Betriebe, von <strong>den</strong>en rund 1 485<br />

Mitglied bei uns im Bayerischen<br />

Bauernverband sind.<br />

Die hauptursächlichen Gründe <strong>für</strong><br />

das seit Jahrzehnten anhaltende<br />

Höfesterben?<br />

Zum Teil gibt es keine Hoferben.<br />

Und wenn welche da sind, haben<br />

diese wenig Planungssicherheit.<br />

Angefangen bei der Frage: Muss<br />

ich neu bauen, und kann ich mir<br />

das überhaupt leisten? Hinzu<br />

kommt, dass viele junge Menschen<br />

die beste schulische Ausbildung<br />

haben, ihr Wissen und Können<br />

aufgrund der vielen Auflagen aber<br />

gar nicht umsetzen können. Der<br />

Bürokratismus wird immer noch<br />

schlimmer, schreckt potentielle<br />

Nachfolger ab.<br />

Mit Renteneintritt Ihres Mannes<br />

Anton Sulzenbacher wurde auch<br />

der Milchviehbetrieb von Ihnen geschlossen.<br />

Auch keinen Nachfolger<br />

gefun<strong>den</strong>?<br />

Wir hätten mit Lukas einen Nachfolger,<br />

der sogar der Branche treugeblieben<br />

ist, inzwischen ein landwirtschaftliches<br />

Lohnunternehmen<br />

betreibt. Letztlich waren und sind<br />

wir mit unserem Hof noch mitten<br />

im Dorf, mit Anbindehaltung, hätten<br />

deshalb aussiedeln und einen<br />

neuen, größeren Laufstall bauen<br />

müssen, was rund eineinhalb Millionen<br />

Euro gekostet hätte – das<br />

wollten wir uns und unserem Sohn<br />

nicht antun.<br />

Wie schwer wiegt der Imagescha<strong>den</strong><br />

dahingehend, dass ausgerechnet<br />

Sie als Kreisbäuerin keinen<br />

eigenen Milchviehbetrieb mehr vorzuzeigen<br />

haben?<br />

Cem Özdemir hat auch keine Kuh<br />

und ist Landwirtschaftsminister.<br />

Aber Spaß beiseite: Da gibt es<br />

wirklich überhaupt keine kritischen<br />

Stimmen – die Landfrauen stehen<br />

alle hinter mir und wissen ja, dass<br />

ich <strong>den</strong> Milchviehbetrieb meines<br />

Mannes 20 Jahre lang mitgetragen<br />

habe mit allem, was dazu gehört –<br />

Melken, Füttern, Misten, sieben<br />

Tage die Woche.<br />

Was muss Ihrer Meinung nach passieren,<br />

dass jüngere Menschen wieder<br />

mehr Lust auf Landwirtschaft<br />

haben – allen voran die Söhne und<br />

Töchter, die auf Höfen aufwachsen?<br />

<strong>Das</strong>s der Verbraucher unsere eigens<br />

hergestellten Lebensmittel<br />

mehr wertschätzt und auch bereit<br />

dazu ist, sie zu kaufen. <strong>Das</strong>s die<br />

Jugend mehr Planungssicherheit<br />

von Seiten der Politik bekommt.<br />

<strong>Das</strong>s der Bürokratismus endlich<br />

abgebaut wird. Aber auch, dass die<br />

aktiven Landwirte ihren Beruf nicht<br />

nur schlecht re<strong>den</strong> und sagen, dass<br />

Vom bereits aufgegebenen<br />

Milchviehbetrieb noch übriggeblieben:<br />

Der Kuhstall mit<br />

derzeit sechs Kälbern.<br />

man da kein Geld verdient. <strong>Das</strong><br />

tägliche Arbeiten mit Tieren, Pflanzen<br />

und Natur in Kombination mit<br />

moderner Technik ist wahnsinnig<br />

abwechslungsreich, macht Spaß<br />

und kann einem sehr viel zurückgeben.<br />

Welchen Einfluss hat an dieser Stelle<br />

das Wirken von Ihnen als Kreisbäuerin?<br />

Als Bindeglied zwischen Landwirtschaft,<br />

Gesellschaft und Politik,<br />

als Ansprechpartnerin und Unterstützerin<br />

<strong>für</strong> die hiesige Landwirtschaft,<br />

ist es mir schon sehr<br />

wichtig, unsere Branche in ein positives<br />

Licht zu rücken. Da hilft es<br />

sicherlich, dass ich grundsätzlich<br />

ein positiv gestimmter, lebensfroher<br />

Mensch bin.<br />

Welche Rolle haben Sie als Kreisbäuerin<br />

noch zu erfüllen?<br />

Bei Sorgen, Wünschen, Anregungen<br />

der hiesigen Bäuerinnen<br />

versuche ich, fachkundige Ansprechpartner<br />

zu vermitteln. Ich<br />

habe repräsentative Aufgaben zu<br />

erfüllen, zum Beispiel auf Freisprechungsfeiern<br />

von frischausgebildeten<br />

Landwirten und Hauswirtschafterinnen.<br />

Man organisiert die<br />

alljährlichen Landfrauenausflüge<br />

sowie Bildungsworkshops zu beispielsweise<br />

Milch vs. Pflanzendrinks<br />

oder Milchverarbeitung.<br />

Und wie wird man überhaupt Kreisbäuerin?<br />

Grundsätzlich muss man Mitglied<br />

im Bayerischen Bauernverband<br />

und sollte, auch wenn es keine<br />

Pflicht ist, Ortsbäuerin im jeweiligen<br />

Wohnort sein, was ich in<br />

Schwabsoien seit 2012 bin. Denn<br />

die jeweiligen Ortsvertreter wählen<br />

letztlich ihre Vertreterin, die<br />

Kreisbäuerin. Bei mir persönlich<br />

war es so, dass meine Vorgängerin<br />

Silvia Schlögel aus Peiting an mich<br />

herangetreten ist und gefragt hat,<br />

ob ich es nicht machen möchte.<br />

<strong>Das</strong> war plötzlich schwierig, als<br />

mein Mann kurz vor der Wahl einen<br />

Herzinfarkt erlitten hatte, ich<br />

die bereits geplante Kandidatur eigentlich<br />

schon zurückziehen wollte.<br />

Letztlich ging’s ihm aber sehr<br />

schnell wieder gut und nachdem<br />

er selbst gesagt hat, dass ich es<br />

gerne machen kann, habe ich mich<br />

doch bereiterklärt. Dann bin ich<br />

2017 ohne Gegenkandidatin und<br />

ohne Gegenstimme gewählt, und<br />

2022 wiedergewählt wor<strong>den</strong>. Die<br />

Amtszeit beträgt jeweils fünf Jahre.<br />

Ein reines Ehrenamt?<br />

Wir bekommen <strong>für</strong> Pflichttermine<br />

eine kleine Aufwandsentschädigung<br />

sowie Spritgeld, manchmal<br />

auch Essen und Übernachtung<br />

bezahlt. Aber wegen des Geldes<br />

darfst du das nicht machen – hier<br />

geht’s um Lei<strong>den</strong>schaft und Überzeugung.<br />

Maria Lidl, Ihre Stellvertreterin,<br />

kommt aus Penzberg-Rain, somit<br />

vom anderen Ende des Weilheim-<br />

Schongauer Landkreises. Bewusst<br />

so gewählt?<br />

Es ist natürlich nicht das schlechteste,<br />

aus bei<strong>den</strong> Landkreisecken<br />

jeman<strong>den</strong> an der Spitze zu haben.<br />

Ist in unserem Falle aber reiner<br />

Zufall und meiner Meinung auch<br />

völlig gleich, wo wer von uns<br />

wohnt, weil das Miteinander unter<br />

uns Landfrauen, sowohl in der Vorstandschaft<br />

als auch darüber hinaus,<br />

ein sehr gutes ist, egal ob aus<br />

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