altlandkreis Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel Ausgabe Mai Juni 2024
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Historischer Biergarten – Gäste dürfen Brotzeit mitbringen<br />
Selbstgebrautes an der Stadtmauer<br />
Schongau | Ein frischgezapftes<br />
kühles Helles, eine zünftige Brotzeit<br />
und mehrere hundert Jahre<br />
alte Kastanienbäume, die an heißen<br />
Sommertagen wohltuen<strong>den</strong><br />
Schatten spen<strong>den</strong>: Die gute alte<br />
bayerische Biergartentradition<br />
gefällt seit Jahrhunderten, reicht<br />
zurück bis ins Jahre 1812. Und sie<br />
besagt, dass Gäste lediglich die<br />
Getränke beim Biergartenbetreiber<br />
vor Ort zu kaufen haben. Die<br />
Brotzeit, was insbesondere viele<br />
jüngere Bürgerinnen und Bürger<br />
gar nicht wissen, darf mitgebracht<br />
wer<strong>den</strong>. In der jüngsten Bayerischen<br />
Biergartenverordnung vom<br />
20. April 1999 steht von diesem<br />
„Brotzeit selber mitbringen“ zwar<br />
nichts geschrieben, sind lediglich<br />
Öffnungszeiten von 7 bis 23 Uhr sowie<br />
Immissionsrichtwerte von maximal<br />
55 bis 65 Dezibel festgelegt.<br />
Doch Brauchtum, insbesondere in<br />
Bayern, verpflichtet bekanntlich.<br />
So kam es die vergangenen Jahre<br />
und Jahrzehnte auch immer wieder<br />
mal zu medial ausgeschlachteten<br />
Biergartenskandalen – speziell<br />
in München kocht die Frage nach<br />
Maß und Ziel deshalb regelmäßig<br />
hoch, weil es sich bei einem<br />
in einer Wärmebox mitgebrachten<br />
Spanferkel oder gar eigens mitgebrachtem<br />
Grill zum Auflegen von<br />
Fleisch, Wurst und Tofu freilich<br />
nicht mehr um eine (kleine) Brotzeit<br />
im klassischen Sinne handelt.<br />
<strong>Das</strong>s einem davon betroffenen<br />
Wirt auch mal die sprichwörtliche<br />
Hutschnur reißen kann und folglich<br />
ein Schild mit der Aufschrift<br />
„Mitgebrachte Speisen verboten!“<br />
aufgestellt wird: Nachvollziehbar.<br />
Selbstverständlich gibt es auch<br />
Biergartenbetreiber, die dieses<br />
Mitbringen von Brotzeit prinzipiell<br />
nicht möchten. Wobei dann,<br />
strenggenommen, nicht mehr<br />
von einem traditionellen bayerischen<br />
Biergarten die Rede sein<br />
darf, es sich viel mehr um einen<br />
Wirtschafts- oder Wirtshausgarten<br />
handelt – eine Erweiterung<br />
des Lokals in <strong>den</strong> Außenbereich.<br />
Unabhängig von traditionell oder<br />
nichttraditionell: Allein im Schongauer<br />
Raum gibt es in Summe<br />
mehr als 130 Bier-, Wirtschaftsoder<br />
Wirtshausgärten, von <strong>den</strong>en<br />
die meisten bereits vor mehreren<br />
Wochen aufgemacht haben. Der<br />
Grund: Sommerliche Temperaturen<br />
bereits zu Frühlingsbeginn.<br />
Konstant ins Rollen kommt die<br />
Biergartensaison allerdings erst<br />
jetzt, mit Beginn des Monats <strong>Mai</strong>,<br />
wo das Wetter konstant schöner<br />
und wärmer sein sollte und das<br />
bekanntlich sehr wechselhafte Aprilwetter<br />
(hoffentlich) nicht wieder<br />
zurückkehrt.<br />
Aus Dornröschenschlaf<br />
geweckt<br />
Dazu passend hat sich die Redaktion<br />
von „tassilo“ und „<strong>altlandkreis</strong>“<br />
auf die Suche nach einem<br />
ganz besonderen Biergarten gemacht.<br />
Und ist fündig gewor<strong>den</strong> in<br />
Schongau, oder besser gesagt an<br />
der Schongauer Altstadt. Denn der<br />
Rössle-Biergarten, benannt nach<br />
einer ehemaligen Brauerei, befindet<br />
sich direkt an der historischen,<br />
800 Jahre alten und unter Denkmalschutz<br />
stehen<strong>den</strong> Stadtmauer.<br />
„Ich habe diesen Biergarten vor<br />
wenigen Jahren im Rahmen eines<br />
Spaziergangs entdeckt, mich im<br />
Grunde sofort in ihn verliebt und<br />
bei der Stadtverwaltung nachgefragt,<br />
ob man da nicht was draus<br />
machen könne“, sagt Braumeister<br />
Stephan Albrecht, der diesen magischen<br />
Ort bereits 2022 aus einem<br />
fast 15-jährigen Dornröschenschlaf<br />
geholt hatte – so lange war dieser<br />
Biergarten nicht mehr in Betrieb,<br />
ist im wahrsten Sinne verkommen.<br />
„War gar nicht so leicht, dieses<br />
Areal von Laub und Wildwuchs<br />
zu befreien.“ Hat sich aber allein<br />
deshalb gelohnt, weil diese Wiederbelebung<br />
bei alteingesessenen<br />
Schongauern viele herzergreifende<br />
Erinnerungen hervorgerufen hat.<br />
„Wie früher, in <strong>den</strong> 1980er und<br />
1990er Jahren“, schwärmen sie.<br />
Und auch die junge Generation<br />
fühlt sich dort auf der Westseite<br />
der Altstadt pudelwohl. „Die Stadtmauer<br />
wärmt sich bei Sonneneinstrahlung<br />
richtig auf, weshalb<br />
wir hier auch nach Einbruch der<br />
Dunkelheit noch eine sehr wohlige<br />
und gemütliche Atmosphäre<br />
haben.“ Eine weitere Besonderheit<br />
am von Familie Albrecht betriebenen<br />
Rössle-Biergarten: <strong>Das</strong>s<br />
dort die traditionelle bayerische<br />
Biergartentradition ganz bewusst<br />
gelebt wird. Heißt: <strong>Das</strong> Mitbringen<br />
selbstgemachter Brotzeit von<br />
zuhause ist ausdrücklich erlaubt,<br />
während die Getränke „von uns<br />
verkauft wer<strong>den</strong>“. Gerade in Zeiten<br />
der Inflation, wo insbesondere<br />
junge Familien verstärkt auf ihr<br />
Budget achten müssen, sei dies<br />
in Albrechts Augen nur fair. „Wir<br />
haben auch nichts dagegen, wenn<br />
jemand aus <strong>den</strong> benachbarten<br />
Lokalen Pizza, Döner oder Flammkuchen<br />
zu uns in <strong>den</strong> Biergarten<br />
mitbringt.“ Am echthölzernen<br />
Biergartenhütterl gibt es trotzdem<br />
nahezu alles, was das Herz eines<br />
Biergartenbesuchers höherschla-<br />
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