münchen - Münchner Stadtmuseum
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Jean-Marie Straub<br />
62<br />
Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, Rom 2003 – © Alberto Cristofari / Contrasto<br />
Jean-Marie Straub zum 80. Geburtstag<br />
Auf einem Plakat, in den Programmen die Namen<br />
Dreyer und Straub lesen – und nichts wie hin!<br />
Marguerite Duras<br />
Jean-Marie Straub hat deutsche, französische und italienische<br />
Filme gemacht. Das gibt dieser <strong>Münchner</strong> Retrospektive<br />
eine europäische Bedeutung. Sie schenkt<br />
uns in der Öde des monetären Europa die Möglichkeit,<br />
im »Ach der Alkmene« (Heiner Müller) den Nachhall der<br />
unglaublichen mythischen Geschehnisse zu hören, die<br />
bis heute unsere, die europäische, Vergangenheit beleben<br />
und ohne deren Erinnerung unser Leben und unser<br />
Fühlen versiegen würden. Cesare Pavese hat am<br />
15. Oktober 1945 in seinem Tagebuch die Frage gestellt:<br />
»Was sagen, wenn die natürlichen Dinge – Quellen,<br />
Wälder, Weinberge, Land – eines Tages von der<br />
Stadt aufgesogen und vergangen sein werden und man<br />
ihnen in alten Sätzen aus der Vergangenheit begegnen<br />
wird? Sie werden auf uns wirken wie die Theoi, die<br />
Nymphen, das natürliche Heilige, das in manchen griechischen<br />
Versen zum Vorschein kommt. Dann wird der<br />
einfache Satz Es war eine Quelle uns rühren«. Das<br />
große Werk der Straubschen Filme gibt eine Antwort<br />
auf diese Frage, seine ganze ästhetisch-politische<br />
Energie richtet sich auf dieses Sagen.<br />
Jean-Marie Straub ist ein Sonntagskind, geboren am<br />
8. Januar 1933 in Metz, das die Deutschen der Eisengruben<br />
wegen 1871 und 1940 annektierten. Mit dem<br />
Projekt einer Filmbiographie »Chronik der Anna Magdalena<br />
Bach« im Kopf geht Straub 1954 nach Paris. Er<br />
begegnet Danièle Huillet, geboren am 1. Mai 1936, am<br />
Feiertag des Wahlsiegs der französischen Volksfront:<br />
An Feiertagen gehen / die braunen Frauen daselbst /<br />
auf seidnen Boden. Vielleicht dachte Danièle an diesen<br />
Vers Hölderlins, als sie schrieb: »Das Interessanteste<br />
an mir ist mein Geburtsdatum«. Bis zu ihrem Tod am<br />
9. Oktober 2006 war Danièle an allen Filmprojekten<br />
Straubs maßgeblich beteiligt.<br />
Statt zum Militärdienst nach Algerien geht Straub 1958<br />
nach Deutschland auf der Suche nach Materialien, Orgeln<br />
und Handschriften für den Bachfilm. In Metz wird<br />
er in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt<br />
(und 1971 amnestiert). 1962 dreht er MACHORKA-<br />
MUFF nach Heinrich Böll. Der 18-Minuten-Film hat bis<br />
heute nichts von seiner ästhetischen und politischen<br />
Sprengkraft verloren. Machorka-Muff, in der eben gegründeten<br />
Bundeswehr zum Leiter der »Akademie für<br />
militärische Erinnerungen« ernannt, fragt sich, was<br />
sein alter General zur Wiederbewaffnung gesagt hätte.