münchen - Münchner Stadtmuseum
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Henri-Georges Clouzot<br />
80<br />
Henri-Georges Clouzot und Romy Schneider bei den Dreharbeiten zu L’ENFER<br />
Kino der Angst: Henri-Georges Clouzot<br />
Menschen in der Zerreißprobe – physisch, moralisch,<br />
charakterlich. Sie müssen höllisch schwitzen, angstvoll<br />
zittern, innerlich und äußerlich zerbrechen, das heißt<br />
sich offenbaren: in ihren hochfahrenden Ambitionen<br />
und dem Scheitern, in ihren niederen Beweggründen,<br />
den Obsessionen, auch in ihrer unantastbaren Schönheit.<br />
Sie müssen labyrinthische Räume durchirren, zumeist<br />
Anstaltsräume (Kliniken, Internate, Theater), oder<br />
Wüsten durchqueren – lebensbedrohliche Sphären. Sie<br />
führen, innerlich und äußerlich, explosives Material mit<br />
sich, transportieren zum Beispiel Nitroglyzerin auf zwei<br />
Lastwagen. Die nette Bombe in der Aktentasche genügt<br />
Clouzot nicht, er braucht die Steigerung ins Exzessive<br />
und Exzentrische. Wenn die Sonne scheint, dann<br />
brennt sie herab und brütet Angstschweiß aus; wenn<br />
es regnet – und es regnet oft in Clouzot-Filmen – dann<br />
gleich in Strömen, sodass schon mal die Kleidung an<br />
der Haut klebt. Kaum ein anderer hat das Kino der<br />
Angst derart scharf und exzessiv ausgeprägt wie Henri-<br />
Georges Clouzot (1907–1977).<br />
Existentialismus in Form des Thrillers. Dem Zeitgeist<br />
immer eine Nasenlänge voraus. Hitchcock wies seine<br />
Drehbuchautoren an, Clouzots Filme in ihrem Spannungsraffinement<br />
genau zu studieren, vor allem die<br />
beiden, die zu phänomenalen Publikumserfolgen wur-<br />
den: LE SALAIRE DE LA PEUR (1953) und LES DIABO-<br />
LIQUES (1955). Schon die erste Einstellung seines ersten<br />
Spielfilms, L’ASSASSIN HABITE AU 21 (1942),<br />
nimmt den Zuschauer direkt hinein in den Thrill: Aus<br />
der Perspektive des Mörders erlebt man die nächtliche,<br />
bedrohliche Schatten werfende Verfolgungsjagd des<br />
Opfers. Clouzots Bilder, geformt mit detailversessener<br />
Präzision, prägen sich der Netzhaut wie dem Unterbewusstsein<br />
tief ein: der gespenstische Leichnam in der<br />
Badewanne (Paul Meurisse in LES DIABOLIQUES), der<br />
wie ein Zombie aus dem Schlamm auftauchende Lkw-<br />
Fahrer (Charles Vanel in LE SALAIRE DE LA PEUR). Kino<br />
der radikalen Desillusionierung. Gut und Böse werden<br />
niemals hübsch sortiert. Dem Zynismus der Macht ha -<br />
ber entspricht die Skrupellosigkeit der Habenichtse.<br />
So entsteht ein eigenwilliges, spektakulär imaginiertes<br />
Universum. André Bazin, Frankreichs Starkritiker der<br />
1950er Jahre, über Clouzot: »Von all den französischen<br />
Filmemachern, die seit 1940 hervorgetreten sind, ist<br />
Clouzot zweifellos derjenige, dem das Kinematographische<br />
– man verzeihe mir den Ausdruck – am tiefsten in<br />
den Eingeweiden sitzt. Andere können, was die filmische<br />
Schöpfung angeht, mehr Intelligenz besitzen, wie<br />
René Clément, oder über ein eindringlicheres und anspruchsvolleres<br />
Stilempfinden verfügen, wie Robert