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Kirchen, Religionen, Bioethik - Freie Christengemeinde

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Evangelische <strong>Kirchen</strong><br />

Unter dem Begriff „evangelische <strong>Kirchen</strong>“<br />

werden in der Regel die beiden großen <strong>Kirchen</strong><br />

der evangelisch-lutherischen (Augsburger<br />

Bekenntnis, A.B.) und der evangelischreformierten<br />

(Helvetisches Bekenntnis, H.B.)<br />

verstanden. Beide gingen aus einer Reformbewegung<br />

des 16. Jahrhunderst in Europa aus<br />

der katholischen Kirche hervor und bilden mit<br />

dieser und der Orthodoxie die drei großen<br />

christlichen <strong>Kirchen</strong>familien. Im Folgenden<br />

wird unter „evangelische Kirche“ immer sowohl<br />

jene des Augsburger wie auch jene des<br />

Helvetischen Bekenntnisses verstanden, da<br />

die beiden Religionsgesellschaften in bio- und<br />

medizinethischen Fragen – zumindest in Österreich<br />

– eine gemeinsame Linie vertreten.<br />

Im Mittelpunkt der evangelischen Lehre stehen<br />

die drei Prinzipien: sola scriptura („nur<br />

die Heilige Schrift“ = Bibel); sola gratia („allein<br />

aus göttlicher Gnade“); sola fide („allein<br />

aus dem Glauben“). Damit grenzt sich die<br />

evangelische Kirche insbesondere gegen die<br />

katholische Lehre von der Autorität kirchlicher<br />

Tradition und von der Lehre der guten<br />

Werke ab (Rechtfertigungslehre).<br />

Die Positionen der evangelischen Kirche werden<br />

in der medizin- und bioethischen Debatte<br />

häufig mit jenen der katholischen Kirche zu<br />

einer so genannten „christlichen Position“<br />

zusammen geführt; bei aller gemeinsamen<br />

Tradition und den vielen Parallelen scheint<br />

dies jedoch zu vereinfachend zu sein. Neben<br />

den unterschiedlichen Nuancierungen haben<br />

die beiden Traditionen insbesondere auch<br />

verschiedene philosophische Zugangsweisen<br />

zu den Problemen, so dass es eine Missachtung<br />

der Eigenart der einzelnen <strong>Kirchen</strong> wäre,<br />

wollte man sie vereinheitlichen (in der<br />

Regel zu Lasten der Minderheit, d.h. der evangelischen<br />

Kirche).<br />

In Österreich ist die evangelische Kirche seit<br />

der josephinischen Toleranzgesetzgebung<br />

(1781) geduldet, seit 1861 anerkannt (sowohl<br />

die Evangelische Kirche A.B. als auch die Evangelische<br />

Kirche H.B. und die Evangelische<br />

Kirche A.u.H.B.). Seit 1961 ist die gesetzliche<br />

Kirche, Religione, <strong>Bioethik</strong><br />

Grundlage das Protestantengesetz (BGBl Nr.<br />

182/1961). 2<br />

Grundlegende Fragen<br />

Quellen der Entscheidungsfindung<br />

Die evangelische Kirche kennt vor allem eine<br />

Quelle der Entscheidungsfindung: die Heilige<br />

Schrift (Bibel), für die evangelische Theologen<br />

schon seit Ende des 19. Jahrhunderts<br />

eine differenzierte, kritische Hermeneutik<br />

entwickelt haben.<br />

In ethischen Fragen der Biomedizin ist auch<br />

auf die reichhaltige Tradition westlicher Philosophie<br />

zurück zu greifen, die auch der evangelischen<br />

Ethik zu Grunde liegt. Die evangelische<br />

Kirche ist so offen für den klassischen<br />

und neuzeitlichen philosophischen Dialog<br />

und hat ihn selbst durch zahlreiche Lehrer<br />

weiter voran getrieben.<br />

Zu zentralen Fragen veröffentlicht die evangelische<br />

Kirche so genannte „Denkschriften“,<br />

so auch zu Fragen der Biomedizin („Verantwortung<br />

für das Leben“, Wien 2001); die folgenden<br />

Ausführungen zur evangelischen Position<br />

beziehen sich auf dieses – auch international<br />

beachtete – Papier.<br />

Autoritäten der Entscheidungsfindung<br />

Die evangelische Kirche kennt keine weltumfassende<br />

zentrale Leitung, sondern gliedert<br />

sich in Landeskirchen unter der Leitung eines<br />

Landesbischofs und des Oberkirchenrates. Die<br />

evangelische Kirche hat eine presbyteralsynodale<br />

<strong>Kirchen</strong>verfassung (d.h. Gemeindeleitung<br />

durch Presbyter, <strong>Kirchen</strong>leitung durch<br />

Synoden) mit demokratischen Elementen<br />

(Wahlen).<br />

Für die Entscheidungsfindung der zuständigen<br />

Autoritäten sind insbesondere auch wissenschaftliche<br />

Stellungnahmen erforderlich. Diese<br />

kommen – was die Theologie und Philosophie<br />

betrifft – in Österreich in erster Linie<br />

von der Evangelisch-theologischen Fakultät<br />

der Universität Wien.<br />

Anders als in der katholischen Kirche, bei der<br />

die umfassende und unmittelbare Lehr- und<br />

Leitungsgewalt beim Diözesanbischof in per-<br />

2 Die Darstellung der evangelischen Positionen erfolgt<br />

größtenteils auf Basis der von Herrn Univ.-Prof. Dr.<br />

Ulrich Körtner verfassten einschlägigen Denkschrift<br />

„Verantwortung für das Leben“ (2001).<br />

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