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Kirchen, Religionen, Bioethik - Freie Christengemeinde

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Autoritäten der Entscheidungsfindung<br />

Der Islam kennt keine zentrale menschliche<br />

Leitung, wohl aber gehören alle islamischen<br />

Gemeinschaften zu der weltumfassenden<br />

Gemeinde (umma). Die höchste Autorität<br />

besitzt der eine und unteilbare Gott, Allah,<br />

dessen Prophet der Mensch Muhammad war.<br />

Die rasche Ausbreitung des islamischen Reiches<br />

nach dem Tode des Propheten ließ<br />

schnell die Notwendigkeit deutlich werden,<br />

ein System zu entwickeln, das geeignet war,<br />

für neu auftretende Probleme und Fragen<br />

eine islamische Lösung zu finden. So wurden<br />

weitere Rechtsquellen neben dem Islam notwendig,<br />

um eine ähnlich umfassende islamische<br />

Ordnung zu formulieren, wie sie der<br />

Talmud für die Juden darstellte. Dementsprechend<br />

wurden die „privaten“ Aussprüche<br />

Muhammads gesammelt und seine Verhaltensweisen<br />

bei bestimmten Anlässen notiert,<br />

um aus Zustimmung, Duldung und Zurückweisungen<br />

Einschätzungen über Empfehlungen,<br />

Erlaubtheiten und Verbote zu gewinnen. Da<br />

auch dies nicht ausreichte, kamen der Gelehrtenkonsens<br />

und der Analogieschluss als<br />

weitere Rechtsquellen hinzu. Auf diese Weise<br />

entstanden einzelne Rechtsschulen, die teilweise<br />

noch andere Verfahren für legitim hielten<br />

und mit alledem eine Systematisierung<br />

erreichten, die nun für alle neu auftretenden<br />

Fragen Lösungen ermöglichte.<br />

Innerhalb der klassischen Rechtsschulen werden<br />

neu auftretende Probleme in Anlehnung<br />

an frühere Präzedenzfälle unter Zuhilfenahme<br />

der erwähnten Rechtsquellen gelöst. Das<br />

diesbezügliche Grundsatzurteil (fatwa) wird<br />

von einer eigens dafür vorgesehenen Rechtsinstanz<br />

(mufti) verkündet. Es ist Teil der religiösen<br />

Weisung (sharia), zu der das islamische<br />

Recht (fiqh) als wesentlicher Bestandteil<br />

gehört. In der Entscheidungsfindung hinsichtlich<br />

ethischer Fragen hat sich dabei folgende<br />

Klassifizierung herausgebildet:<br />

� Gebotene Handlungen, die als Pflicht den<br />

Menschen auferlegt werden;<br />

� Empfohlene Handlungen, die dem religiösen<br />

Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft<br />

förderlich sind;<br />

� Erlaubte Handlungen, deren moralische<br />

Qualität neutral ist<br />

� Missbilligte Handlungen, die dem Gehorsam<br />

gegen Gott hinderlich sind<br />

Kirche, Religione, <strong>Bioethik</strong><br />

� Verbotene Handlungen, deren Unterlassung<br />

geboten ist und belohnt wird.<br />

Bezug zum geoffenbarten Glauben<br />

Der Islam kennt keine eindeutige Unterscheidung<br />

zwischen religiösem Offenbarungsglauben<br />

und säkularer Ethik, so dass kein<br />

menschliches Tun als prinzipiell außerhalb<br />

religiöser Zuordnung steht. Menschliches Tun<br />

oder Unterlassen wird immer der göttlichen<br />

Ordnung unterliegend eingestuft, die Verantwortung<br />

ist demnach zugleich eine weltliche<br />

und eine religiöse, niemals jedoch eine<br />

weltliche alleine.<br />

Die fehlende kritische Hermeneutik in der<br />

islamischen Schriftauslegung macht es oftmals<br />

schwer, ethisch problematische Fragen<br />

unabhängig von Inhalten der Offenbarungsreligion<br />

zu disktutieren. Dennoch hat der Islam<br />

im Laufe seiner Geschichte immer wieder<br />

bewiesen, wie zielführend er auch mit solch<br />

praktisch-ethischen Problemen umgehen<br />

kann – wie sich im Folgenden auch noch zeigen<br />

wird.<br />

Anthropologische Fundierung<br />

Menschenbild<br />

Der Mensch wird im Islam – und zwar als<br />

Mann und Frau – als Geschöpf Gottes, und<br />

damit der göttlichen Ordnung unterstehend,<br />

begriffen. Seine Verantwortung für sein Handeln<br />

reicht über das irdische Leben hinaus.<br />

Das Menschenbild des Koran ist weder rein<br />

optimistisch noch rein pessimistisch, sondern<br />

zeichnet den Menschen mit seinen realen<br />

Stärken und Schwächen.<br />

Am Beispiel der islamischen Speisevorschriften<br />

zeigt sich, dass Reinheit als leib-seelische<br />

Einheit zu sehen ist, die rechtes Tun mit<br />

rechter Gesinnung verbindet und die Beherrschung<br />

der Triebe durch den Willen fördert.<br />

Wahrhaftigkeit, Geduld und Bescheidenheit<br />

zieren die Gottesfürchtigen ebenso sehr wie<br />

ein gesunder Umgang mit den materiellen<br />

Gütern der Welt, indem man weder geizig<br />

noch verschwenderisch sein soll. Eigeninitiative<br />

wird gefördert, doch bleibt der Blick auf<br />

das Wohl der Gemeinschaft gerichtet und<br />

rechtfertigt deren Eingreifen im wirtschaftlichen<br />

wie im sozialen Bereich. Das Wohl der<br />

Gemeinschaft hat folglich gegenüber dem<br />

Wohl des Einzelnen eine höhere Priorität,<br />

was unter Umständen mit dem neuzeitlich-<br />

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