Kirchen, Religionen, Bioethik - Freie Christengemeinde
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Israelitische Glaubensgemeinschaft<br />
Das Judentum ist eine Bezeichnung des jüdischen<br />
Volkes und/oder der jüdischen Religionsgemeinschaft.<br />
Religionsgeschichtlich beginnt<br />
das Judentum mit dem Ende des Reiches<br />
Juda (587 v.Chr.), mit der Zeit des Babylonischen<br />
Exils, und stellt die zweite Entwicklungsphase<br />
der israelitisch-jüdischen<br />
Geschichte dar.<br />
Zentral für das Judentum ist der Glaube an<br />
den einen Gott Jahwe (JHWH), der die<br />
Stammväter des Volkes – Abraham, Isaak und<br />
Jakob – zu seinem Eigentum berufen hat.<br />
Das Judentum ist in Österreich seit der josephinischen<br />
Toleranzgesetzgebung geduldet<br />
und wurde mit dem Israelitengesetz 1890<br />
(RGBl Nr. 57, idF BGBl Nr. 61/1984) staatlich<br />
anerkannt. 3<br />
Grundlegende Fragen<br />
Quellen der Entscheidungsfindung<br />
Für den humanen Fortschritt der Medizin sind<br />
die Beiträge des Judentums von großer Bedeutung.<br />
Gemäß der Tora (Gesetz, die ersten<br />
fünf Bücher der Bibel) wird der Arzt als jemand<br />
gesehen, der in religiöser Verpflichtung<br />
handelt. Er ist insofern Exponent eines Auftrags,<br />
der allen Menschen auferlegt ist (vgl.<br />
Levitikus 19, 16). Handelt ein Mensch, insbesondere<br />
ein Arzt, dagegen, macht er sich<br />
eines ernsten Verbrechens schuldig. Tatsächlich<br />
muss das Gesetz, welches die Gesundheitssorge<br />
betrifft, strenger eingehalten<br />
werden als rituelle Gesetze des Judentums.<br />
Im Allgemeinen enthält die Bibel in ihrer religiösen<br />
Gesetzgebung einige fortschrittliche<br />
Auffassungen über Präventivmedizin und die<br />
öffentliche Gesundheit. Im Talmud (Lehre;<br />
nach der Bibel das Hauptwerk der jüdischen<br />
Literatur) findet sich bereits vor fast 2000<br />
Jahren neben zahlreichen anderen medizinischen<br />
Hinweisen die früheste Erwähnung solcher<br />
Neuerungen wie künstliche Gliedmaßen,<br />
einer Art künstliche Befruchtung, orale Emp-<br />
3 Die Darstellung der jüdischen Positionen erfolgt auf<br />
Basis von einschlägiger wissenschaftlicher Literatur.<br />
Kirche, Religione, <strong>Bioethik</strong><br />
fängnisverhütungsmittel und Kaiserschnittoperationen<br />
an der lebenden Mutter. Viele<br />
der Talmudautoren praktizierten selber Medizin.<br />
Ihnen folgte, was im Mittelater als allgemeines<br />
Phänomen bekannt wurde, der<br />
Rabbiner-Arzt. Man schätzt, dass mehr als die<br />
Hälfte der bekanntesten jüdischen Gelehrten<br />
und Autoren – Philosophen, Dichter, Exegeten,<br />
Grammatiker und Rabbiner – im Mittelalter<br />
als Ärzte tätig waren.<br />
Das ständige Tun und die täglichen Übungen<br />
in einem toragemäßen Leben haben auch<br />
eine erzieherische Funktion. Eine umfassende<br />
Bezeichnung aller Gebote, die das tägliche<br />
Leben regeln, ist halakha („Wegweisung“).<br />
Zu den moralischen Bestimmungen – die insbesondere<br />
auch für die Bio- und Medizinethik<br />
relevant sind – kamen von je her Auslegungen,<br />
ergänzende Vorschriften und Kasuistiken,<br />
um der jeweiligen Situation gerecht zu<br />
werden. Die jüdische <strong>Bioethik</strong> versteht sich<br />
daher auch als Anwendung der halakha auf<br />
moralische Fragen im Zusammenhang mit den<br />
modernen Medizin- und Biowissenschaften.<br />
Autoritäten der Entscheidungsfindung<br />
Das Judentum kennt keine weltumfassende,<br />
zentrale Leitung, sondern bildet eine religiöse<br />
Gemeinschaft vor Ort, an deren Spitze der<br />
Rabbiner steht; in Österreich wird diese Gemeinschaft<br />
(auch vom Gesetz) als „Kultusgemeinde“<br />
bezeichnet. Dem Rabbiner kommt<br />
neben administrativen Aufgaben insbesondere<br />
auch die Lehre und Auslegung von Rechtsfragen<br />
zu. Es gibt im weltweiten Judentum<br />
zahlreiche große Rabbinatsschulen mit unterschiedlichem<br />
Prestige.<br />
Wie auch in anderen Bereichen des jüdischen<br />
Rechts, kommt der Orthodoxie auch im Bereich<br />
der bio- und medizinethischen Entscheidungsfindung<br />
eine wichtige Rolle zu,<br />
indem sie half, die Tradition so weit als notwendig<br />
an die neuen Lebensverhältnisse anzupassen,<br />
ohne den wesentlichen Kern aufzugeben,<br />
und zugleich die moderne Bildung<br />
mit jüdischem Leben vereinbaren zu können.<br />
Neben der Orthodoxie liefern auch Rabbiner<br />
des liberalen Reformjudentums und des Konservativen<br />
Judentums Beiträge zur ethischen<br />
Entscheidungsfindung in bioethischen Fragen,<br />
wobei ihre Regelungen tendenziell flexibler<br />
sind als die des Orthodoxen Judentums.<br />
In zunehmender Zahl wurden während der<br />
letzten 1000 Jahre rabbinische Gutachten<br />
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