U2 Der Hansa-Encounter Es gibt Platten, an denen gehen Bands kaputt. Mit „Achtung Baby“ überwanden U2 vor genau 20 Jahren die Mauer zum Ernst des Künstlertums, kämpften und gewannen gegen die Reste der eigenen Pubertät. Nicht ohne Tränen im Auge. Von Sascha Fröhlich Der Trabi wurde zum Symbol. Im Jahr 1991 wusste niemand genau, was bitte die Zweitaktplastikwannen des real nicht mehr existierenden Sozialismus auf dem Cover einer der beliebtesten Rockbands der Ära sollten. Koketterie wurde gemutmaßt, Ironie soll auch Pate bei der seltsam traumatisch anmutenden Collage gestanden haben, die Szene-Photograph Anton Corbijn für die CD-Hülle gestaltet hatte. Jedenfalls versuchten U2 sich mühsam neu zu erfinden, monatelang im noch unaufgeräumten Berlin, in das sie im November 1990 auf der Suche nach dem renovierten Gruppensound gezogen waren. Immerhin verhieß die kommende Hauptstadt des auf eine Vereinigung zustrebenden Deutschlands gleichzeitig Historie und Aufbruch, noch diffus in seiner künstlerischen Stoßrichtung, aber – und da machte der Trabi als Zeichen wieder Sinn – als Metropole, auferstanden aus ideologischen Ruinen mit der Option, die hippste Adresse der Alten Welt zu sein. U2 liefen im alten Hansa-Studio ein, das spätestens mit David Bowie und den Aufnahmen zu „Heroes“ den Ritterschlag der künstlerischen Bohème erhalten hatte. Die Räume lagen im ehemaligen Grenzgebiet, draußen herrschte die Atmosphäre eines vergessenen Carpenter-Films, abgerissen und irgendwie abgefahren. Drinnen war es bald ebenso. The Edge trennte sich während der Aufnahmen von seiner Frau Aislinn O’Sullivan, die Stimmung war gespannt, der Gitarrist stürzte sich ins Chaos der Untreue, während Produzenten wie Daniel Lanois und Brian Eno im Studio vorbei schauten und einer Band Ratschläge gaben, 16 die zwischen Überspanntheit, musikalischer Frühvergreisung und Diventum pendelte. Eigentlich platzte der Knoten erst, als in einem konzentrierten Moment „One“ entstand, geschrieben innerhalb einer Stunde und trotzdem einer der größten Songs, die der Band bislang gelungen waren. Von da an ging es voran, wenn auch langsam. Nach Monaten, die aus der Rückschau eigentlich der Weg aus der Agonie waren, ging es U2 wie Berlin. Aus den Relikten der Vergangenheit entstand etwas Neues. Der Sound der Gitarren war härter, die Beats hatten das Elektrifizierte kennengelernt, die christliche Rockmusik der irischen Gutmänner war in der säkularen Wirklichkeit angekommen. Im November 1991 erschien „Achtung Baby“. Im Anschluss daran wurde viel getourt, die Fans erlebten eine ins Gigantische gewachsene Combo der Superstars, und die Promi-Szene gefiel sich, Bono & Co. die Reverenz zu erweisen. Aber es wurden eben gleichzeitig auch Alben wie Nirvanas „Nevermind“ veröffentlicht, das mal eben die Hybris des saturierten Vorjahrzehnts mit melancholischer Wut hinwegfegte, und grellbunte Hedonisten feierten in Clubs wie dem ‚Tresor‘ ein ganz anderes, boomendes Lebensgefühl. U2 jedenfalls hatten den Anschluss geschafft. Aber fast wäre es ihnen wie den Trabis auf dem Cover gegangen. Denn sie standen kurz vor der Ausmusterung. Info: Davis Guggenheims Doku „From The Sky Down“ eröffnete am 8.September das Toronto Film Festival. „Achtung Baby 20th Anniversary – Remastered“ (Island/ Universal) erscheint am 28.11. als Doppel-CD und Super Deluxe Edition. Fotos: Anton Corbijn, Mark Monheim, Erich Roland, Eric Steelberg The Edge (l.) und Bono (r.) in Kanada: Für die Doku „From The Sky Down“ haben U2 alte Lieder noch einmal live aufgenommen
Der Trabi wurde zum Maskottchen und zum Lieblings- bandmotiv von Star-Photograph Anton Corbijn Im Frühjahr sind U2 für Dokufilmer Davis Guggenheim in das Hansa-Studio zurückgekehrt Wenn nicht Berlin, dann Marokko: Auf der Suche nach Inspiration fuh- ren U2 auch in den Maghreb „Die Rohmixe haben mich umgehauen“, meinte Gitarrist The Edge (l.) beim Remastering von „Achtung Baby“ „So hört es sich an, wenn vier Männer den Joshua Tree zerlegen“ Bono über „Achtung Baby“ 17