Einleitung www.widerstreit-sachunterricht.de/Ausgabe Nr. 7/Oktober 2006 Durch die Medien wurden gerade in letzter Zeit die Themen <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> zu öffentlichen Themen unserer Gesellschaft: Wir sahen, lasen <strong>und</strong> hörten fast täglich vom Sterbeprozess Terri Schiavos aus den USA. Sie lag 15 Jahre lang im Wachkoma. Ihr Mann erwirkte, angeblich auf ihren Wunsch hin, nicht lange leiden zu müssen, vor Gericht die Legitimation zum Entfernen der für sie lebenserhaltenden Magensonde. Sie verstarb nach 14 Tagen, in denen sie uns täglich auf dem Bildschirm, in Zeitungen <strong>und</strong> im Internet ‚präsentiert‘ wurde. Einige Tage später wurde Papst Johannes Paul II zum öffentlichen Symbol der Sterblichkeit. Sein Sterbeprozess wurde kontinuierlich durch die Medien dokumentiert. Es schien, dass er selbst – im Gegensatz zu Terri Schiavo – sein Dahinscheiden als Medienereignis inszenieren ließ. <strong>Die</strong> Medien – insbesondere das Fernsehen – stellten mit reichlich Bildmaterial das Sterben zweier Menschen dar. Wesentlicher Unterschied war jedoch, dass der Papst diese öffentliche Darstellung des Leidens zum Sin<strong>nb</strong>ild seines Glaubens machte, indem er sagte: „Christus sei auch nicht vom Kreuz gestiegen“ (Leicht 2005). Terri Schiavo dagegen konnte nicht entscheiden, ob sie 14 Tage lang <strong>von</strong> der Welt beim Verhungern <strong>und</strong> Verdursten beobachtet werden wollte. In ihrem Fall stellt sich die Frage: „Wer hatte das Recht an ihrer Stelle zu entscheiden?“ <strong>Die</strong>s ist der Punkt, den viele Menschen kritisierten <strong>und</strong> diskutierten: „Wie öffentlich darf die <strong>Tod</strong>esqual sein? [...] Kann man so in Würde leiden <strong>und</strong> sterben?“ (ebd.). Durch die medialen Ereignisse schien es, als gäbe es die Tabuthemen <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> in unserer westlichen Gesellschaft nicht. „Es wird doch überall darüber geredet <strong>und</strong> berichtet“, bekam ich <strong>von</strong> einer Kommilitonin zu hören. Dennoch: Wir sollten reflektieren, inwiefern die Darstellungen der Medien uns beeinflussen <strong>und</strong> was passieren kann, wenn wir nicht durch die <strong>von</strong> ihnen hergestellte Distanz vor diesen Themen ‚geschützt‘ sind. Es ist gerade diesbezüglich einfach über andere zu sprechen, doch wie verhalten die Menschen dieser Gesellschaft sich, wenn es beispielsweise um Sterbeprozesse naher Angehöriger geht oder einen gar selbst betrifft? Und was bekommen Kinder da<strong>von</strong> mit...? Es wäre naiv zu glauben, Kinder würden <strong>von</strong> medialen <strong>und</strong> persönlichen Kontroversen über <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> nichts mitbekommen. Jüngstes Beispiel ist hier der schon angesprochen <strong>Tod</strong> des Papstes – für die Sendung dieser Nachricht wurde im Fernsehen ein bekannter Walt Disney Film spontan unterbrochen. Werden Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte, die Kinder haben, befragt, ist trotzdem leicht herauszufinden, dass diese die <strong>Thematisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> für ihre Kinder als zu belastend empfinden. Zudem wird Kindern die Fähigkeit zu trauern kaum zugesprochen – „[...] wenn dann sind sie nur kurz traurig [...]“ 1 <strong>und</strong> werden so schnell wie möglich dazu bewegt, wieder fröhlich zu sein. Subjektiv erscheint es, als sei dieser ‚neuere‘ offene Umgang in den Medien, eher eine Möglichkeit der Befriedigung <strong>von</strong> Sensationslust, als eine wirkliche Auseinandersetzung mit <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>. Im Gegensatz zu der in den letzten Jahren soviel beschriebenen Tabuisierung der Themen <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> in unserer Gesellschaft, zeigt sich an dieser Stelle meines Erachtens nicht eine Enttabuisierung, sondern eine andere, eine subtilere Tabuisierung. <strong>Die</strong> dargestellten Behauptungen <strong>und</strong> Kontroversen in Bezug auf Kinder werden in dieser Arbeit untersucht, um herauszufinden, welches ein adäquater(er) Umgang bezüglich dieser Themen mit Kindern sein könnte <strong>und</strong> vor allem welchen Beitrag die Gr<strong>und</strong>schule – <strong>und</strong> in diesem Kontext der Sachunterricht – diesbezüglich leisten kann. Der Titel dieser Arbeit, „<strong>Die</strong> <strong>Thematisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong>. Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen des Konzepts Death Education im Kontext sachunterrichtlicher Bildung“, impliziert Fragen, die in dieser Arbeit vorrangig geklärt werden sollen: • Warum sollten Phänomene wie <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> in der Gr<strong>und</strong>schule thematisiert werden? • Wie kann diese <strong>Thematisierung</strong> didaktisch gestaltet werden? Zunächst wird die Vielschichtigkeit der Begriffe <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> dargestellt <strong>und</strong> erläutert. Daran anschließend wird erörtert, wie in unserer Gesellschaft mit den Phänomenen <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> umgegangen wird <strong>und</strong> welchen Einfluss diese auf Kinder haben. In einem zweiten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob Kinder im Gr<strong>und</strong>schulalter in der Lage sind, den <strong>Tod</strong> zu verstehen <strong>und</strong> demzufolge überhaupt fähig sind zu trauern. 1 Zitat aus einem Gespräch mit einer befre<strong>und</strong>eten Mutter. 4
www.widerstreit-sachunterricht.de/Ausgabe Nr. 7/Oktober 2006 In einem dritten Schritt, der sich mit einer Behandlung der angesprochenen Phänomene beziehungsweise Thematiken beschäftigt, wird ausgehend vom Bildungsbegriff des Sachunterrichts der Frage des „Warum eine <strong>Thematisierung</strong> <strong>von</strong> <strong>Tod</strong> <strong>und</strong> <strong>Trauer</strong> im Sachunterricht?“ nachgegangen. Abschließend wird erläutert, welchen Beitrag das Konzept einer so genannten ‚Death Education‘ – als didaktisches ‚Wie‘ – dazu leisten kann. 5