Übertragung und Gegenübertragung Frühlingsfest der KJHB 2011

„Mirco hat in Deutsch eine 2 geschrieben, - aber in
Mathe, da ist er schlecht! Da hat er eine 4 bekommen!“
„Gestern hatten Svenja und ich einen guten Tag,
aber sonst lügt sie immer wie gedruckt!“
Diese oder auch ähnliche Sätze fallen häufig in Gesprächen
über Kinder. Wenn man sich den Tonfall
dazu noch denkt, mit einem langen und betonten
„aaaber“ und einer anschließenden, klagenden Ausführung
dessen, was nicht gut läuft, ist der Schwerpunkt
des Satzes ganz klar die Hinwendung zum
problematischen Verhalten und zur eigenen Belastung.
Was ändert sich, wenn man das „Aber“ durch ein
„Und“ ersetzt?
„Mirco hat in Deutsch eine 2 geschrieben, und in
Mathe hat er eine 4 bekommen.“ Gestern hatten
Svenja und ich einen guten Tag, und sonst lügt sie
häufig wie gedruckt.“
Wenn man das „Und“ bewusst einsetzt, ist es viel
schwieriger, das lange Klagen auszuführen. Die
Noten oder das Verhalten stehen nebeneinander.
Der erste, positive Teil behält einen Wert. Natürlich
geht es dabei nicht nur um das eine Wort „Und“. Das
Ersetzen des „Aber“ durch ein „Und“ ist verbunden
mit einer veränderten Haltung.
Das „Aber“ führt dazu, dass das Voranstehende
abgewertet wird. Es wird weniger wichtig und ist
weniger wert. Die 4 in Mathe wird wichtiger als die 2
in Deutsch, der Misserfolg überlagert den Erfolg mit
der guten Note. Durch das „Und“ stehen die beiden
Aussagen (ein vielleicht einmaliger Erfolg in Deutsch
und ein großes, seit Jahren bestehendes Problem in
Über das Denken von „Und“
Mathe) nebeneinander und erkennen die Leistung
an. Sie wird nicht durch die 4 „erschlagen“. Es findet
eine Veränderung der Sicht vom Gegeneinander
zum Miteinander statt. Unsere Einstellung dazu ändert
sich, denn durch das Anerkennen der guten
Note steigen wir aus dem Klagen und an dem Festhalten
am Problem aus und öffnen den Blick für die
mögliche positive Entwicklung, die im ersten Satz
geradezu als „einmaliger Ausrutscher“ wirkt.
In der Kindererziehung gerade mit schwierigen Kindern
ist es wichtig, die kleinen Schritte zu sehen und
anzuerkennen, die die Kinder machen und in eine
gute Richtung gehen. Dass eine positive Entwicklung
auf allen Ebenen stattfindet, in allen Fächern,
Verhaltens- und Lernbereichen ist ja nicht zu erwarten,
und jede und jeder von uns weiß das auch vom
Kopf her. Vom Gefühl her ist aber der Wunsch danach
da und holt uns im Alltag immer wieder ein.
Sich gemeinsam über eine gute Note zu freuen und
dies als Erfolg zu werten, und zusätzlich mit dem
Kind an der natürlich immer noch bestehenden
Schul- oder sonstigen Problematik zu arbeiten, ist
ein Weg, der motivierend für die Kinder ist und auch
für uns als Erwachsene. Denn Menschen lernen viel
mehr über Erfolg, positive Erfahrung und positive
Rückmeldung als über negative. Und manchmal
kann das Denken von „Und“ dies
erleichtern!
Karen Heimberg
Erziehungsleitung
GfS Oldenburg
Buchempfehlung: „Sonnige Traurigtage“
Sonnige Traurigtage
Schirin Homeier
Mabuse Verlag
ISBN 3-9338304-16-2
Dieses illustrierte Kinderfachbuch
für Kinder psychisch kranker Eltern
und deren Bezugspersonen der
Sozialpädagogin Schirin Homeier
ist eine Hilfe, selbst für erfahrene Fachkräfte. Es gibt
einfühlsame Anregungen und Antworten auf typische
Fragen.
Der dritte Teil des Buches wendet sich an die erwachsenen
Bezugspersonen, um konkrete Hilfestellungen
zu geben und um die Situation der Kinder zu
verstehen.
In einem speziellen Ratgeber für Kinder wird auf
spezifische Fragen von Kindern eingegangen. Die
Hauptfigur Mona spricht hier die Kinder direkt an
und erklärt ihnen, wie ihre Geschichte mit der psychisch
erkrankten Mutter weiterging. Sie erläutert,
was psychische Erkrankungen sind, wer Betroffenen
helfen kann, wo so eine Hilfe geleistet wird und von
wem.
Mona thematisiert auch persönliche
Schuldgefühle, das Ärgern
anderer Kinder und die Angst vor
einer Ansteckung oder Vererbung.
Helga Treblin
Abteilungsleitung
GfS Aurich
Ausgabe 81 11 KiM ®