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Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz

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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />

Wenig Freunde<br />

Azad sagt, dass er ausser Hassan keine Freunde hat. Seine Mutter ergänzt, dass er früher,<br />

bevor sie untertauchen mussten, viele Freunde hatte, Freunde, mit denen er im Garten<br />

spielen konnte. Das versteckte, von Angst geprägte Leben, das die Familie führt, gibt Azad<br />

wenige Möglichkeiten, Freundschaften zu knüpfen und diese ausserhalb von <strong>Kinder</strong>garten<br />

und Tagesschule zu pflegen.<br />

Azad kann sich sehr gut alleine beschäftigen. Immer wieder während des<br />

<strong>Interview</strong>nachmittags zieht er sich auf den Boden des Wohnzimmers zurück und vertieft sich<br />

in ein Spiel. Dabei wirkt er sehr zufrieden. Es scheint ihn auch nicht zu stören, dass die<br />

Aufmerksamkeit der Erwachsenen während dieser Momente gar nicht auf ihn gerichtet sind.<br />

Dass er keine Freunde nach Hause nehmen kann und nur sehr begrenzt draussen spielen<br />

darf, hat sicher dazu beigetragen, dass er lernen musste, sich alleine zu unterhalten. Zudem<br />

ist Azad, wie schon Lucia, ein Einzelkind. Wie bereits erwähnt, zeigt Kasten auf, dass es<br />

Einzelkindern im Allgemeinen leichter fällt, sich alleine zu beschäftigen und dass sie eine<br />

positive Form des sich mit sich selbst Befassens entwickeln (vgl. Kasten 1995, S. 146). Azad<br />

möchte kein Einzelkind bleiben, er wünscht sich eine Schwester und würde für die Erfüllung<br />

dieses Wunsches viel geben. Die Mutter erklärt aber, dass es in ihrer Situation nicht in Frage<br />

kommt, noch ein Kind zu haben. Azad wird ohne Geschwister bleiben, zumindest solange<br />

die Familie keine Aufenthaltsbewilligung hat.<br />

Angst<br />

Angst prägt das Leben von Azad und seiner Familie. Während des Besuchs bei Azads<br />

Familie ergeben sich immer wieder Szenen, in denen die Angst spürbar und sichtbar wird.<br />

Schon ganz zu Beginn des Elterngesprächs wird die <strong>Interview</strong>erin gebeten, leiser zu<br />

sprechen - die Nachbarn könnten sonst etwas hören. Während dem Besuch bei Azads<br />

Familie wird der Junge von seiner Mutter mehrmals ermahnt, leiser zu sein, leiser zu spielen.<br />

Die Mutter möchte nicht, dass die Nachbarn etwas hören, sie hat Angst davor, in Konflikte zu<br />

geraten, durch welche ihr versteckter Aufenthalt in der Schweiz zusätzlich gefährdet würde.<br />

Als es einmal klingelt an der Türe, geht die Mutter nicht aufmachen, bis der Vater aufs Handy<br />

anruft und informiert, dass er das sei. Die Mutter erzählt, dass sie nie aufmachen geht, wenn<br />

sie nicht weiss, wer da ist – die Angst, es könnte wieder die Polizei sein, ist zu gross. Als es<br />

im Treppenhaus einmal etwas laut wird, geht die Mutter von Azad ganz besorgt an der<br />

Wohnungstüre horchen. Sie hat Angst.<br />

‚Nicht aufzufallen’ ist die Strategie, die Azads Mutter immer wieder erwähnt, um nicht die<br />

Gefahr zu laufen, ausgewiesen zu werden. Sie bemüht sich sehr darum, in keiner Hinsicht<br />

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