Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz
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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />
Auf der ersten Zeichnung von Luana ist ein Mensch, oder wie Luana sagt, ‚en Bueb' (61), zu<br />
sehen. Der Bube ist Ali, ein guter Freund von ihr. Sie ist schon zu ihm nach Hause<br />
gegangen, wo es ihr sehr gut gefällt. Dort haben sie zusammen Playmobil gespielt. Ali ist<br />
aber noch nie zu ihr nach Hause gekommen. ‚Jo, aber si- si kumt ni::e zu mir hei' (358) 25 .<br />
Ausser einem Kind das im selben Haus wie Luana wohnt, kommt niemand sie besuchen.<br />
Auf der Strasse, die Luana zu Alis Füssen zeichnet, kriecht eine grosse Schnecke. Luana<br />
mag Schnecken sehr gerne und spielt ab und zu mit ihnen. Auf der Zeichnung bleibt es nicht<br />
bei einer einzigen Schnecke. Rund um den Knaben zeichnet Luana kleine Wölkchen, die<br />
zum Teil Gesichter haben. Sie erklärt: ‚das sind Schnäggespil’ (85). Die Gesichtchen oder<br />
eben die ‚Schnäggespil’ fragen die <strong>Interview</strong>erin und Luana ‚wie heissisch du?’ (87). Luana<br />
interessiert sich nicht dafür, ob die Schnecken im Winter (Zeit des <strong>Interview</strong>s) überhaupt zu<br />
sehen sind oder nicht. Lieber zeigt sie der <strong>Interview</strong>erin, wo auf dem Bild überall Schnecken<br />
und Schneckenspiele zu sehen sind. Die Schnecken sind Teil ihrer Phantasiewelt. Somit<br />
spielt es auch keine Rolle, ob es Winter oder Sommer ist, dort kann sie das ganze Jahr über<br />
mit ihnen spielen.<br />
Später im <strong>Interview</strong> erzählt Luana, dass sie zu Hause ein ‚Häsli’ (vermutlich einen<br />
Stoffhasen) habe, mit dem sie spiele. Sie hat das Häschen von der Fasnacht und<br />
gemeinsam mit Ilenia, ihrer Schwester, spielt sie mit ihm. Früher ging sie manchmal<br />
gemeinsam mit ihren Geschwistern in den Wald, um Hasen zu schauen. Jetzt geht sie<br />
jedoch nicht mehr viel in den Wald, weil sie weit weg davon wohnt. Luana mag nicht nur<br />
Schnecken und Hasen, sondern auch Bären und Füchse. Mit den Füchsen spielt und spricht<br />
sie, auch erzählen sie Luana Geschichten.<br />
Auf der dritten und auf der vierten Zeichnung Luanas sind drei Häuser zu sehen. Jeweils in<br />
einem davon wohnen der Bär, der Fuchs und der Hase, die drei besuchen sich gegenseitig.<br />
Luana ist den Bären auch schon besuchen gegangen. ‚Ich bi eifach de Bär go bsuechä’<br />
(501). Die Tiere gehören in ihre Welt, es sind ihre Freunde. Ob Schnecken oder Bären,<br />
Luana kann mit allen Tieren spielen, Angst hat sie auch vor den grossen und wilden Tieren<br />
nicht. Die Tiere aus Luanas Phantasiewelt sind alle gutmütig.<br />
Luanas Familie muss mit sehr wenig Geld auskommen. Luana malt sehr gerne, hatte aber<br />
bis vor kurzem keine Malstifte zu Hause. ‚Aber mi Mami- mini Mami hät nöd Bleistift' (14).<br />
Über ihre Familie möchte Luana nicht sprechen. ‚Nei, nei, chan ich nöd Familie erzähle. Ich<br />
25 Die Wörtlein ‚die’ und ‚sie’ scheinen für Luana nicht geschlechtsabhängig zu sein, sie benutzt sie, um von einer<br />
dritten Person zu sprechen, auch wenn es ein Junge ist. Sie betont mehrmals, dass sie Knaben gezeichnet hat,<br />
und dass sie mit Knaben spielt, auch wenn sie danach den weiblichen Artikel benutzt.<br />
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