Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz
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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />
4.1.2. Lucia gibt Einblick in ihre Lebenswelt<br />
Lucia kommt ursprünglich aus Brasilien, erzählt aber nicht viel von diesem Land. Brasilien ist<br />
für sie dort, wo die Grossmutter und die Patin wohnen. Des Weiteren ist Brasilien schön, das<br />
schönste daran ist, dass es heiss ist.<br />
Zeitlich und örtlich klar strukturiert, erzählt Lucia von sich aus ihren Tagesablauf: Am Morgen<br />
geht sie auf die Toilette und ihre Zähne putzen. Schon fast ist es dann Zeit, um zur Schule<br />
zu gehen. In der Schule lernen sie Buchstaben und viele weitere Dinge. Der Schultag geht<br />
schnell vorbei, zu schnell. Um zehn Uhr gibt es eine Pause ‚und dan machemer no e kleine<br />
Ziit und den lüütets das mues mer heim go’ (28) 22 . Zwischendurch ‚muss’ man in die Pause<br />
gehen. Anders ausgedrückt, an einem Wochentag geht Lucia vor allem zur Schule. Was<br />
davor und danach passiert, findet sie nicht so interessant.<br />
Nach der Schule geht Lucia nach Hause. Dort isst, malt und spielt sie oder schaut fern. Sie<br />
sagt, sie mache immer dasselbe, jeder Tag sehe gleich aus. ‚Ich mach immer das gleiche.<br />
Immer, immer, immer’ (294). Dies gilt jedoch nicht für die Sonntage. ‚Sonntag mach ich<br />
immer öpis anders’ (310). Sonntags geht sie manchmal nach draussen, wenn sie nicht spielt<br />
oder fern schaut. Wenn sie raus geht, dann in den Park oder zur Schule. Samstags geht<br />
Lucia mit ihren Eltern zur Kirche. Sie bleiben dort jeweils bis am Abend und kommen erst um<br />
zwölf, elf oder zehn Uhr nach Hause.<br />
Lucia geht in die erste Klasse der öffentlichen Primarschule. Sie zeigt der <strong>Interview</strong>erin ihre<br />
Klassenliste, die als einziger Gegenstand über dem Küchentisch an der Wand hängt. Sie ist<br />
ein Symbol für den hohen Stellenwert der Schule in Lucias Lebenswelt.<br />
Gleichaltrige <strong>Kinder</strong> sieht Lucia vor allem während der Schulzeit. Dort hat sie jedoch keine<br />
wirklich guten Freunde. Die Klassenkollegen oder Klassenkolleginnen sind manchmal böse<br />
und das nervt sie. Über Freunde möchte Lucia nicht sprechen, Peers scheinen für sie ein<br />
schwieriges Thema zu sein. Kommt das Thema Freunde auf, sagt sie nicht viel oder weicht<br />
schnell auf ein anderes Thema aus. Darauf angesprochen, was sie gemeinsam mit<br />
Freunden unternehme meint sie ‚Spile:: und (5) nur spile und lerne und so- so Sache’ (264).<br />
Nur von einer Freundin erzählt sie, von Tabea, die mit ihr den <strong>Kinder</strong>garten besuchte. Da<br />
Tabea aber einen Jahrgang unter ihr im <strong>Kinder</strong>garten war, ist sie jetzt noch nicht in der<br />
Schule und Lucia sieht sie kaum mehr. Von ihr möchte sie jedoch auch nicht allzu viel<br />
erzählen und begründet dies damit, dass sie immer nur von Tabea erzähle und diese das<br />
nicht mag. ‚Ja, nur das hani erzellt, wo si will. Si- si het au- si het auch nid gern, das ich<br />
22 Die den Zitaten aus den <strong>Kinder</strong>interviews zugrunde liegenden Transkribierregeln können im Anhang<br />
eingesehen werden. Die nach den <strong>Interview</strong>zitaten in Klammern stehenden Zahlen beziehen sich auf die<br />
Abschnittsnummern des jeweiligen <strong>Interview</strong>transkriptes (siehe Anhang).<br />
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