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Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz

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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />

kha nur vo <strong>Kinder</strong> erzähle’ (390). Trotzdem erzählt sie im Laufe des <strong>Interview</strong>s immer wieder<br />

Episoden von ihrer Mutter oder ihren Geschwistern. Von ihrem Vater erzählt Luana nichts.<br />

Wenn Gefahr droht, sieht Luana ihre Mutter als Beschützerin: Auf Luanas zweiter Zeichnung<br />

sind drei Personen zu sehen, eine grosse in der Mitte und zwei kleine links und rechts<br />

davon. Die grosse ist ein Junge und die eine kleine Person ein Baby. Die dritte Person auf<br />

der Zeichnung ist kein Kind mehr, sondern die Polizei. Die Polizei kommt einfach so. Die<br />

<strong>Kinder</strong> auf der Zeichnung haben Angst vor der Polizei, der Junge sagt: ‚go da mol wäg, du<br />

gasch mi Buschi kaputt go mache' (172). Die <strong>Kinder</strong> haben Angst vor der Polizei, weil sie<br />

alleine nach draussen gegangen sind. Der Polizist ist böse. Der Polizist kann ja sehen, dass<br />

sie alleine sind und dass Mami nicht da ist. Er nimmt die <strong>Kinder</strong> mit, wenn die Mutter nicht<br />

dabei ist, auch wenn sie das nicht wollen. Wäre die Mutter mit dabei, könnte der Polizist sie<br />

nicht mitnehmen, die Mutter würde sie beschützen. Nicht nur die <strong>Kinder</strong> auf der Zeichnung,<br />

sondern auch Luana selbst hat Angst vor der Polizei.<br />

Luanas Mutter geht es häufig nicht gut. Sie ist reizbar und weint viel, ‚si brüelt immer' (210).<br />

Luana mag es nicht gerne, wenn die Mutter weint. Luana fürchtet sich nicht nur vor der<br />

Polizei. Sie hat Angst davor zu bluten, und sie hat Angst vor ihrer Mutter. ‚Ich ha vor blüetä<br />

Angst- (2) und vor em Mami. Mami isch ganz bös, Mami macht immer bös. Wenn ich<br />

(chume) de Mami isch wüetig. Wenn i kaputt mach isch d’Mama bös’ (200). Wenn die Mutter<br />

böse ist, weint sie. Manchmal schlägt sie dann auch Luana und ihre Schwester, ‚und si<br />

macht-, si macht ebe-, si-, si-, si schlat denn’ (212). Das Verhalten der Mutter ist für Luana<br />

unberechenbar. Es kommt vor, dass die Mutter bereits wütend oder reizbar ist, wenn Luana<br />

zu ihr kommt, oder sie wird wütend, wenn Luana etwas kaputt macht. Am Morgen des<br />

<strong>Interview</strong>s war Ilenia, die Schwester, umgefallen. Danach wollte sie sich von der Mutter die<br />

Haare nicht schneiden lassen. Ilenia weinte, auch sie weint immer. Wenn Ilenia weint,<br />

schlägt die Mutter sie, Ilenia weint dann weiter, und auch die Mutter muss dann weinen.<br />

Luana meint, sie müsse nie weinen. Aber wenn Ilenia die Mutter wütend macht und die<br />

Mutter dann anstelle Ilenias Luana schlägt, muss sie auch weinen. ‚Ich lach immer we- brüel<br />

es bitzli wän Mami, wän Ma-, wän ich-, wän ich bi Ilenia, Ilenia Mami grad (wüetig) macht, si<br />

macht mi schlo, den briel ich' (233). Sie fühlt sich ungerecht behandelt und dies macht sie<br />

traurig. Die Unberechenbarkeit des Verhaltens ihrer Mutter ist ein wichtiger Grund dafür,<br />

dass Luana Angst hat vor ihr. Sie weiss nie genau, woran sie ist, oder wie die Mutter als<br />

nächstes reagieren wird.<br />

In der Familie spielen sich auch andere Szenen ab, die Luana traurig machen. Es macht sie<br />

traurig, wenn Ilenia immer dasselbe tut wie sie. Wenn sie zur Mutter geht, kommt Ilenia auch,<br />

wenn sie zum Vater will, kommt Ilenia auch. ‚Ilenia hät gern Mami wän ich ha Mami gärn,<br />

Ilenia hät gern, wän ich ha Papi gane, Ilenia au immer Papi ga, wenn ich mischle, Ilenia<br />

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