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Sans-Papiers-Kinder Interview-Manual - Schweizerisches Rotes Kreuz

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Lizentiatsarbeit zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>-<strong>Kinder</strong>n von Lisa Weiller Fallanalysen<br />

Klar ist, dass für Luana das Leben zu Hause nicht nur von Fröhlichkeit und Geborgenheit<br />

geprägt ist. Hornstein beschrieb schon 1982 die zusätzliche Prekarisierung der Lebenslagen<br />

von <strong>Kinder</strong>n durch Misshandlung: „Kindsmisshandlungen signalisieren Situationen in denen<br />

schlechte familiale Lebensverhältnisse wie z.B. beengende Wohnverhältnisse eine<br />

dramatische Zuspitzung erfahren“ (Hornstein 1982, S. 26).<br />

‚Ich ha vor blüetä Angst- (2) und vor em Mami’<br />

Luana fürchtet sich, wie die <strong>Kinder</strong> auf ihrer Zeichnung, vor der Polizei. Die Polizei stellt für<br />

sie eine grosse Bedrohung dar. Für <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong> ist es normal, Angst zu haben vor der<br />

Polizei (vgl. Leuenberger 2007 28 , S.49f; Achermann/Chimienti 2006b 29 , S. 93f). Da laut den<br />

oben genannten Studien Angst, unter anderem vor der Polizei, das Leben der meisten<br />

erwachsenen und jugendlichen <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong> prägt, erstaunt es nicht weiter, dass Luana<br />

diese Angst teilt. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Eltern Luanas vor der<br />

Polizei fürchten und Luana diese Furcht spürt und übernimmt, obwohl sie gemäss ihrem<br />

Vater nicht über ihre Aufenthaltssituation informiert ist.<br />

Spannend ist, dass die Mutter im Moment einer Bedrohung durch die Polizei für Luana eine<br />

beschützende Funktion einnimmt. Spannend ist es nicht, weil dies aussergewöhnlich wäre,<br />

sondern weil Luana sich nicht nur vor der Polizei fürchtet, sondern auch vor ihrer Mutter. Die<br />

Mutter kann beschützend, aber auch Angst einflössend sein. Es ist davon auszugehen, dass<br />

die Polizei die grössere Bedrohung darstellt, eine Bedrohung für die ganze Familie. Dadurch<br />

überwiegt für Luana im Moment einer Bedrohung durch die Polizei die beschützende Seite<br />

der Mutter über die Angst einflössende.<br />

Vor der Mutter hat Luana dann Angst, wenn sie sicher ist vor der Polizei – zu Hause. Sie hat<br />

Angst vor ihr, weil ihr Verhalten für Luana unberechenbar ist. Zudem wird sie manchmal von<br />

ihrer Mutter geschlagen. Es fällt auf, dass Luana, wenn sie davon spricht, dass die Mutter sie<br />

schlägt, stärker als im restlichen <strong>Interview</strong> stottert. Das Schlimme an den Schlägen ist für<br />

Luana nicht in erster Linie der physische Schmerz, sondern der psychische, vor allem dann,<br />

wenn sie davon überzeugt ist, nicht schuldig für die Wut der Mutter zu sein.<br />

Griebel/Beisenkamp untersuchten die Daten des LBS-<strong>Kinder</strong>barometers 30 unter anderem auf<br />

28 Leuenberger präsentiert die Ergebnisse einer qualitativen Untersuchung zur Lebenssituation jugendlicher<br />

<strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong>. Für die Untersuchung wurden acht jugendliche <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong> und zum Teil deren Eltern interviewt.<br />

29 Diese Studie analysiert auf der Grundlage einer qualitativen Untersuchung zu <strong>Sans</strong>-<strong>Papiers</strong> in Genf und Zürich,<br />

wie sich die Aufenthaltssituation auf den Alltag der Betroffenen und ihre Umgangsweisen mit diesen<br />

Lebensbedingungen auswirkt. Befragt wurden 33 Männer und Frauen, die ohne Aufenthaltsbewilligung in der<br />

Schweiz leben.<br />

30 Die Studie „LBS-<strong>Kinder</strong>barometer“ ist eine querschnittliche Langzeitstudie mit jährlichen Erhebungswellen ab<br />

1997. Ziel ist die Erfassung von Einstellungen, Wünschen und Meinungen der <strong>Kinder</strong>. Im Buch der LBS-Initiative<br />

Junge Familie (2001) werden die Ergebnisse der Erhebungsjahre 1998-2000 zusammengefasst. Die Stichprobe<br />

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