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ein dünnes Rinnsal. Aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Ferne weht <strong><strong>de</strong>r</strong> Wind <strong>de</strong>n Gesang von buddhistischen Chören herüber,<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> aus <strong>de</strong>n Lautsprechern einer Gon<strong>de</strong>lbahn dringt, mal leise, mal etwas lauter. Shi Yankai schaut<br />
sich kurz um, rafft Kutte und Beinkleid hoch und springt leicht und locker über ein paar Steine zu<br />
einem Felsbrocken in <strong><strong>de</strong>r</strong> Wasserstelle. „Ich liebe diesen Ort“, sagt er leise.<br />
Den Meister zieht es häufig an diesen versteckt liegen<strong>de</strong>n, idyllischen Platz in <strong><strong>de</strong>r</strong> Natur. Hier kann er<br />
in fast himmlischer Ruhe meditieren o<strong><strong>de</strong>r</strong> Shaolin-Qigong durchführen. Er setzt sich in <strong>de</strong>n Lotussitz,<br />
kreuzt die Beine übereinan<strong><strong>de</strong>r</strong>, schließt die Augen und beginnt mit <strong>de</strong>n ersten vorbereiten<strong>de</strong>n<br />
Bewegungen. Shi Yankai, gut 1,70 Meter groß, ist muskulös und bestens durchtrainiert. Alle Fasern<br />
seines Körpers wer<strong>de</strong>n jetzt mit Energie geflutet. Täglich praktiziert er Shaolin-Qigong und auch<br />
Kung-Fu. „Ich mache diese Übungen lei<strong><strong>de</strong>r</strong> viel zu wenig“, glaubt er. Es gibt sehr viele unterschiedliche<br />
Qigong-Formen. Er beherrscht sie fast alle. Er ist sowohl ein Meister <strong>de</strong>s Shaolin-Qigong als auch<br />
<strong>de</strong>s Kung-Fu.<br />
Seit Shi Yankai die Funktion eines Leiten<strong>de</strong>n Mönchs mit <strong>de</strong>n zahlreichen Aufgaben übernommen hat,<br />
fallen seine Übungen tatsächlich etwas knapper aus. Zu sehr beanspruchen ihn die administrativen<br />
Anfor<strong><strong>de</strong>r</strong>ungen. Shi Yanlin, <strong><strong>de</strong>r</strong> Chef <strong>de</strong>s medizinischen Zentrums <strong>de</strong>s Tempels, steht in <strong><strong>de</strong>r</strong> Hierarchie<br />
<strong>de</strong>s Tempels mit ihm auf <strong><strong>de</strong>r</strong> gleichen Ebene. Auch er ist ein Leiten<strong><strong>de</strong>r</strong> Mönch und hat nahezu die<br />
gleichen Kompetenzen.<br />
Neben diesen bei<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>m Abt gehören acht sogenannte Abteilungsleiter zum offiziellen Leitungsgremium<br />
<strong>de</strong>s Tempels. Sie sind unter an<strong><strong>de</strong>r</strong>em für die Verpflegung <strong><strong>de</strong>r</strong> Mönche, das Empfangsbüro,<br />
das Protokoll, das Meditationszentrum, <strong>de</strong>n Verkauf von Artikeln, die Ausbildung <strong><strong>de</strong>r</strong> Kung-Fu-<br />
Mönche und für die Disziplin verantwortlich. Sie bestimmen weitgehend die Politik und Verwaltung<br />
<strong>de</strong>s legendären Shaolin-Tempels.<br />
Die Mönche in <strong>de</strong>n offiziellen Leitungsfunktionen unterliegen einer strengen <strong>de</strong>mokratischen Kontrolle.<br />
Jährlich wird ihre Arbeit überprüft und bewertet. Ob sie in ihrem Verantwortungsbereich weiter<br />
agieren dürfen, eine neue Funktion übernehmen sollen o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar ihren Job wie<strong><strong>de</strong>r</strong> verlieren, hängt<br />
davon ab, ob sie gute o<strong><strong>de</strong>r</strong> schlechte Arbeit geleistet haben. Darüber urteilen alle Mönche in ihrer<br />
großen Jahresversammlung. Zwar hat <strong><strong>de</strong>r</strong> Abt ein Vorschlagsrecht, doch die gesamte Gemeinschaft<br />
muss mehrheitlich seine Empfehlung bestätigen. Die Demokratie <strong>de</strong>s Zenbuddhismus sorgt allemal<br />
für spannen<strong>de</strong> Konvente, <strong>de</strong>nn Mönche sind starke Individualisten.<br />
Rund 500 Shaolin-Mönche gehören <strong>de</strong>m Tempel an. Nicht alle sind gleichzeitig anwesend. Einige<br />
reisen durch das Land, an<strong><strong>de</strong>r</strong>e bauen neue Tempel auf o<strong><strong>de</strong>r</strong> setzen die alten wie<strong><strong>de</strong>r</strong> instand.<br />
Min<strong>de</strong>stens 300 Mönche sind jedoch ständig hier vor Ort. Weltweit gibt es <strong><strong>de</strong>r</strong>zeit mehr als 700<br />
Shaolin-Mönche.<br />
Der Zenbuddhismus ist extrem liberal. Letztendlich kann je<strong><strong>de</strong>r</strong> Mönch tun und lassen, was er will.<br />
Je<strong><strong>de</strong>r</strong> entschei<strong>de</strong>t selbst, wann er sich wo aufhält, im Shaolin-Tempel, in einem Ableger, auf Wan<strong><strong>de</strong>r</strong>schaft<br />
o<strong><strong>de</strong>r</strong> wo auch immer. Entschei<strong>de</strong>nd ist die Einhaltung <strong><strong>de</strong>r</strong> zenbuddhistischen Grundregeln. So<br />
ernähren sich Shaolin-Mönche vegetarisch, trinken keinen Alkohol und haben ein Keuschheitsgelüb<strong>de</strong><br />
abgelegt.<br />
Zum Grundkonsens gehört auch, dass „je<strong><strong>de</strong>r</strong> Mönch <strong>de</strong>m Tempel dient, <strong>de</strong>nn hier fallen sehr viele<br />
Arbeiten an“, sagt Shi Yankai. Dafür stellt das Shaolin-Kloster eine Unterkunft zur Verfügung und<br />
sorgt für die Kleidung und die Verpflegung. Gera<strong>de</strong> mal 200 Yuan (rund 23 Euro) erhält ein einfacher<br />
Mönch pro Monat für die Begleichung seines Lebensunterhalts. Abteilungsleiter und Leiten<strong>de</strong> Mönche<br />
erhalten das Doppelte, 400 Yuan (46 Euro). Mit diesem Taschengeld muss je<strong><strong>de</strong>r</strong> zurechtkommen.<br />
Handy, Tee, Laptop o<strong><strong>de</strong>r</strong> an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Dinge wer<strong>de</strong>n davon bezahlt. Zusätzliche persönliche <strong>Ausgabe</strong>n<br />
können sich die Mönche nur dann leisten, wenn sie Spen<strong>de</strong>n erhalten. Unterstützung erfahren einige<br />
von ihren Schülerinnen und Schülern. Sie kommen meist aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Umgebung <strong>de</strong>s Klosters o<strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>de</strong>n<br />
Heimatorten <strong><strong>de</strong>r</strong> Geistlichen und wer<strong>de</strong>n von diesen über <strong>de</strong>n buddhistischen Glauben unterrichtet.<br />
www.eXperimenta.<strong>de</strong><br />
16 Juni 2013