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Text <strong>de</strong>n Begriff „Intertextualität“ geprägt, einen Begriff, <strong>de</strong>n Sie sicher schon gehört haben.<br />

Soweit, liebe eXperimeta Leserinnen und Leser das erste Beispiel zur Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne.<br />

Das zweite literarische Beispiel stammt aus <strong><strong>de</strong>r</strong> Lyrik. Es ist ein Gedicht <strong>de</strong>s 2006 verstorbenen<br />

<strong>de</strong>utschen Schriftstellers Robert Gernhardt und trägt <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong>zu barock anmuten<strong>de</strong>n Titel<br />

„Materialien zu einer Kritik <strong><strong>de</strong>r</strong> bekanntesten italienischen Gedichtform“. Das Gedicht, das sich<br />

zunächst wie ein poetischer Ulk liest, lautet folgen<strong><strong>de</strong>r</strong>maßen:<br />

Sonette find ich so was von beschissen,<br />

so eng, rigi<strong>de</strong>, irgendwie nicht gut;<br />

es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,<br />

dass wer Sonette schreibt. Dass wer <strong>de</strong>n Mut<br />

hat, heute noch so dumpfen Scheiss zu bauen;<br />

allein <strong><strong>de</strong>r</strong> Fakt, dass so ein Typ das tut,<br />

kann mir in echt <strong>de</strong>n ganzen Tag versauen.<br />

Ich hab da eine Sperre. Und die Wut<br />

darüber, dass so’n abgefuckter Kacker<br />

mich mittels seiner Wichserein blockiert,<br />

schafft in mir Aggressionen auf <strong>de</strong>n Macker.<br />

Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.<br />

Ich tick es echt nicht. Und will‘s echt nicht wissen:<br />

Ich find Sonette unheimlich beschissen.<br />

Von <strong><strong>de</strong>r</strong> Form her ist dieses Gedicht ein Sonett. Das Gedicht sagt es ja auch selber: Das ist ein<br />

Sonett. Die vierzehn Zeilen verteilen sich auf zwei Quartette und zwei Terzette. Nun wissen wir<br />

aber, dass das Sonett, bedingt vor allem durch seine strenge metrische Form, in <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen<br />

Lyrik, spätestens nach Rainer Maria Rilke und Stefan George, mit wenigen Ausnahmen, als<br />

unzeitgemäß, als veraltet galt. Wenn nun ein Robert Gernhardt die aus Italien stammen<strong>de</strong>, über<br />

600 Jahre alte Sonettform gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 20.<br />

Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>ts wie<strong><strong>de</strong>r</strong> aufnimmt, so be<strong>de</strong>utet das<br />

zunächst eine Rückkehr zur lyrischen Tradition.<br />

Wenn er diese Sonettform inhaltlich aber<br />

gleichzeitig negiert – „Sonette find ich so was von<br />

beschissen“ –, wenn hier also Form und Inhalt<br />

auseinan<strong><strong>de</strong>r</strong>fallen, dann ist das Ganze nur noch<br />

als parodistisches Spiel zu werten, ähnlich etwa<br />

<strong>de</strong>m Spiel, das <strong><strong>de</strong>r</strong> österreichische Autor Christoph<br />

Ransmayr in seinem vermeintlich historischen<br />

Roman „Die letzte Welt“ veranstaltet, wenn er<br />

dort <strong>de</strong>n römischen Dichter Ovid, bekanntlich<br />

Juni 2013 59<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong><br />

Reinhard Stammer News of the day 50x70 2012

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