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ein Zeitgenosse von Kaiser Augustus, völlig<br />
anachronistisch „vor einen Strauss schimmern<strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Mikrophone“ treten und zu <strong>de</strong>n Bürgern von<br />
Rom sprechen lässt. Bei<strong>de</strong> Male haben wir es<br />
mit einem typisch postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Schreiben<br />
zu tun: Wie<strong><strong>de</strong>r</strong>aufnahme historischer Formen -<br />
bei Gernhardt ist es die Form <strong>de</strong>s Sonetts, bei<br />
Ransmayr die <strong>de</strong>s historischen Romans -, aber<br />
so, dass daraus ein parodistisches Spiel mit<br />
diesen Formen wird.<br />
An diesen bei<strong>de</strong>n Beispielen ließ sich sehr schön<br />
zeigen, was das Wesen <strong><strong>de</strong>r</strong> literarischen Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne<br />
ist: Nicht Verleugnung <strong><strong>de</strong>r</strong> Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne<br />
und Rückkehr zur Tradition, kein vormo<strong><strong>de</strong>r</strong>nes<br />
Schreiben also. „Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne“ meint etwas an<strong><strong>de</strong>r</strong>es;<br />
sie meint das Bestreben, sich <strong><strong>de</strong>r</strong> Gestaltungsmittel<br />
<strong><strong>de</strong>r</strong> Tradition zu bedienen, aber nicht<br />
naiv, son<strong><strong>de</strong>r</strong>n gewissermaßen durch die Brille <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne.<br />
Reinhard Stammer People are people 50x50 2012<br />
Soweit einige Ausführungen zur literarischen<br />
Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne. Sind wir noch mitten in dieser Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, o<strong><strong>de</strong>r</strong> geht die Epoche ihrem En<strong>de</strong><br />
zu? Längst fehlt es nicht mehr an Diagnosen, die an <strong><strong>de</strong>r</strong> Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne Alterungserscheinungen<br />
festgestellt haben. Man spricht dann gerne von einer Krise <strong><strong>de</strong>r</strong> Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, so wie man einst,<br />
zu Beginn <strong><strong>de</strong>r</strong> Nachkriegsmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, von einer Krise <strong>de</strong>s Romans, <strong>de</strong>s Theaters gesprochen hat.<br />
Und bereits sind die Schnell<strong>de</strong>nker wie<strong><strong>de</strong>r</strong> am Werk und re<strong>de</strong>n halb ironisch, halb ernst von einer<br />
postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne o<strong><strong>de</strong>r</strong> gar von einer Post-Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne. Es scheint überhaupt, als ob die<br />
„Post“-Begriffe heute Hochkonjunktur hätten. Neben <strong><strong>de</strong>r</strong> „Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne“ ist da allenthalben von<br />
„Poststrukturalismus“, von „Posthistorie“, von „Postindustrialismus“,<br />
von „postdramatischem Theater“ usw. die Re<strong>de</strong>;<br />
fehlt da nur noch, dass wir <strong>de</strong>mnächst noch von einem postbayrischen<br />
Allgäu sprechen.<br />
Wie es um all diese Postismen auch bestellt sein mag,<br />
eines ist sicher: Nach <strong><strong>de</strong>r</strong> Postmo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne kommt wie<strong><strong>de</strong>r</strong> die<br />
Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne; freilich eine an<strong><strong>de</strong>r</strong>e Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, als wir sie als sog.<br />
klassische Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne vor und nach <strong>de</strong>m Zweiten Weltkrieg<br />
kennen – eine Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne, die beispielsweise nicht mehr<br />
behauptet, das Erzählen mache keinen Spaß mehr, weil unsere<br />
heutige Welt unerzählbar gewor<strong>de</strong>n sei, die im Gegenteil<br />
eine neu gewonnene Unbefangenheit <strong>de</strong>s Erzählens, ja ein<br />
neues Vertrauen in die Fiktion, in die Möglichkeit, unsere<br />
gesellschaftliche Wirklichkeit literarisch darzustellen, an <strong>de</strong>n<br />
Tag legt. Schönste Beispiele für dieses neue Vertrauen in die<br />
Erzählbarkeit unserer Welt, für diese neue Lust am Erzählen<br />
sind in <strong><strong>de</strong>r</strong> neueren und neuesten <strong>de</strong>utschsprachigen Prosa<br />
etwa die Romane und Erzählungen von Judith Hermann,<br />
Martin Walser, Marlene Streeruwitz, Norbert Gstrein, Daniel<br />
Kehlmann, Michael Köhlmeier, Peter Stamm, Joachim Zelter<br />
und Felicitas Hoppe. Um hier nur einige von zahlreichen<br />
möglichen Beispielen zu nennen.<br />
Prof. Dr. Mario Andreotti, geb. 1947, lehrt in<br />
St. Gallen und Zürich neuere <strong>de</strong>utsche Lite-<br />
ratur und ist Gastdozent an <strong><strong>de</strong>r</strong> Pädagogi-<br />
schen Hochschule Vorarlberg. Er ist überdies<br />
Mitglied verschie<strong>de</strong>ner Literaturkommissionen<br />
und publiziert regelmässig zu Themen seines<br />
Faches. Sein Buch Die Struktur <strong><strong>de</strong>r</strong> mo<strong><strong>de</strong>r</strong>nen<br />
Literatur gilt als Standardwerk <strong><strong>de</strong>r</strong> literarischen<br />
Mo<strong><strong>de</strong>r</strong>ne. Bastian Exner<br />
60 Juni 2013