Du lebst nur zweimal
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Ian Fleming<br />
Abendausgabe der Asahi diesen Bericht über den Selbstmörder gelesen?« fragte<br />
er.<br />
42<br />
»Nein.«<br />
»Ein achtzehnjähriger Student, der zum zweitenmal bei der Prüfung versagt<br />
hatte. Er wohnte in einem Außenbezirk von Tokio. Man baut dort gerade<br />
ein neues departmento, ein Warenhaus. Er ging zum Bauplatz, auf dem eine<br />
Pfahlramme Stützen für die Fundamente einschlägt. Plötzlich drängte er sich<br />
durch die umstehenden Arbeiter und legte seinen Kopf auf einen Block unter die<br />
herabsausende Ramme.«<br />
»Das ist ja grauenvoll! Und warum?«<br />
»Er hatte Schande über seine Eltern und seine Ahnen gebracht. Das war seine<br />
Sühne. Selbstmord ist eine sehr bedauerliche Seite der japanischen Lebensweise.«<br />
Tiger dachte einen Moment nach. »Vielleicht aber auch eine sehr vornehme! Es<br />
hängt ganz davon ab, wie man es ansieht. Dieser Junge und seine Familie haben<br />
in ihrer Nachbarschaft viel ›Gesicht‹ gewonnen.«<br />
»Man kann doch durch ein zerquetschtes Hirn kein ›Gesicht« gewinnen!«<br />
»Wir sind hier nicht so demokorasu wie ihr.« In Tigers Stimme schwang Ironie<br />
mit. »Schande muß getilgt werden – wenigstens nach der Ansicht jener unter uns,<br />
die Sie als altmodisch bezeichnen würden. Es gibt keine aufrichtigere Sühne als<br />
das Opfer des eigenen Lebens.«<br />
»Wenn man bei uns in England durchs Examen fällt, sagt man ›verdammt!‹<br />
oder gebraucht vielleicht einen noch stärkeren Kraftausdruck. Aber dann passen<br />
wir uns den Gegebenheiten an und versuchen was Neues. Wir bringen uns nicht<br />
einfach um, keinem Menschen würde das einfallen. Das wäre geradezu ehrlos. Es<br />
wäre feig – eine Flucht vor Schwierigkeiten, vor dem Leben. Außerdem würde<br />
es unseren Eltern großen Schmerz bereiten und unsere Ahnen keineswegs<br />
zufriedenstellen.«<br />
»Bei uns ist es gerade umgekehrt, Bondo-san. Trotz demokorasu werden die<br />
Eltern dieses Jungen heute abend zusammen mit den Nachbarn feiern. Ehre<br />
bedeutet uns mehr als das Leben.«<br />
Bond zuckte die Achseln. »Diese Häufung von Selbstmorden in Japan ist doch<br />
weiter nichts als eine Art Hysterie – ein Ausdruck der Gewalttätigkeit, die sich<br />
durch die ganze japanische Geschichte zu ziehen scheint. Wenn ihr das eigene<br />
Leben so wenig achtet, dann folgt daraus doch, daß ihr das Leben anderer noch<br />
weniger achtet.«<br />
»Wenn Selbstmord auch eine gewaltsame Lösung für ein persönliches Problem<br />
darstellt, wird er bei uns keineswegs verachtet wie in Ihrer Heimat. Eine unserer<br />
berühmtesten Sagen, die jedes Kind kennt, handelt von den siebenundvierzig<br />
Leibwächtern, deren Herr wegen ihrer Unachtsamkeit ermordet wurde. Sie