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Bildungsungleichheiten und Bildungsarmut in Deutschland

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Fachhochschule Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

University of Applied Science<br />

Fachbereich Soziale Arbeit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit<br />

Studiengang Sozialarbeit<br />

Nibelungenplatz 1<br />

60318 Frankfurt am Ma<strong>in</strong><br />

<strong>Bildungsungleichheiten</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildungsarmut</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Sem<strong>in</strong>argruppe im Streiksemester<br />

WS 2003_2004<br />

Leitung: Prof. Dr. Andreas Klocke<br />

Studierende:<br />

M<strong>in</strong>ou Arjomand<br />

Marcus Gillhofer<br />

Vanessa Hoffmeister<br />

Wiebke Juister<br />

Daniel Muchowski<br />

Sven Pluta<br />

Sab<strong>in</strong>e Schmidt<br />

Sab<strong>in</strong>e Schröer<br />

Beate Schneider<br />

Timo Tratzki<br />

Alexandra Vieth<br />

Januar 2004<br />

1


E<strong>in</strong>leitung<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Armut <strong>und</strong> <strong>Bildungsungleichheiten</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

1.1. Was ist Bildung<br />

1.2. Geschichte der Bildungspolitik <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />

1.3. E<strong>in</strong>kommensarmut gleich <strong>Bildungsarmut</strong>?<br />

1.4. Armut <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> seit 1980<br />

1.5. Konsequenzen der Armut für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

1.6. Armut – Auslöser für Bildungserfolg?<br />

1.7. Prävention <strong>und</strong> Maßnahmen für die Praxis der Intervention<br />

1.8. Aktuelle Situation der Verflechtung von Bildung <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />

1.9. <strong>Bildungsarmut</strong> <strong>und</strong> ihre Messung<br />

1.10. Kompetenzverteilung <strong>und</strong> Ursachen für <strong>Bildungsungleichheiten</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Bildungsarmut</strong><br />

2 Die PISA Studie<br />

2.1. PISA – Programme for International Student Assessment<br />

2.1.1 Die soziale Herkunft/Indikatoren der sozialen Herkunft<br />

2.1.2 Soziale Lage <strong>und</strong> Bildungsniveau der Familien<br />

2.1.3 Soziale Herkunft <strong>und</strong> Bildungsbeteiligung<br />

2.2. Ethnische <strong>und</strong> geschlechtsspezifische Unterschiede der Bildungsbeteiligung<br />

2.2.1 Statistischer Vergleich nach Abschlussarten<br />

2.2.2 Vergleich – Abschlüsse nach ethnischer Herkunft<br />

2.2.3 Wie kommt es zu Unterschieden <strong>in</strong> der Bildungsbeteiligung?<br />

2.3. Geschlechtsspezifische Unterschiede der Bildungsbeteiligung<br />

2.3.1 Geschlechtsunterschiede im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

2.3.2 Differenzielle Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>in</strong>nerhalb der Leistungsbereiche<br />

2.3.3 Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong>nerhalb der Bildungsgänge<br />

2.3.4 Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong> Lesegewohnheiten <strong>und</strong> motivationalen<br />

Merkmalen<br />

3 Schulsozialarbeit - was ist das?<br />

3.1. Elfter K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendbericht<br />

3.1.1 Bildungsmöglichkeiten <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

3.1.2 Wandel der Bildungsstrukturen<br />

3.2. Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen der Schulsozialarbeit<br />

3.2.1 Arbeitsfelder der Schulsozialarbeit<br />

3.2.2 Kooperation <strong>in</strong> der Schule<br />

3.2.3 Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Schulsozialarbeit<br />

3.2.4 Ausbau von Schulsozialarbeit<br />

3.3. Halbtagsschule oder Ganztagsschule<br />

3.3.1 Rückblick<br />

3.3.2 Entwicklung<br />

3.3.3 Problematik der Halbtagsschule<br />

3.3.4 Berufsbild Lehrer/Innen – Erzieher/Innen<br />

2


3.3.5 Abschlussbemerkung<br />

4 Bildungspolitik <strong>und</strong> Reformvorschläge der Parteien<br />

4.1 Folgerungen für die Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik aus der PISA-Studie<br />

4.2 Position der Parteien zu Bildungspolitik<br />

4.2.1. Position der CDU/CSU Bildungspolitik<br />

4.2.2. Reformen <strong>und</strong> Pläne der SPD<br />

4.2.3. Bildungspolitik der GRÜNEN<br />

4.2.4. Bildunspolitik der PDS von Berl<strong>in</strong> 2002<br />

4.2.5. Vorschläge der FDP zu Bildunspolitik<br />

4.3 Konzepte <strong>und</strong> Pläne der Parteien für die Ganztagsschule<br />

4.3.1. Die Haltung der CDU<br />

4.3.2. Das Programm der SPD<br />

4.3.3. Die Position der GRÜNEN<br />

4.3.4. Me<strong>in</strong>ung der PDS<br />

4.3.5. Aussage der FDP<br />

5 Zentrale Ergebnisse<br />

Literaturverzeichnis<br />

3


1 EINLEITUNG<br />

Die vorliegende Zusammenstellung e<strong>in</strong>zelner Arbeitsergebnisse zur Bildungsungleichheit <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> wurde im Rahmen e<strong>in</strong>er Lehrveranstaltung im Streiksemester WS 2003_04 im<br />

Studiengang Sozialarbeit des Fachbereichs 4 "Soziale Arbeit <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit" an der<br />

Fachhochschule Frankfurt am Ma<strong>in</strong> verfasst. Das ursprüngliche Semesterprogramm wurde<br />

nach den ersten Streikwochen zwischen Studierenden <strong>und</strong> Dozenten e<strong>in</strong>vernehmlich<br />

geändert <strong>und</strong> im Zuge des „aktiven Streiks“ wurde <strong>in</strong> den verbleibenden Sitzungen e<strong>in</strong><br />

geme<strong>in</strong>samer Text erstellt.<br />

Der Text wurde <strong>in</strong> 5 Term<strong>in</strong>en (zu je 3 Std.) von den Studierenden eigenständig verfasst. Er<br />

basiert auf Arbeiten e<strong>in</strong>er 11-köpfigen Studierendengruppe, die <strong>in</strong> vier Gruppen die Themen<br />

berabeiteten. Die folgenden Kapitel berichten <strong>in</strong> kurzer <strong>und</strong> knapper Form über die zentralen<br />

Ergebnisse. Dabei steht nicht e<strong>in</strong>e umfassende Berichterstattung oder Theoriearbeit im<br />

Vordergr<strong>und</strong>, sondern es werden die Arbeitsergebnisse aus der Streiksituation präsentiert. Bei<br />

der Auswahl der Themen haben wir uns davon leiten lassen, zum e<strong>in</strong>en Themenfelder zu<br />

wählen, die aus aktueller Perspektive als besonders bedeutsam anzusehen s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> zum<br />

anderen der Gruppengröße (drei Personen) e<strong>in</strong>e kooperative <strong>und</strong> konstruktive Bearbeitung<br />

erlaubte.<br />

Frankfurt am Ma<strong>in</strong> im Januar 2004<br />

Andreas Klocke<br />

4


1. Armut <strong>und</strong> <strong>Bildungsungleichheiten</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

1.1 Was ist Bildung?<br />

E<strong>in</strong>führend <strong>in</strong> das Thema <strong>Bildungsarmut</strong> stellt sich die Frage: „Was ist Bildung?“<br />

Im Internet f<strong>in</strong>det sich unter www.net-lexikon.de/Bildung.html folgende Def<strong>in</strong>ition:<br />

„Bildung ist die bewusste, planmässige Entwicklung der natürlich vorhandenen geistigen<br />

Anlagen e<strong>in</strong>er Person, <strong>in</strong>sbesondere die Aneignung oder Vermittlung von Kenntnissen,<br />

Erkenntnissen <strong>und</strong> Erfahrungen. Auch der durch diese Entwicklung erreichte Zustand wird<br />

Bildung genannt.“ [www.net-lexikon.de/bildung.html] vom 14.01.2004<br />

1.2 Geschichte der Bildungspolitik <strong>und</strong> Sozialpolitik <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> verglichen mit<br />

anderen Industriestaaten<br />

In <strong>Deutschland</strong> waren die Sozialpolitik <strong>und</strong> die Bildungspolitik schon immer <strong>in</strong> zwei getrennten<br />

Ressorts untergebracht. Das brachte uns <strong>in</strong> der Bildungspolitik e<strong>in</strong>en Standortnachteil. So gilt<br />

<strong>in</strong> Großbritannien bereits seit dem 2. Weltkrieg Sozialpolitik als soziale Sicherung <strong>und</strong><br />

Bildungspolitik (social policy = social security + education). Die Reform des Wohlfahrtsstaates<br />

g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> den angelsächsischen Ländern gleichzeitig mit e<strong>in</strong>er Bildungsreform e<strong>in</strong>her. Da das<br />

Bildungswesen <strong>in</strong> den USA bereits im 19. Jhdt. als Sozialstaatsersatz betrachtet wurde, wirkt<br />

sich dies dort noch heutzutage <strong>in</strong> der Bildungspolitik als Vorteil aus. (vgl. Allmend<strong>in</strong>ger <strong>und</strong><br />

Leibfried S. 12)<br />

Allerd<strong>in</strong>gs müssen wir kritisch h<strong>in</strong>zufügen, dass gerade <strong>in</strong> den USA die Bildung<br />

sozialraumbed<strong>in</strong>gt unter E<strong>in</strong>flüssen, wie z.B. Krim<strong>in</strong>alität, Verrohung <strong>und</strong> anderen<br />

ungünstigen Bed<strong>in</strong>gungen im Umfeld leidet.<br />

In der B<strong>und</strong>esrepublik setzte unabhängig vone<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> den 50er Jahren e<strong>in</strong>e Sozialreform<br />

e<strong>in</strong> (die <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e Rentenreform war) <strong>und</strong> <strong>in</strong> den 70er Jahren e<strong>in</strong>e Bildungsreform.<br />

1.3 E<strong>in</strong>kommensarmut gleich <strong>Bildungsarmut</strong>?<br />

Lt. Lange/Lauterbach/Becker leiden vornehmlich Familien mit m<strong>in</strong>derjährigen K<strong>in</strong>dern unter<br />

starken Armutsrisiken. Aufgr<strong>und</strong> der Arbeitslosigkeit oder verm<strong>in</strong>derter E<strong>in</strong>kommen der - auch<br />

alle<strong>in</strong>erziehenden <strong>und</strong> daher nur beschränkt arbeitsfähigen - Elternteile ist im Westen seit<br />

Anfang der 80er <strong>und</strong> im Osten <strong>Deutschland</strong>s seit Beg<strong>in</strong>n der 90er Jahre die strukturelle Armut<br />

der K<strong>in</strong>der stark gestiegen. Dadurch werden lt. neuen wissenschaftlichen Ergebnissen<br />

Gestaltung des Alltages, zukünftige Lebenschancen <strong>und</strong> persönliche Entwicklung von K<strong>in</strong>dern<br />

stark be<strong>in</strong>flußt.<br />

Der 5. Familienbericht hebt daher hervor, dass gerade auf Fähigkeiten <strong>und</strong> Kompetenzen von<br />

K<strong>in</strong>dern zu achten ist <strong>und</strong> diese gefördert werden sollen. Dies ist essentiell wichtig für das<br />

Wachstum e<strong>in</strong>er Gesellschaft.<br />

Durch wachsende Armut vieler Familien s<strong>in</strong>d diese Ziele jedoch mehr <strong>und</strong> mehr gefährdet:<br />

Nicht nur schulische Bildung -<strong>und</strong> somit BiLdungschancen - sondern auch Erziehung <strong>und</strong><br />

Sozialisation s<strong>in</strong>d durch Fehlen ökonomischer Ressourcen extrem bee<strong>in</strong>trächtigt.<br />

1.4 Armut <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> seit 1980<br />

In Westdeutschland s<strong>in</strong>d mehr als zwei Drittel aller alle<strong>in</strong>erziehenden Haushalte <strong>und</strong> fast die<br />

Hälfte aller Paarhaushalte mit K<strong>in</strong>dern Bezieher niedriger E<strong>in</strong>kommen gewesen. Dies lässt<br />

sich seit Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahre beobachten. Die 90er Jahre <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

fallen ebenso prägnant aus. Der Anteil armer Haushalte hat sich zwischen 1990 <strong>und</strong> 1998<br />

dort mehr als verdoppelt, ist im Vergleich zu Westdeutschland jedoch deutlich ger<strong>in</strong>ger<br />

5


geblieben. Laut Me<strong>in</strong>ung der Autoren kann man im Osten erstens von e<strong>in</strong>er homogeneren<br />

Verteilung der E<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong> den Haushalten <strong>und</strong> zweitens von e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>geren<br />

ausländischen Bevölkerungsanteil ausgehen. Letzteres br<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>s Westen<br />

überproportionale Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Armutsrisiken mit sich.<br />

Laut Dr. Peter Kupka s<strong>in</strong>d z.B. die K<strong>in</strong>der von E<strong>in</strong>wandererfamilien sowohl schulisch als<br />

auch <strong>in</strong> der Ausbildung extrem benachteiligt. Der Anteil ausbildungsloser Jugendlicher bei<br />

Ausländern ist se<strong>in</strong>en Recherchen zufolge mehr als dreimal so hoch wie bei den Deutschen.<br />

Frappierend ist: Die Altersarmut der 60er <strong>und</strong> 70er Jahre hat sich seit Anfang der 80er mehr<br />

<strong>und</strong> mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Armut <strong>und</strong> auch <strong>Bildungsarmut</strong> der K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen entwickelt. Der<br />

Schwerpunkt der Sozialhilfebezüge verlagert sich seitdem auf Familien mit K<strong>in</strong>dern,<br />

besonders aber auf Alle<strong>in</strong>erziehenden-Haushalte.<br />

K<strong>in</strong>derreiche Familien bilden aber laut Lauterbach/Lange/Becker <strong>in</strong> beiden Teilen<br />

<strong>Deutschland</strong>s e<strong>in</strong>e hohe Risikogruppe. Jedes zweite K<strong>in</strong>d solcher Herkunft bef<strong>in</strong>det sich<br />

unterhalb der Armutsgrenze. Besonders Schulk<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d von der defizitären ökonomischen<br />

Situation des Elternhauses stark betroffen; diese s<strong>in</strong>d überrepräsentativ vorhanden,<br />

gemessen an der Gesamtbevölkerung.<br />

E<strong>in</strong>kommenslage der 10- bis 12jährigen bzw. 13jährigen Schulk<strong>in</strong>der beim Übergang von der<br />

Gr<strong>und</strong>schule <strong>in</strong> die Sek<strong>und</strong>arstufe 1<br />

Westdeutschland<br />

(1984 - 1995)<br />

Ostdeutschland<br />

(1990 – 1995)<br />

In Armut lebend 13,7 7,0<br />

In prekärem Wohlstand lebend 16,5 14,0<br />

In gesichertem Wohlstand lebend 69,8 79,0<br />

Insgesamt 100 100<br />

Fallzahl 1 494 516<br />

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel (DIW, Berl<strong>in</strong>): Welle 1-2 (West) bzw. Welle 1-6 (Ost)<br />

-eigene Berechnungen, <strong>in</strong> „Armut <strong>und</strong> Bildungschancen“<br />

Lange/Lauterbach/Becker : 2002, Seite 157<br />

1.5 Konsequenzen der Armut für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

Evident ist, dass Familien sich aufgr<strong>und</strong> ihrer wirtschaflichen Situation e<strong>in</strong>schränken müssen<br />

<strong>und</strong> ihre Bedürfnisse <strong>und</strong> Ausgaben dementsprechend anzupassen haben. Dadurch<br />

verr<strong>in</strong>gern sich zum Beispiel Ausgaben für Kultur, soziale Integration <strong>und</strong> Bildungserwerb <strong>und</strong><br />

werden zugunsten von Unterkunft <strong>und</strong> Wohnung h<strong>in</strong>tangestellt. Gerade bei Familien aus<br />

unteren sozialen Schichten mit niedrigem Bildungsstand ist dies zu beobachten. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus wird ungern <strong>in</strong> längerfristige, den Fähigkeiten <strong>und</strong> Interessen der K<strong>in</strong>der gemäße<br />

Bildung <strong>in</strong>vestiert, wenn der Nutzen nicht gewiss ist.<br />

Es herrscht nämlich immer noch – so Kupka – die Idee e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>heitlichen Niveaus von<br />

Leistungsanforderungen vor; der so vielgerühmte gute Hauptschüler soll eigentlich <strong>in</strong> der<br />

Lage se<strong>in</strong>, alle Ausbildungsberufe zu erlernen, ist dies jedoch leider schon lange nicht mehr.<br />

Diese Tendenz droht sich durch generell steigende Anforderungen <strong>in</strong> den meisten<br />

Ausbildungsberufen zu verstärken. So werden K<strong>in</strong>der aus niedrigen sozialen Schichten <strong>in</strong><br />

kurze aber sche<strong>in</strong>bar sichere Schulausbildung <strong>und</strong> Ausbildungsbahnen gedrängt, was weitere<br />

<strong>Bildungsarmut</strong> mit sich führt. Lt. Lauterbach/Lange <strong>und</strong> Becker existieren dort mannigfaltige<br />

Armutsauswirkungen; physische <strong>und</strong> psychische Folgen s<strong>in</strong>d hier weitaus öfter zu beobachten<br />

als <strong>in</strong> besser situierten Familien. Nicht nur schlechte Ernährung, stärkerer Zahnausfall <strong>und</strong><br />

ger<strong>in</strong>gere sportliche Betätigung bee<strong>in</strong>trächtigen das Wohlbef<strong>in</strong>den der K<strong>in</strong>der. Auch<br />

mangelndes Selbstwertgefühl aufgr<strong>und</strong> sozialer Vergleiche fließen dort mith<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

6


Studien belegen darüber h<strong>in</strong>aus allgeme<strong>in</strong>en Intelligenzmangel, Verlust sozialer<br />

Kompetenzen, Sprachunfähigkeit <strong>und</strong> schlechtere Schulleistungen. Ausschlaggebend für die<br />

Stärke dieser Faktoren s<strong>in</strong>d natürlich auch Dauer <strong>und</strong> Stärke der Armut.<br />

Extrem wichtig s<strong>in</strong>d -so die Autoren- die Schnittstellen, also der Übergang von Gr<strong>und</strong>schule <strong>in</strong><br />

den Sek<strong>und</strong>arbereich. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Fortan ist schon vorhandene<br />

<strong>Bildungsarmut</strong> kaum mehr zu kompensieren; die Elite beschreibt ihre vorgefertigten<br />

Lebenswege, während K<strong>in</strong>der niedriger sozialer Schichten wieder nur auf Positionen mit<br />

Niedriglöhnen h<strong>in</strong>arbeiten können. Die (Re-) Produktion des Humanvermögens <strong>und</strong> somit die<br />

Sicherstellung f<strong>in</strong>anzieller Ressourcen dieser K<strong>in</strong>der missl<strong>in</strong>gt erneut – wie auch schon zuvor<br />

bei deren Elternteilen.<br />

Bildungsübergänge <strong>in</strong> den Sek<strong>und</strong>arbereich I <strong>und</strong> II<br />

– nur Westdeutschland (1984 -1995)<br />

Gesicherter<br />

Wohlstand<br />

Prekärer Wohlstand In Armut lebend<br />

Jungen Mädchen Jungen Mädchen Jungen Mädchen<br />

Sek<strong>und</strong>arbereich I<br />

Gr<strong>und</strong>schule-Hauptschule 43,9 33,3 58,4 55,7 63,6 80,4<br />

Sek<strong>und</strong>arbereich II<br />

Hauptschule – ke<strong>in</strong>e Lehre 5,6 14,5 11,3 19,2 17 19,9<br />

10.Klasse Realschule/Gymnasium<br />

-Lehre 40,9 49,1 63 60,7 44 58,1<br />

10.Klasse Gymnasium -ke<strong>in</strong>e<br />

Lehre 2,2 2,1 0 3,6 8 3,2<br />

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel (DIW, Berl<strong>in</strong>): Welle 1-2 (West) bzw. Welle 1-6 (Ost)<br />

-eigene Berechnungen, <strong>in</strong> „Armut <strong>und</strong> Bildungschancen“<br />

Lange/Lauterbach/Becker : 2002, Seite 161<br />

Allerd<strong>in</strong>gs muss erwähnt werden, daß laut der aufgeführten Untersuchungen im Datenreport<br />

2002 Universitätsabschlüsse nicht immer unbed<strong>in</strong>gt bevorzugt werden. Nicht nur Haupt- <strong>und</strong><br />

Realschulabgänger sondern auch Abiturienten suchten <strong>in</strong> den letzten Jahren verstärkt e<strong>in</strong>e<br />

betriebliche Berufsausbildung..<br />

Von 623 000 Jugendlichen, die im Jahre 2000 e<strong>in</strong>en Ausbildungsvertrag abschlossen, waren<br />

15,6 % Hoch- oder Fachhochschulabgänger, 36,1 % besaßen Realschul- oder gleichwertige<br />

Abschlüsse <strong>und</strong> 32,7 % hatten die Hauptschule (ob mit oder ohne Abschluss) besucht. 15,6%<br />

hatten sonstige Vorbildungen (z.B. Berufsvorbereitungsjahr, schulisches Berufsbildungsjahr<br />

oder Berufsfachschule).<br />

Betrachtet man allerd<strong>in</strong>gs die Zahlen von Auszubildenden/Ausbildungsplätzen im Jahre 2002<br />

<strong>in</strong> Relation mit den Studierenden desselben Jahres, so s<strong>in</strong>d die Zahlen fast hälftig aufgeteilt,<br />

was Unwissende leicht irritieren kann <strong>und</strong> erstmal nicht unbed<strong>in</strong>gt auf <strong>Bildungsarmut</strong><br />

schließen lässt.<br />

Auszubildende 2000<br />

7


Gebiet Auszubildende<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

Auslanderanteil Neu abgeschlossene<br />

Ausbildungsverträge<br />

Anzahl % Anzahl %<br />

<strong>Deutschland</strong> 1 702017 5,7 622 967 36,6<br />

Früheres<br />

B<strong>und</strong>esgebiet‘<br />

1 297202<br />

7,2 482913 37,2<br />

Neue Länder<br />

(e<strong>in</strong>schl. Berl<strong>in</strong>) 404815 0 140054 34,6<br />

1 Ohne Berl<strong>in</strong>. Aus: Datenreport 2002, S. 68<br />

Auszubildende, Angebot <strong>und</strong> Nachfrage nach Ausbildungsplätzen sowie bestandene<br />

Abschlussprüfungen 1993 bis 2000 <strong>in</strong> Tausend<br />

Jahr Auszubildende Ausbildungsplätze Neu abgeschlossene Bestandene<br />

<strong>in</strong>sgesamt Angebot Nachfrage Ausbildungsverträge Abschlusprüfungen<br />

1993 1629 656 588 571 527<br />

1994 1580 622 587 567 545<br />

1995 1579 617 598 579 503<br />

1996 1592 609 613 579 488<br />

1997 1622 613 635 598 483<br />

1998 1658 636 648 608 487<br />

1999 1698 654 660 636 491<br />

2000 1702 647 645 623 503<br />

Aus: Datenreport 2002, S. 68<br />

Studierende an Hochschulen <strong>in</strong> Tausend<br />

W<strong>in</strong>tersemester Insgesamt Davon an<br />

Universitäten 1<br />

Früheres B<strong>und</strong>esgebiet<br />

KunsthochschuIen Fachhochschulen 2<br />

1960/61 247 239~ 7 —<br />

1970/71 422 412 10 —<br />

1980/81 1036 818 18 0<br />

1990/91 1579 1184 24 371<br />

1991/92 1640 1227 24 389<br />

<strong>Deutschland</strong><br />

1992/93 1834 1385 29 420<br />

1993/94 1867 1397 30 440<br />

1994/95 1 872 1394 30 449<br />

1995/96 1858 1380 29 449<br />

1996/97 1 838 1 369 29 440<br />

1997/98 1824 1357 30 437<br />

1998/99 1 801 1335 30 436<br />

1999/2000 1774 1301 30 443<br />

2000/2001 1799 1311 30 458<br />

1 E<strong>in</strong>schl. Gesamthochschulen, Pädagogischer <strong>und</strong> Theologischer Hochschulen. 2 E<strong>in</strong>schl. Verwaltungsfachhochschulen.<br />

Aus. Datenreport 2002, Seite 69<br />

Studienanfänger an Hochschulen <strong>in</strong> Tausend<br />

8


Studienjahr 1<br />

Insgesamt Davon an<br />

Universitäten 2<br />

Früheres B<strong>und</strong>esgebiet<br />

Kunsthochschulen Fachhochschulen 3<br />

1960 54 52 2 —<br />

1970 93 90 3 -<br />

1980 193 135 3 55<br />

1990 278 195 3 80<br />

1991 271 185 3 83<br />

1992 257 174 3 80<br />

<strong>Deutschland</strong><br />

1993 280 184 4 91<br />

1994 268 178 4 86<br />

1995 262 176 4 82<br />

1996 267 183 4 81<br />

1997 267 182 4 81<br />

1998 272 183 4 86<br />

1999 291 195 4 92<br />

2000 315 212 4 99<br />

1 Studienjahr = Sommersemester <strong>und</strong> nachfolgendes W<strong>in</strong>tersemester.<br />

2 E<strong>in</strong>schl. Gesamthochschulen, Pädagogischer <strong>und</strong> Theologischer Hochschulen.<br />

3 E<strong>in</strong>schl. Verwaltungsfachhochschulen.<br />

Aus: Datenreport 2002, Seite 69<br />

Öfter wird die Hauptschule der Weg von K<strong>in</strong>dern unterer sozialer Schichten. Selbst bei<br />

Vorhandense<strong>in</strong> gleicher familialer Rückhalte <strong>und</strong> Familienklimata s<strong>in</strong>d der Wechsel auf<br />

Realschule oder gymnasialen Zweig weitaus seltener möglich als bei K<strong>in</strong>dern mit f<strong>in</strong>anziell<br />

gesichertem Backgro<strong>und</strong>. Weiterführende Schulen s<strong>in</strong>d für diese K<strong>in</strong>der von vornhere<strong>in</strong><br />

meistens ausgeschlossen. Dies gilt fast durchgängig für Ost- <strong>und</strong> Westdeutschland.<br />

So wurde beobachtet, dass die wirtschaftliche familiäre Situation unmittelbar vor oder<br />

während des Übertrittes <strong>in</strong> die weiterführende Schulstufe ausschlaggebend ist. Nach dem<br />

Übergang auftretende familiäre Armut bee<strong>in</strong>flusst die Bildungschancen der Zögl<strong>in</strong>ge laut<br />

Recherche der Verfasser kaum mehr. Geschlechtsspezifisch betrachtet wechseln aber <strong>in</strong><br />

Ostdeutschland eher Mädchen armer Familien auf die Realschule <strong>und</strong> sogar dreimal soviele<br />

Mädchen wie Jungen auf das Gymnasium.<br />

Hohe Bildungserwartungen der ostdeutschen Elternteile führen dazu, das K<strong>in</strong>der wenigstens<br />

auf Realschulen geschickt werden.<br />

Bildungsübergänge <strong>in</strong> den Sek<strong>und</strong>arbereich I <strong>und</strong> II (Abstromprozente) -nur<br />

Ostdeutschland<br />

Gesicherter Wohlstand Prekärer Wohlstand In Armut lebend<br />

Jungen Mädchen Jungen Mädchen Jungen Mädchen<br />

Sek<strong>und</strong>arbereich I<br />

Gr<strong>und</strong>schule -Hauptschule 16,5 10,6 20 21,6 48 9,1<br />

Gr<strong>und</strong>schule -Realschule 53,4 38,9 71,4 62,2 40 54,5<br />

Gr<strong>und</strong>schule -Gymnasium 30,1 50,5 8,6 16,2 12 36,4<br />

Sek<strong>und</strong>arbereich II<br />

Hauptschulabschluss 12,1 8 34,5 22,7 33,3 20<br />

9


Gesicherter Wohlstand Prekärer Wohlstand In Armut lebend<br />

Mittlere Reife 60 48,9 44,8 59,1 63 60<br />

Gymnasiale Oberstufe 27,9 43,1 20,7 18,2 3,7 20<br />

Quelle: Sozio-ökonomisches Panel (DIW, Berl<strong>in</strong>): Welle 1-2 (West) bzw. Welle 1-6 (Ost) -eigene<br />

Berechnungen, <strong>in</strong> „Armut <strong>und</strong> Bildungschancen“<br />

Lange/Lauterbach/Becker : 2002, Seite 163<br />

1.6 Hat Armut immer negative Konsequenzen für die persönliche Entwicklung von<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> ihren Bildungserfolg?<br />

Qualitative Studien belegen allerd<strong>in</strong>gs, dass arme Elternteile nicht immer unbed<strong>in</strong>gt ger<strong>in</strong>gere<br />

Bildungsansprüche für ihre K<strong>in</strong>der haben, also demzufolge Armut nicht sofort mit ger<strong>in</strong>gen<br />

Bildungschancen gleichzusetzen ist. Oftmals erreichen K<strong>in</strong>der Alle<strong>in</strong>erziehender z.B. hohe<br />

Universitäts- <strong>und</strong> Bildungsabschlüsse. Es muss also davon ausgegangen werden, dass der<br />

Gr<strong>und</strong>ste<strong>in</strong> für ger<strong>in</strong>ge Bildungschancen durch evtl. bereits vorhandene Sozialisations- <strong>und</strong><br />

Bildungsdefizite der Eltern gelegt wird. F<strong>in</strong>anzielle Armut verstärken laut Lauterbach/Lange<br />

<strong>und</strong> Becker die ungünstigen Bed<strong>in</strong>gungen nur noch.<br />

Der Datenreport 2002 zum Thema <strong>Bildungsarmut</strong> führt hierzu allerd<strong>in</strong>gs auch noch andere<br />

Faktoren auf <strong>und</strong> verweist auf die Tatsache, dass auch die Anzahl der Lehrkräfte an Schulen<br />

mitausschlaggebend für die Qualität der schulischen Ausbildungen ist. Letztere hängt davon<br />

ab, wie <strong>in</strong>tensiv die Betreuung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des durch den e<strong>in</strong>zelnen Lehrer ist.<br />

Seit 1970 verbesserte sich dieses zum Positiven; an Sonderschulen verm<strong>in</strong>derte sich die<br />

Anzahl der Schüler je Lehrer durchschnittlich von 15,3 auf 6,3; an den Realschulen von 23,1<br />

auf 16,2. Allerd<strong>in</strong>gs ist seit Beg<strong>in</strong>n der 90er Jahre wieder e<strong>in</strong>e leichte Steigerung auch bei den<br />

allgeme<strong>in</strong>bildenden Schulen zu verzeichnen. <strong>Bildungsarmut</strong> ist also natürlich auch e<strong>in</strong>e Frage<br />

der Wegrationalisierung von Schulgeldern <strong>und</strong> damit auch von Lehrern.<br />

Lehrkräfte 1 <strong>und</strong> Schüler-Lehrerrelation an allgeme<strong>in</strong> bildenden <strong>und</strong> beruflichen Schulen 1995<br />

bis 1999<br />

Schulart 1995 1996 1997 1998 1999<br />

Lehrkräfte<br />

Allgeme<strong>in</strong> bildende Schulen 618927 619075 614982 613618 613 260<br />

Vorklassen <strong>und</strong> Schulk<strong>in</strong>dergärten 5674 5669 5402 5224 5090<br />

Gr<strong>und</strong>schulen 174010 174057 171318 168298 165875<br />

Orientierungsstufe 2 22836 22254 22986 23955 24265<br />

Hauptschulen 75880 75291 73967 73692 73141<br />

Schularten mit mehreren<br />

Bildungsgängen 24492 24251 24351 24488 26621<br />

Realschulen 66271 67313 67629 68119 68367<br />

Gymnasien 145991 145194 143433 143373 142556<br />

Integrierte Gesamtschulen 37829 38394 38861 39111 39502<br />

10


Schulart 1995 1996 1997 1998 1999<br />

Freie Waldorfschulen 4463 4465 4557 4588 4621<br />

Sonderschulen 58043 58767 59191 59584 60132<br />

Abendschulen <strong>und</strong> Kollegs 3438 3420 3287 3186 3090<br />

Berufliche Schulen 3 104715 106276 106500 107667 108935 ;<br />

Insgesamt 723642 725351 721482 721285 722195<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler je Lehrkraft<br />

Allgeme<strong>in</strong> bildende Schulen 16 16,3 16,5 16,5 16,4<br />

Vorklassen <strong>und</strong> Schulk<strong>in</strong>dergärten 14,8 14,5 14 13,3 13,2<br />

Gr<strong>und</strong>schulen 20,9 21,2 21,6 21,4 21<br />

Orientierungsstufe 2 16,4 17 17,2 17,1 17<br />

Hauptschulen 14,8 14,9 15 14,9 15<br />

Schularten mit mehreren<br />

Bildungsgängen 15 15,5 15,8 15,8 15,3<br />

Realschulen 17,7 17,9 18,1 18,3 18,3<br />

Gymnasien 14,8 15 15,4 15,5 15,7<br />

Integrierte Gesamtschulen 13,4 13,7 14 14 14<br />

Freie Waldorfschulen 14,1 14,4 14,4 14,7 14,8<br />

Sonderschulen 6,7 6,8 6,9 6,9 6,9<br />

Abendschulen <strong>und</strong> Kollegs 12,9 13,2 13,8 14,5 14,8<br />

Berufliche Schulen 3<br />

23,3 23,4 24 24,3 24,4<br />

Insgesamt 17,1 17,3 17,6 17,6 17,6<br />

1 Vollzeitlehrkräfte <strong>und</strong> <strong>in</strong> Vollzeitlehrkräfte umgerechnete Teilzeitlehrkräfte.<br />

2 Schulartunabhängige Orientierungsstufe.<br />

3 Ohne Schulen des Ges<strong>und</strong>heitswesens.<br />

aus: Datenreport 2002, Seite 65<br />

Wichtig ist daher, dass Bildungsbenachteiligung nicht irrtümlich auf das alle<strong>in</strong>ige Fehlen<br />

f<strong>in</strong>anzieller Mittel zurückzuführen ist. Deswegen muss untersucht werden, ob <strong>Bildungsarmut</strong><br />

von K<strong>in</strong>dern nur bei solchen Sozialgruppen auftritt, die generell über ke<strong>in</strong>erlei soziale <strong>und</strong><br />

kulturelle Ressourcen <strong>in</strong> der Familie verfügen, um evtl. auftretende Folgen von Armut<br />

abfangen (oder mildern) zu können.<br />

Außerdem – so die Autoren - kann belegt werden, dass Elternteile mit großen Kultur- <strong>und</strong><br />

Bildungsressourcen eigene Lebensstandards so zurücknehmen, dass Bildungsausgaben für<br />

K<strong>in</strong>der unangetastet bleiben. Auch familiärer Stress <strong>in</strong>folge von Armut wird <strong>in</strong> diesen Familien<br />

bewusst von K<strong>in</strong>dern ferngehalten.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist beobachtet worden, dass K<strong>in</strong>der sehr wohl über eigene soziale Mittel<br />

verfügen, die es ihnen ermöglichen Armutsfolgen abzuschwächen, um somit ihre<br />

Bildungsentwicklung nicht zu bee<strong>in</strong>trächtigen. Die Beobachtungen der Autoren führen zu der<br />

Annahme, dass K<strong>in</strong>der – gerade die <strong>in</strong> Armut lebenden - eigene Strategien entwickeln, um<br />

heftigen psychischen <strong>und</strong> sozialen Belastungen die Stirn bieten zu können (Cop<strong>in</strong>g-<br />

Strategien).<br />

Folgen von Armut wie z.B. Trennung der Eltern oder Ausgrenzungen durch die Gesellschaft<br />

s<strong>in</strong>d zusätzlich zur normalen Entwicklung aktiv zu bewältigen. Allerd<strong>in</strong>gs s<strong>in</strong>d diese<br />

Abwehrstrategien <strong>in</strong> stärker belasteten Familien weniger erfolgreich.<br />

Zu fragen bleibt allerd<strong>in</strong>gs, warum manche K<strong>in</strong>der sich trotz hoher Belastungen psychisch<br />

stabil entwickeln, andere h<strong>in</strong>gegen nicht. Auch hier wurde nach vielfachen Untersuchungen<br />

festgestellt, daß emotionale Stabilität <strong>in</strong> der Familie, Anerkennung <strong>und</strong> Selbstbestätigung<br />

K<strong>in</strong>dern hilft, mit Armutskrisen besser umzugehen. Zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren ist<br />

dies unbed<strong>in</strong>gt erforderlich. Dadurch lernen die K<strong>in</strong>der, besser mit den Begleitumständen der<br />

11


Armut umzugehen. Zusätzliche Aktivitäten <strong>in</strong> Freizeit <strong>und</strong> Schule oder anderen Institutionen<br />

gliedern sie gesellschaftlich e<strong>in</strong> <strong>und</strong> ermöglichen ihnen das Erlernen kultureller Regeln <strong>und</strong><br />

Kompetenzen.<br />

H<strong>in</strong>zu kommt, dass durch f<strong>in</strong>anziell defizitäre Familiensituationen Mädchen - leider oft nur - für<br />

andere <strong>und</strong> Jungen meist für sich selbst starke Handlungs- <strong>und</strong> Gestaltungskompetenzen<br />

erlangen.<br />

Übersicht 1: K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> Armut — differenzierende Faktoren des Weges <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e erfolgreiche bzw. wenig<br />

erfolgreiche Bildungsbiografie 55<br />

Fördernde bzw. erleichternde Faktoren Erschwerende Faktoren<br />

Personenebene:<br />

— personale Ressourcen wie kognitive Kompe- — Defizite, mangelnde kognitive Ressourcen,<br />

tenz, emotionale Stabilität, stabiles Tempera- emotionale lnstabilitäten<br />

ment<br />

— Selbstakzeptanz, Selbstwert<br />

Familienebene:<br />

— Stabile <strong>und</strong> verlässliche Beziehungen zu m<strong>in</strong>- — Fehlen stabiler, verlässlicher Beziehungen<br />

destens e<strong>in</strong>em Familienmitglied — defizitäres kulturelles Kapital<br />

— kulturelles Kapital — niedrige Bildungsaspirationen<br />

— hohe Bildungsaspirationen — ger<strong>in</strong>ges Humankapital der Eltern<br />

— elterliches Humanvermögen — fehlende Eltern-Schule-Verb<strong>in</strong>dung<br />

— elterliche Teilhabe am Schulgeschehen<br />

Soziale Netzwerke, Nachbarschaft:<br />

— Vorhandense<strong>in</strong> von stützenden Gleichaltrigen- — Mangel an stützenden Gleichaltrigenbezie<br />

beziehungen hungen (Isolationismus)<br />

— Möglichkeit zu vertrauensvollen Beziehungen— Stigmatisierung <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />

mit anderen Erwachsenen wie Tra<strong>in</strong>ern, Erzie- — ke<strong>in</strong>e Möglichkeit des Aufbaus vertrauens<br />

hern, Geistlichen etc, voller Beziehungen zu anderen Erwachsenen<br />

Institutionelle Ebene:<br />

— schulische Strukturen, die es ermöglichen, Ar- — Defizite <strong>in</strong> der differenziellen Behandlung<br />

mutsdefizite zu kompensieren (spezielle Ange<br />

bote, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften, Nachhilfeunter<br />

richt etc.)<br />

Konsequenz<br />

— Bewältigung der Übergänge — Übergangsschwierigkeiten, niedrige Formal-<br />

— Ausbildung von bildungsaff<strong>in</strong>en Arbeitshaltun- bildung, E<strong>in</strong>mündung <strong>in</strong> beruflich vielverspre<br />

gen <strong>und</strong> Lernfreude über den Lebenslauf h<strong>in</strong>- chende Felder wenig wahrsche<strong>in</strong>lich<br />

weg — Ausbildung von bildungsfe<strong>in</strong>dlichen E<strong>in</strong>stel<br />

lungen, wenig Lernfreude, Orientierung am<br />

schnellen Gelderwerb<br />

aus Lange/Lauterbach/Becker : 2002, Seite<br />

1.7 Prävention <strong>und</strong> Maßnahmen für die Praxis der Intervention<br />

Folgende Lösungswege zeigen die Autoren hierbei auf:<br />

1. Arbeitsmarktpolitisch muss das Arbeitslosigkeitsrisiko für Frauen entweder verr<strong>in</strong>gert oder<br />

ganz abgebaut werden. Gleichzeitige Familien- <strong>und</strong> Berufstätigkeit für Mütter muss erleichtert<br />

werden (z.B. durch Job-Shar<strong>in</strong>g oder Erleichterung des Wiedere<strong>in</strong>trittes <strong>in</strong> den Arbeitsmarkt<br />

nach Baby-Pause).<br />

2. Familienpolitisch kann man z.B. über Steuerbegünstigungen armer Familien für die<br />

Ausbildungen von K<strong>in</strong>dern nachdenken. Auch Familienlastenausgleich,<br />

Transfere<strong>in</strong>kommensaufstockung <strong>und</strong> Beratung für Familien mit ger<strong>in</strong>gem E<strong>in</strong>kommen s<strong>in</strong>d<br />

12


weitere Alternativen. Auch Möglichkeiten sozialer Ressourcen <strong>und</strong> Unterstützungen sollen<br />

hierbei erörtert werden.<br />

3. Drittens führen die Autoren Lauterbach/Lange/Becker auf, dass bildungspolitisch<br />

besonders arme K<strong>in</strong>der gezielt gefördert werden sollen <strong>und</strong> z.B. Familienprogramme für<br />

talentierte K<strong>in</strong>der aus unteren sozialen Schichten <strong>in</strong>s Leben gerufen werden sollten.<br />

Auch außerschulische Bildungsarbeit zur Selbstwertsteigerung der K<strong>in</strong>der ist <strong>in</strong> den Augen<br />

der Verfasser e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Maßnahme. All dies könnte zu mehr Chancengleichheit<br />

unabhängig von sozialer Herkunft führen.<br />

1.8 Aktuelle Situation der Verflechtung von Bildung <strong>und</strong> Sozialpolitik<br />

E<strong>in</strong> hohes Bildungsniveau ist Humankapital, von dem die Integrationsfähigkeit der deutschen<br />

Gesellschaft im europäischen Verb<strong>und</strong> ausschlaggebend abhängt. Gleichzeitig stellt sie das<br />

soziale <strong>und</strong> politische Kapital dar, welches vorhanden se<strong>in</strong> muss, damit e<strong>in</strong>e Demokratie als<br />

Staatssystem funktionieren kann. Die bestehenden Ungleichgewichte von Bildung führen zu<br />

massiven gesellschaftlichen Problemen. Es gibt immer noch Analphabeten. Nicht wenige<br />

Schüler werden von normalen Integrationsformen wie dem Besuch e<strong>in</strong>er Hauptschule oder<br />

dem dualen Ausbildungssystem ausgeschlossen. Defizite im Elternhaus übertragen sich auf<br />

die nächste Generation. Diese Verschwendung von Humankapital können wir uns nicht<br />

leisten. Es ist e<strong>in</strong>e Notwendigkeit, die Verteilung von Bildung <strong>in</strong> die laufende Sozialberichtserstattung<br />

e<strong>in</strong>zufügen.<br />

Allmend<strong>in</strong>ger <strong>und</strong> Leibfried vergleichen die Investitionen <strong>in</strong> die Bildung der <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

wohnenden mit den E<strong>in</strong>wohnern der angelsächsischen Ländern <strong>und</strong> denen Skand<strong>in</strong>aviens.<br />

Sie stellen fest, dass die angelsächsischen Länder mehr <strong>in</strong> Bildung als <strong>in</strong> Sozialpolitik<br />

<strong>in</strong>vestieren <strong>und</strong> <strong>in</strong> Skand<strong>in</strong>avien sowohl stärker <strong>in</strong> die klassische Sozialpolitik, als auch auf<br />

hohem Niveau <strong>in</strong> die Bildungspolitik <strong>in</strong>vestiert wird. Es wird festgestellt, dass <strong>Deutschland</strong><br />

zwischen diesen Ländern verharrt, anhaltend niedrige Investitionen <strong>in</strong> die Bildung tätigen will<br />

<strong>und</strong> immer höhere <strong>in</strong> die Sozialpolitik. Wir persönlich müssen jedoch h<strong>in</strong>zufügen, dass bei der<br />

derzeitigen Lage ke<strong>in</strong>e Rede mehr davon se<strong>in</strong> kann: es stehen momentan sowohl enorme<br />

Kürzungen <strong>in</strong> der Bildungspolitik als auch <strong>in</strong> der Sozialpolitik an. Auch die angedachte<br />

Zahlung des Familiengeldes stellt ke<strong>in</strong>e Gleichstellung der Bildungschancen her. Zwar<br />

profitieren die K<strong>in</strong>der der Mittelschicht davon, doch der Nachwuchs der unteren sozialen<br />

Schichten bleibt sich selbst überlassen. Ihre Eltern müssen derweil Niedriglohnjobs ausüben,<br />

um ihren Sozialhilfeanspruch zu behalten.<br />

1.9 <strong>Bildungsarmut</strong> <strong>und</strong> ihre Messung<br />

<strong>Bildungsarmut</strong> kann wie Armut überhaupt absolut oder relativ gemessen werden. Man kann<br />

sie national oder <strong>in</strong>ternational messen <strong>und</strong> vergleichen.<br />

Bei e<strong>in</strong>em absoluten Maßstab zur Feststellung von <strong>Bildungsarmut</strong> wird e<strong>in</strong> absoluter<br />

M<strong>in</strong>deststandard an die Verteilung von Bildungsressourcen gestellt. Wer diese M<strong>in</strong>destanforderungen<br />

erfüllen kann, also z.B. den Hauptschulabschluss erreicht oder <strong>in</strong> der Lage ist,<br />

e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Text zu lesen oder zu schreiben oder das kle<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>male<strong>in</strong>s beherrscht, usw.<br />

der gilt nicht als bildungsarm. Wer die festgelegten Kompetenzen oder Zertifikate nicht<br />

besitzt, gilt als bildungsarm. Die relative Messung bezieht sich auf die Platzierung, die der<br />

E<strong>in</strong>zelne im Bildungsgefüge hat. Der, der sich im unteren Fünftel oder Zehntel (je nach<br />

Festlegung) des Bildungsspektrums bef<strong>in</strong>det, gilt als bildungsarm. Der im oberen Bereich gilt<br />

als bildungsreich, der <strong>in</strong> der Mitte als normal gebildet.<br />

13


In <strong>Deutschland</strong> gilt nicht nur e<strong>in</strong> akademischer Abschluss, sondern auch e<strong>in</strong>e breite<br />

allgeme<strong>in</strong>e Durchschnittsqualifikation, also e<strong>in</strong> erfolgreicher Abschluss e<strong>in</strong>er Lehre als<br />

gesellschaftlich befriedigendes Auskommen. Deshalb dürfen nicht nur die akademischen<br />

Abschlüsse, sondern müssen auch die erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildungen <strong>in</strong><br />

den Focus der Berichterstattung genommen werden.<br />

Aus dem Datenreport vom April 2000 geht hervor, dass <strong>in</strong> der Altersgruppe der 30- bis<br />

49jährigen <strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik 630 000 Menschen ke<strong>in</strong>en allgeme<strong>in</strong>en Schulabschluss<br />

<strong>und</strong><br />

3 410 000 Menschen ke<strong>in</strong>en beruflichen Bildungsabschluss besitzen. (vgl. Datenreport S. 78)<br />

Das bedeutet, dass bei uns 3,4 Millionen Menschen zwischen 30 <strong>und</strong> 49 Jahren so bildungsarm<br />

s<strong>in</strong>d, dass sie noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en beruflichen Bildungsabschluss angestrebt oder<br />

bestanden haben.<br />

Extremes Augenmerk erfordert der Analphabetismus, der e<strong>in</strong>e extreme Form der<br />

<strong>Bildungsarmut</strong> darstellt. Laut den Autoren s<strong>in</strong>d bis zu 1,9 Millionen Menschen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Analphabeten; ihnen fehlt die Fähigkeit, Anschluss jeglicher Art zu erreichen.<br />

Kompetenzstufen<br />

Seit der Pisa-Studie wird <strong>Bildungsarmut</strong> <strong>in</strong> Kompetenzstufen gemessen: Man unterteilt die<br />

Bereiche Leseverständnis, Mathematik, Naturwissenschaften <strong>und</strong> fächerübergreifende<br />

Kompetenzen <strong>in</strong> 5 Kompetenzstufen. So gilt z.B. funktionaler Analphabetismus als<br />

Kompetenzstufe 1 im Bereich Leseverständnis. Diese Schüler können zwar e<strong>in</strong>fache Texte<br />

lesen, sie aber nicht im praktischen Kontext anwenden. Dementsprechend gilt das Erreichen<br />

der höchsten Kompetenzstufe 5 als absoluter Bildungsreichtum.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs sche<strong>in</strong>t weder das Ausbilden e<strong>in</strong>er Elite noch das Heranführen leistungsschwacher<br />

Schüler <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> momentan möglich zu se<strong>in</strong>, sodass wir uns im OECD-Vergleich im<br />

absoluten Durchschnitt bef<strong>in</strong>den.<br />

Kompetenzen versus Zertifikate<br />

Den Schulen gel<strong>in</strong>gt es bei der Zertifikatsmessung besser, die Anforderungen zu bestimmen,<br />

da sie e<strong>in</strong>en eigenen Spielraum haben.<br />

„Von allen Schüler(<strong>in</strong>ne)n, die unterhalb Kompetenzstufe I liegen, werden 89 Prozent von<br />

ihren Lehrern als „nicht schwache Leser“ e<strong>in</strong>gestuft <strong>und</strong> nur 11 Prozent als „schwache Leser“<br />

(Vgl. Deutsches PISA-Konsortium (Anm. 13), S. 119)<br />

Hier werden also Schüler deren Lesefertigkeiten im praktischen Kontext nicht standhalten als<br />

nicht schwache Leser e<strong>in</strong>gestuft. Welche Aussagekraft besitzen dann noch die Bewertungen<br />

der Lehrkräfte. Trotzdem ermöglichen Schulzeugnisse den Zugang zu Berufsausbildungen<br />

<strong>und</strong> Studium <strong>und</strong> somit Lebenschancen.<br />

Laut den Autoren s<strong>in</strong>d Kompetenzstufen fe<strong>in</strong>er graduiert als Schulstufen bzw.<br />

Abschlusszertifikate. Unterschiede <strong>und</strong> Veränderungen werden schneller <strong>und</strong> genauer<br />

erfasst. Es handelt sich hierbei nämlich um schulextern entwickelte Aufgabenstellungen.<br />

Deswegen können Unterschiede zwischen den Schulen nicht mehr auf deren unterschiedliche<br />

Anforderungsniveaus zurückgeführt werden.<br />

Dementsprechend ist es im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich e<strong>in</strong>facher, Kompetenzstufen<br />

verschiedener Länder <strong>und</strong> Bildungssysteme nebene<strong>in</strong>ander zu stellen; die Messung von<br />

Bildung gestaltet sich daher e<strong>in</strong>facher.<br />

Da <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> das Erreichen von Zertifikaten allerd<strong>in</strong>gs wesentlich für den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> das<br />

Karriereleben ist, wird dieserorts leider selten nach Kompetenzen aber stärker nach<br />

Besche<strong>in</strong>igungen gefragt. Für die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft wäre jedoch das<br />

Gegenteil von Nöten. Individuelle Kompetenzen sollten mehr denn je gefragt se<strong>in</strong>. Was<br />

nutzen formelle Besche<strong>in</strong>igungen auf dem Papier?<br />

14


z.B. F<strong>in</strong>nland,<br />

Schweden,<br />

Frankreich<br />

Allerd<strong>in</strong>gs stellt sich auch die Frage, <strong>in</strong>wieweit die Kompetenzemessung nicht die tatsächlichen<br />

Kompetenzen e<strong>in</strong>er Person, sondern nur deren Tagesform wiederspiegelt. Die Autoren<br />

versuchen, zwischen beiden Formen die bessere zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> kommen zu dem Schluss,<br />

dass sich beide ergänzen müssen.<br />

1.10 Kompetenzverteilung <strong>und</strong> Ursachen für <strong>Bildungsungleichheiten</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Bildungsarmut</strong><br />

Bildungssysteme verschiedener Länder lassen sich danach vergleichen, wie <strong>und</strong> <strong>in</strong> welchen<br />

Kompetenzwertbereichen sie über Kompetenzstufen h<strong>in</strong>weg gestreut s<strong>in</strong>d.<br />

z.B. <strong>Deutschland</strong>, USA, Schweiz<br />

Es kommt nur absoluter<br />

Kompetenzreichtum<br />

aber ke<strong>in</strong>e Kompetenzarmut<br />

vor.<br />

<strong>Bildungsarmut</strong> <strong>und</strong> -reichtum<br />

treten gleichzeitg auf<br />

Kompetenzverteilung geht über<br />

gesamtes Spektrum<br />

von <strong>Bildungsarmut</strong> bis<br />

Bildungsreichtum<br />

Es kommt weder absolute Kompetenzarmut<br />

noch<br />

absoluter Kompetenzreichtum vor.<br />

z.B. Korea, Spanien<br />

Es existiert nur absolute<br />

Kompetenzarmut <strong>und</strong> ke<strong>in</strong><br />

Kompetenzreichtum<br />

Dieser Grafik liegen zwei Bauste<strong>in</strong>e zugr<strong>und</strong>e: Das Maß des Kompetenzunterschiedes<br />

zwischen Personen <strong>und</strong> das durchschnittliche Niveau der Kompetenzbildung.<br />

Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Land der Abstand zwischen den fünf Prozent der Kompetenzärmsten <strong>und</strong> den<br />

fünf Prozent der Kompetenzreichsten sehr groß ist, existiert <strong>in</strong> diesem Land e<strong>in</strong>e sehr hohe<br />

Ungerechtigkeit bei der Bildungsverteilung. Ist der Unterschied sehr ger<strong>in</strong>g, so ist Bildung<br />

dort für alle gleich gut zugänglich. Der Bildungsunterschied ist dann besonders ausgeprägt,<br />

wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bildungssystem sehr früh zwischen „schwachen Schülern“ <strong>und</strong> „guten<br />

Schülern“ selektiert wird. Kompetenzreichen Schülern schadet der geme<strong>in</strong>same Unterricht mit<br />

kompetenzarmen kaum. Kompetenzarme profitieren jedoch sehr von e<strong>in</strong>er kompetenzhete-<br />

z.B.<br />

Mexiko,<br />

Brasilien,<br />

Luxemburg<br />

15


ogenen Lernumwelt. Auch die regionale Zuständigkeit der Länder, statt der zentralen des<br />

B<strong>und</strong>es, führen zur Differenzierung.<br />

Das Bildungsniveau ist sehr stark von den Bildungsausgaben <strong>und</strong> den Lehrplänen abhängig.<br />

Die deutsche Bildungsausgabenquote ist vergleichsweise niedrig.<br />

In den meisten europäischen Mitgliedsstaaten existiert die Ganztagesschule. Die Schüler<br />

lernen dort, wie sie Wissens<strong>in</strong>halte <strong>in</strong> der Praxis e<strong>in</strong>setzen können. Bei uns <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

wird durch die zeitliche Beschränkung des Unterrichts oft e<strong>in</strong> zu großer Schwerpunkt auf die<br />

Theorievermittlung gelegt <strong>und</strong> der Praxisbezug wird vernachlässigt.<br />

In der Elementarerziehung werden weitere Ursachen für die schlechten Ergebnisse des<br />

Durchschnitts unserer Schüler <strong>in</strong> der PISA-Studie gesehen. Deutsche K<strong>in</strong>dergärten haben<br />

den Ruf, sich als K<strong>in</strong>derpflegestätten zu betrachten, sodass die K<strong>in</strong>der bereits mit e<strong>in</strong>em<br />

Bildungsdefizit verglichen mit unseren europäischen Nachbarn, e<strong>in</strong>geschult werden.<br />

Wie für die Schulen, so werden auch die Gesetzesgr<strong>und</strong>lagen für die K<strong>in</strong>dergärten nicht<br />

zentral sondern regional vom jeweiligen B<strong>und</strong>esland erlassen. Im Elementarbereich gibt es <strong>in</strong><br />

<strong>Deutschland</strong> ke<strong>in</strong>e vorgeschriebenen Lehrpläne, sondern die e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

können sich ihre Lehr- <strong>und</strong> Lernziele selbst zusammenstellen. In Frankreich besuchen die<br />

K<strong>in</strong>der z.B. e<strong>in</strong>e Vorschule, <strong>in</strong> der sie schon bestimmte theoretische Lern<strong>in</strong>halte vermittelt<br />

bekommen. Abwechselnd mit der Vorschule können sie dort noch e<strong>in</strong>e andere<br />

K<strong>in</strong>dertagesstätte besuchen. Wir haben den Vor- <strong>und</strong> Nachteil, dass unsere Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

viel mehr Spielraum besitzen. K<strong>in</strong>der lernen erwiesenermaßen viel <strong>in</strong>tensiver, wenn die<br />

Lern<strong>in</strong>halte ihren Interessen <strong>und</strong> ihrer Lebenssituation entsprechen. Engagierte<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen, die ihre Arbeit auf ihre Gruppe ideal abstimmen, können also viel bessere<br />

Ergebnisse erzielen, als Erzieher<strong>in</strong>nen, die sich an vorgegebene Lern<strong>in</strong>halte richten müssen.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs ist durch den großen Spielraum auch nicht abgesichert, dass Erzieher<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e<br />

pädagogisch wertvolle Arbeit leisten. Der M<strong>in</strong>destandart ist allerd<strong>in</strong>gs durch die e<strong>in</strong>zelnen<br />

K<strong>in</strong>dergartengesetze, die von den jeweiligen Landesregierungen erlassen werden,<br />

abgesichert. Das Jugendamt ist für die Kontrolle zuständig.<br />

2. Die PISA-Studie<br />

2.1 PISA – Programme for International Student Assessment<br />

Unter PISA versteht man das Programme for International Student Assessment, e<strong>in</strong>e<br />

<strong>in</strong>ternationale Vergleichsuntersuchung zum Leistungsstand von Schülern <strong>und</strong> Schüler<strong>in</strong>nen.<br />

Das Programm wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit <strong>und</strong><br />

Entwicklung<br />

(OECD) durchgeführt.<br />

Teilnehmer s<strong>in</strong>d 32 Staaten, <strong>in</strong> denen jeweils zwischen 4.500 <strong>und</strong> 10.000 Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Schüler getestet wurden. In <strong>Deutschland</strong> haben (durch e<strong>in</strong>en zusätzlichen nationalen<br />

Fragebogen) über 50.000 Schüler/<strong>in</strong>nen an fast 1.500 Schulen teilgenommen.<br />

Der erste Umfrageterm<strong>in</strong> der PISA-Untersuchung war im Frühjahr 2000; 2003 wurde e<strong>in</strong>e<br />

zweite Untersuchung mit e<strong>in</strong>em anderen Schwerpunkt durchgeführt. 2006 wird es e<strong>in</strong>e<br />

weitere Untersuchung geben. Im Folgenden werden wir uns mit den Ergebnissen aus der<br />

ersten PISA-Untersuchung aus dem Jahre 2000 beschäftigen.<br />

Die untersuchten Jugendlichen wurden 1984 geboren <strong>und</strong> waren zum Zeitpunkt der<br />

Untersuchung 15 Jahre alt.<br />

Der Kern des so genannten „PISA-Schocks“ (wie die Ergebnisse der PISA-Untersuchung<br />

häufig <strong>in</strong> den Medien betitelt wurden) s<strong>in</strong>d die unbefriedigenden Leistungsergebnisse <strong>und</strong> die<br />

16


elativ ungleich verteilten Bildungschancen von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong> die Koppelung<br />

dieser beiden Umstände (vgl. Hopf, 2003, S. 12).<br />

Brisant wurde PISA vor allem durch den <strong>in</strong>ternationalen Leistungsvergleich, also durch den<br />

Vergleich der Leistungsergebnisse der deutschen Schüler/<strong>in</strong>nen mit den Ergebnissen aus<br />

anderen Ländern, da <strong>Deutschland</strong> im Verhältnis schlecht abschnitt.<br />

2.1.1 Die soziale Herkunft/ Indikatoren der sozialen Herkunft<br />

Im Folgenden werden wir die verschiedenen Kapitalsorten nach Bourdieu (ökonomisches,<br />

soziales <strong>und</strong> kulturelles Kapital) aufzeigen <strong>und</strong> ihre Bedeutung für die Bildung von<br />

Humankapital erläutern. Die soziale Herkunft der Schüler/<strong>in</strong>nen wurde dadurch festgestellt,<br />

dass man die sozioökonomische Stellung der Eltern bestimmte: Man stellte fest, <strong>in</strong> welcher<br />

relativen Position der sozialen Hierarchie die Eltern stehen, was mit e<strong>in</strong>er (mehr oder weniger<br />

umfangreichen) Verfügung über f<strong>in</strong>anzielle Mittel, Macht <strong>und</strong> Prestige e<strong>in</strong>hergeht.<br />

Die sozioökonomische Stellung der Familien wurde durch Angaben zum relativen Wohlstand<br />

der Familien, z.B. durch Fragen nach den Wohnverhältnissen <strong>und</strong> über den Besitz teurer<br />

Güter, erfasst.<br />

Als weitere Indikatoren für die sozioökonomische Stellung der Eltern gelten deren<br />

Erwerbstätigkeitsstatus (d.h. voll- bzw. teilzeitbeschäftigt oder arbeitslos) <strong>und</strong> der Beruf. Sie<br />

kann über die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> soziale Klassen erfasst werden, die so genannten EGP-Klassen<br />

(nach Erikson, Goldthorpe <strong>und</strong> Portocarero, 1979). Sie beruht auf der Klassifikation der<br />

Berufe durch das <strong>in</strong>ternationale Arbeitsamt. Bei der E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> EGP-Klassen werden der<br />

Beruf, die Art der Beschäftigung, die Stellung im Beruf <strong>und</strong> die Weisungsbefugnisse über<br />

Untergebene berücksichtigt, was e<strong>in</strong> differenziertes Bild der Berufstätigkeit der Eltern zeigt.<br />

Die Klassen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die obere Dienstklasse (I), die untere Dienstklasse (II),<br />

Rout<strong>in</strong>edienstleistungen <strong>in</strong> Handel <strong>und</strong> Verwaltung (III), Selbstständige <strong>und</strong> selbstständige<br />

Landwirte (IV), Facharbeiter <strong>und</strong> Arbeiter mit Leitungsfunktionen (V), Angestellte <strong>in</strong> manuelle<br />

Berufen (VI), Un- <strong>und</strong> angelernte Arbeiter sowie Landarbeiter (VII) e<strong>in</strong>geteilt (Baumert u.a.,<br />

2001, S. 339).<br />

Unter kulturellem Kapital versteht man alle Kulturgüter <strong>und</strong> alle kulturelle Ressourcen, die (als<br />

symbolische Machtmittel) zur Vermittlung von Qualifikationen, E<strong>in</strong>stellungen <strong>und</strong><br />

Wertorientierungen an die K<strong>in</strong>der beitragen. Kulturgüter <strong>und</strong> kulturelle Ressourcen s<strong>in</strong>d<br />

Sachgüter, wie z.B. Literatur, Musik<strong>in</strong>strumente oder Kunstwerke, aber auch Titel,<br />

Bildungszertifikate <strong>und</strong> der Habitus (Wahrnehmungs-, Denk- <strong>und</strong> Handlungsmuster) e<strong>in</strong>er<br />

Person.<br />

Im Zusammenhang mit der PISA-Studie nimmt das Interesse am Lesen e<strong>in</strong>e Schüsselstellung<br />

<strong>in</strong> der Vermittlung kulturellen Kapitals e<strong>in</strong>, da es K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen ermöglicht, sich<br />

weitere Kulturgüter anzueignen. Die Lesekompetenz ist daher auch der Schwerpunkt dieser<br />

ersten PISA-Untersuchung.<br />

Als Indikatoren für das kulturelle Kapital der Familien wurden die nationale Herkunft der<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> deren Eltern <strong>und</strong> die Dauer im Aufenthaltsland erfasst, sowie die Sprache,<br />

die im Familienalltag gesprochen wird, um e<strong>in</strong>e Auskunft darüber zu erhalten, <strong>in</strong>wieweit die<br />

Schüler mit der Kultur, die im Aufenthaltsland vorherrscht, vertraut s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong> anderer Indikator für das kulturelle Kapital der Familie ist das so genannte Humankapital<br />

der Eltern, d.h. deren Schulbildung <strong>und</strong> Berufsausbildung.<br />

Als weiterer Indikator ist die kulturelle Praxis der Familie zu nennen. Die kulturelle Praxis<br />

be<strong>in</strong>haltet Theater- oder Museumsbesuche, den Besitz von Kulturgütern, das kulturelle Leben<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Familie <strong>und</strong> auch den Besitz von z.B. Taschenrechnern, Lexika oder sonstiger<br />

Bücher.<br />

17


K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche verfügen über soziales Kapital, wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netzwerk sozialer<br />

Beziehungen aufwachsen/-wuchsen, welches sie dabei unterstützt sozial anerkannte Ziele,<br />

Werte <strong>und</strong> E<strong>in</strong>stellungen zu übernehmen. Dieses soziale Kapital wird hauptsächlich <strong>in</strong> der<br />

Familie, der Verwandtschaft, der Nachbarschaft, <strong>in</strong> religiösen <strong>und</strong> ethnischen Gruppen,<br />

Vere<strong>in</strong>en, Parteien <strong>und</strong> Betrieben gebildet.<br />

Soziales Kapital spielt e<strong>in</strong>e bedeutsame Rolle bei der Bildung von Humankapital (=Schulbzw.<br />

Berufsbildung).<br />

Als Indikatoren für das soziale Kapital der Familie wurden Struktur <strong>und</strong> Größe der Familie<br />

(d.h. Personenzahl, Anzahl der Geschwister, u.a.), der Erwerbstätigkeitsstatus der Eltern <strong>und</strong><br />

verschiedene Aspekte der Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung (unter anderem der Erziehungsstil oder die<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Hilfe bei Problemen, Schulaufgaben u.a.) erfasst.<br />

2.1.2 Soziale Lage <strong>und</strong> Bildungsniveau der Familien<br />

Die Mehrzahl der <strong>in</strong> der PISA-Studie befragten Jugendlichen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> lebte zum<br />

Untersuchungszeitpunkt <strong>in</strong> stabilen Familienverhältnissen, d.h. 73 % der Jugendlichen <strong>in</strong> den<br />

neuen B<strong>und</strong>esländern bzw. 77 % der Jugendlichen <strong>in</strong> den alten B<strong>und</strong>esländern lebten mit<br />

ihren leiblichen Eltern zusammen. Etwa 16 % der Jugendlichen lebten mit e<strong>in</strong>em alle<strong>in</strong><br />

erziehenden Elternteil zusammen. Die übrigen Jugendlichen lebten größtenteils <strong>in</strong> anderen<br />

Familienformen. Bei allen Familienformen handelte es sich überwiegend um Mehr-K<strong>in</strong>d-<br />

Familien.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> anzutreffenden Familienmuster s<strong>in</strong>d ähnlich denen <strong>in</strong> anderen<br />

teilnehmenden Industrieländern anzutreffenden Familienmustern. Das gilt sowohl für den<br />

Familientyp <strong>und</strong> die Anzahl der K<strong>in</strong>der als auch für den sozioökonomischen Status <strong>und</strong> die<br />

Erwerbsquoten der Eltern.<br />

Die Bildungsbeteiligung ist e<strong>in</strong>em Strukturwandel von der Generation der Großeltern der<br />

PISA-Teilnehmer zur Elterngeneration der PISA-Teilnehmer unterlaufen. Die Generation der<br />

Eltern profitierte <strong>in</strong> ihrer eigenen Schulzeit von der Bildungsreform, vom Ausbau des<br />

Sek<strong>und</strong>arschulsystems (<strong>in</strong> der BRD) bzw. von der Festigung der Polytechnischen Oberschule<br />

(<strong>in</strong> der DDR). Dieser Strukturwandel wirkte sich auch auf die Generation der PISA-Teilnehmer<br />

aus, <strong>in</strong>dem die erhöhte Bildungsbeteiligung der Eltern (besonders der Mütter) aus Gründen<br />

des Statuserhalts der Familie für e<strong>in</strong>e steigende Bildungsaspiration sorgt (höhere<br />

Erwartungen an die K<strong>in</strong>der). Das bedeutet, dass die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>en gleichwertigen oder gar<br />

höheren Bildungsabschluss erreichen sollen wie deren Eltern. Etwa 70 % der Eltern der PISA-<br />

Teilnehmer haben m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>en Realschulabschluss erreicht. Der mittlere<br />

Schulabschluss setzte sich als faktische Familiennorm durch.<br />

Die sozialen (EGP-) Klassen <strong>in</strong> der Elterngeneration s<strong>in</strong>d h<strong>in</strong>sichtlich des familiären<br />

Bildungsniveaus verschiedenartig. Die Untersuchung ergibt ke<strong>in</strong> Bild von sozial <strong>und</strong><br />

bildungsmäßig e<strong>in</strong>heitlichen Milieus. Es gibt e<strong>in</strong>e bildungsmäßige Durchmischung <strong>in</strong> allen<br />

sozialen Klassen, aber dennoch ist e<strong>in</strong> Zusammenhang zwischen der Schichtzugehörigkeit<br />

<strong>und</strong> dem erreichten Bildungsabschluss auffällig. Beispielsweise besitzen etwa 50 % der<br />

Angehörigen der oberen Dienstklasse e<strong>in</strong>en akademischen Abschluss, wobei etwa 60 % der<br />

Arbeiter <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fachen Angestellten e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss besitzen.<br />

Bei den Schüler/<strong>in</strong>nen die an der Untersuchung teilgenommen haben hat sich e<strong>in</strong>e klare<br />

schichtspezifische Aufteilung ergeben: K<strong>in</strong>der deren Eltern der oberen Dienstklasse<br />

angehören, haben zu über 50 % Gymnasien besucht, K<strong>in</strong>der deren Eltern den unteren EGP-<br />

Klassen angehören nur zu etwa 15 bzw. 10 %. Für den Hauptschulbesuch sieht die Verteilung<br />

umgekehrt aus. Dagegen ist der Realschulbesuch relativ gleich unter den EGP-Klassen<br />

verteilt.<br />

18


Für <strong>Deutschland</strong> ergaben die Untersuchungen, dass die Bildungskompetenzen der<br />

Schüler/<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> hohem Maße von Merkmalen der familialen <strong>und</strong> sozialen Herkunft abhängen<br />

(Hopf, 2003, S. 12).<br />

2.1.3 Soziale Herkunft <strong>und</strong> Bildungsbeteiligung<br />

Die familiären Lebensverhältnisse unter denen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche aufwachsen, legen die<br />

Bildungswege, die sie <strong>in</strong> ihrer Schullaufbahn gehen, nicht von vornhere<strong>in</strong> fest, aber sie s<strong>in</strong>d<br />

wichtige Ressourcen, die diese Bildungswege anbahnen, denn diese Lebensverhältnisse<br />

spielen zusammen mit Bildungsaspiration, Bildungsbeteiligung, Schulleistungen <strong>und</strong><br />

erreichten Bildungsabschlüssen <strong>und</strong> damit auch mit Lebenschancen.<br />

Der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft <strong>und</strong> der Bildungsbeteiligung von<br />

Personen, der vor der Bildungsreform stark ausgeprägt war, hat sich zwar reduziert, setzt sich<br />

aber noch fort (vgl. Baumert u.a., 2001, S. 352). Dieser Zusammenhang entkoppelt sich<br />

langsam, man muss aber dennoch von e<strong>in</strong>er „hohen Stabilität der Gr<strong>und</strong>struktur sozialer<br />

Disparitäten“ sprechen. Die ungleiche Verteilung der Schüler/-<strong>in</strong>nen verschiedener Schichten<br />

auf Hauptschulen <strong>und</strong> Gymnasien zeigt die zentralen sozialen Disparitäten an der<br />

Bildungsbeteiligung auf (vgl. Baumert u.a., 2001, S. 355).<br />

Man unterscheidet zwischen primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Disparitäten. Unter primären sozialen<br />

Disparitäten versteht man den bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen unterschiedlichen<br />

Leistungsstand von K<strong>in</strong>dern aus unterschiedlichen sozialen Schichten, es s<strong>in</strong>d damit<br />

schichtabhängige Leistungsunterschiede.<br />

Die ungleichen sozialen Lagen von Familien drücken sich <strong>in</strong> je spezifischen<br />

Entscheidungskalkülen <strong>und</strong> unterschiedlichen Ressourcen aus. Sek<strong>und</strong>äre soziale<br />

Disparitäten kommen durch solche unterschiedlichen sozialschichtbed<strong>in</strong>gten Überlegungen<br />

<strong>und</strong> Entscheidungen zustande. Je nach sozialer Lage entscheiden Familien verschiedener<br />

sozialer Schichten unterschiedlich. In die Entscheidungen fließen u.a. Überlegungen des<br />

Statuserhalts, Erfolgserwartungen <strong>und</strong> sozialschichtabhängige Kosten-Nutzen-Kalküle e<strong>in</strong>.<br />

Man geht davon aus, dass <strong>Bildungsungleichheiten</strong> an den Gelenkstellen zwischen<br />

verschiedenen Bildungsetappen entstehen, wo die primären <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>ären Disparitäten<br />

zusammenwirken, wie etwa bei der Entscheidung, welche Schule e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nach der<br />

Gr<strong>und</strong>schule besuchen soll. Als Beispiel wird <strong>in</strong> der PISA-Studie das Empfehlungsverhalten<br />

von Gr<strong>und</strong>schullehrer/<strong>in</strong>nen angeführt, die (wenn auch unbewusst) Schüler unterer sozialer<br />

Schichten bei gleichen Leistungen benachteiligten (vgl. Baumert u.a., 2001, S.353 f.).<br />

Die <strong>in</strong> der PISA-Studie ermittelten Daten über die Bildungsbeteiligung von Schüler/-<strong>in</strong>nen<br />

verschiedener sozialer Schichten beziehen sich hauptsächlich auf die<br />

Übergangsentscheidungen am Ende der Gr<strong>und</strong>schulzeit.<br />

Alle Aspekte die die Übergangsentscheidung bee<strong>in</strong>flussen (frühere Schulleistungen,<br />

Elternwünsche, Empfehlungsverhalten der Lehrer) hängen mit Merkmalen der sozialen<br />

Herkunft des jeweiligen Schülers ab. Im Laufe der Sek<strong>und</strong>arschulzeit verstärkt sich der<br />

Zusammenhang zwischen der Leistung der Schüler/-<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> der Sozialschicht, aus der sie<br />

stammen, weil die unterschiedlichen Schulformen <strong>und</strong> Bildungsgänge unterschiedliche<br />

Entwicklungsmilieus darstellen <strong>und</strong> Schüler unterschiedlich fördern. So summieren sich die an<br />

den Gelenkstellen auftretenden sozialen Disparitäten die ganze Schullaufbahn e<strong>in</strong>es Schülers<br />

entlang.<br />

Die Lesekompetenz der Schüler/<strong>in</strong>nen gilt als gr<strong>und</strong>legendes Werkzeug, „dessen relativ<br />

flexible Beherrschung Voraussetzung jedes selbstständigen Lernens <strong>in</strong>nerhalb oder<br />

außerhalb der Schule ist“ (Schön, 1997).<br />

19


Da das Interesse am Lesen <strong>und</strong> das Verfügen über e<strong>in</strong>e gr<strong>und</strong>legende Lesekompetenz e<strong>in</strong>e<br />

wichtige Stellung <strong>in</strong> der Vermittlung neuen Wissens <strong>und</strong> anderer Kompetenzen e<strong>in</strong>nimmt,<br />

beschäftigen wir uns an dieser Stelle ausschließlich mit der Lesekompetenz.<br />

Neben der Gr<strong>und</strong>schule, wo die gr<strong>und</strong>legende Lesekompetenz von Schülern entwickelt wird,<br />

hat auch die Familie e<strong>in</strong>en großen E<strong>in</strong>fluss darauf, <strong>in</strong>dem sie als Vorbild dient <strong>und</strong> (mehr oder<br />

weniger großes) Anregungspotential bietet. Daher s<strong>in</strong>d straffere Zusammenhänge zwischen<br />

der Lesekompetenz <strong>und</strong> Merkmalen der sozialen Herkunft zu erkennen als beim Erwerb von<br />

mathematischen <strong>und</strong> naturwissenschaftlichen Kompetenzen, da diese hauptsächlich <strong>in</strong> der<br />

Schule gebildet werden. Man kann erkennen, dass sich Jugendliche unterschiedlicher sozialer<br />

Herkunft <strong>in</strong> ihrer Lesekompetenz substanziell vone<strong>in</strong>ander unterscheiden.<br />

Mit dem Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft <strong>und</strong> der Lesekompetenz e<strong>in</strong>es<br />

Schülers am Ende se<strong>in</strong>er Gr<strong>und</strong>schulzeit werden se<strong>in</strong>e primären sozialen Disparitäten<br />

sichtbar, die ausschlaggebend für die Verteilung von Entwicklungschancen se<strong>in</strong> können.<br />

Die Abstände zwischen der erreichten Kompetenz <strong>und</strong> den sozialen Schichten s<strong>in</strong>d nicht<br />

gleich groß: Zwischen den Lesekompetenzen der Jugendlichen aus Familien der oberen <strong>und</strong><br />

unteren Dienstklasse gibt es kaum Unterschiede, wohl aber ist zwischen den beiden<br />

Dienstklassen e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> der Klasse der Rout<strong>in</strong>edienstleistenden <strong>und</strong> dem Arbeitermilieu<br />

andererseits e<strong>in</strong> großer Sprung zu erkennen.<br />

Die Leseleistungen der Schüler überlagern sich jedoch auch, d.h. dass relativ gute <strong>und</strong> relativ<br />

schlechte Leser <strong>in</strong> jeder sozialen Schicht zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. Deshalb kann man nicht von<br />

geschlossenen Sozialschichten im H<strong>in</strong>blick auf die erreichten Leseleistungen sprechen. Die<br />

wahrsche<strong>in</strong>liche Risikogruppe derer, deren Lesekompetenz die Kompetenzstufe I (was<br />

ausschließlich das Verständnis e<strong>in</strong>fachster Texte garantiert <strong>und</strong> <strong>in</strong> der PISA-Untersuchung als<br />

M<strong>in</strong>imum def<strong>in</strong>iert ist) nicht überschreitet, ist aber <strong>in</strong> den unteren sozialen Schichten<br />

besonders groß. Knapp 10 % der untersuchten Jugendlichen erreichten Kompetenzstufe I<br />

nicht ( Baumert u.a., 2001, S. 363).<br />

2.2 Ethnische <strong>und</strong> geschlechtsspezifische Unterschiede der<br />

Bildungsbeteiligung<br />

Besonders heute stellt die schulische <strong>und</strong> berufliche Ausbildung von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong><br />

Jugendlichen e<strong>in</strong>e primäre Ressource für deren zukünftige Chancen <strong>und</strong> Möglichkeiten auf<br />

dem Arbeitsmarkt <strong>und</strong> dementsprechend auch auf dem gesellschaftlichen Positionsmarkt dar.<br />

(vgl. Kirsten,<br />

2002, S. 26)<br />

Die schulischen <strong>und</strong> beruflichen Bildungsqualifikationen spielen besonders für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong><br />

Jugendliche mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e bedeutende Rolle im sozialen<br />

Integrationsprozess.<br />

K<strong>in</strong>der aus Zuwandererfamilien können <strong>in</strong> der Regel nur über Bildungsabschlüsse langfristig<br />

attraktive <strong>und</strong> gesellschaftlich anerkannte Positionen im E<strong>in</strong>wanderungsland e<strong>in</strong>nehmen <strong>und</strong><br />

damit im Zusammenhang der E<strong>in</strong>wanderungsgesellschaft aufsteigen.<br />

Die strukturelle Assimilation (H<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e andere Kultur), verstanden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

wertfreien S<strong>in</strong>ne als e<strong>in</strong>e Angleichung an das Bildungsverhalten der e<strong>in</strong>heimischen<br />

Bevölkerung, wird damit zu e<strong>in</strong>er notwendigen Bed<strong>in</strong>gung e<strong>in</strong>er nachhaltigen sozialen<br />

Integration.<br />

20


2.2.1 Statistischer Vergleich nach Abschlussarten<br />

Deutsche <strong>und</strong> ausländische Schulentlassene nach Abschlussart 1989/90 <strong>und</strong> 1998/99 (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Abschlussart<br />

Deutsche Schulentlassene Ausländische Schulentlassene<br />

<strong>in</strong> % von<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

darunter<br />

Schulabgänger-<br />

Innen (<strong>in</strong> %)<br />

1989/90<br />

<strong>in</strong> % von<br />

<strong>in</strong>sgesamt<br />

darunter<br />

Schulabgänger-<br />

Innen (<strong>in</strong> %)<br />

Ohne Hauptschulabschluss 6,3 5,0 22,0 18,9<br />

Mit Hauptschulabschluss 27,8 25,0 45,9 46,0<br />

Mit Realschulabschluss 36,0 38,9 25,2 28,0<br />

Mit Fachhochschulreife 0,8 0,9 0,5 0,5<br />

Mit Hochschulreife 29,1 30,4 6,4 6,7<br />

1998/99<br />

Ohne Hauptschulabschluss 7,9 5,6 19,5 15,5<br />

Mit Hauptschulabschluss 25,0 21,4 41,9 41,2<br />

Mit Realschulabschluss 41,2 43,8 28,9 32,4<br />

Mit Fachhochschulreife 0,8 1,0 1,0 1,0<br />

Mit Hochschulreife 25,0 28,3 8,7 9,9<br />

Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt (1992c; 2000f): Fachserie 11, Reihe 1, Allgeme<strong>in</strong>bildende<br />

Schulen 1990, S. 33; Schuljahr 1998/1999. S. 40<br />

Im Schuljahr waren <strong>in</strong>sgesamt 936 693 ausländische SchülerInnen <strong>in</strong> den Schularten des<br />

allgeme<strong>in</strong> bildenden Schulwesens vertreten. Die größte Gruppe verzeichneten die K<strong>in</strong>der mit<br />

türkischer Staatsangehörigkeit (408 712); die zweitgrößte Gruppe die sog. „Sonstigen“ (270<br />

906). (vgl. Elfter K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendbericht, 2002, S. 206)<br />

Betrachtet man die Jahre 1989 <strong>und</strong> 1999, so ist e<strong>in</strong> wesentlich höherer Bildungserfolg bei<br />

ausländischen Schulabgängern zu erkennen. Die Zahl der Hauptschulabsolventen ist <strong>in</strong><br />

diesem Zeitraum deutlich gesunken; gleichzeitig stieg die Zahl der Hochschulabsolventen an.<br />

Wie bei den deutschen Schulk<strong>in</strong>dern auch, schneiden Mädchen erfolgreicher ab als<br />

gleichaltrige Jungen.<br />

Trotz dieser positiven Entwicklung, s<strong>in</strong>d die Chancen auf Bildungserfolg für Schulk<strong>in</strong>der ohne<br />

deutschen Pass wesentlich ger<strong>in</strong>ger als für SchülerInnen mit deutscher Staatsangehörigkeit.<br />

Heute ist allerd<strong>in</strong>gs diese positive Entwicklung wieder zurückgegangen. Die<br />

Schlechterstellung der SchülerInnen mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> gilt für den allgeme<strong>in</strong>bildenden<br />

Bereich <strong>und</strong> für den Ausbildungs- <strong>und</strong> Arbeitsmarktzugang.<br />

Die längere Verweildauer der Deutschen deutet nicht nur auf ihren höheren gr<strong>und</strong>legenden<br />

Bildungserfolg, sondern auch darauf h<strong>in</strong>, dass sie häufiger als ausländische Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Schüler mehrere qualifizierende Abschlüsse erwerben.<br />

Die kürzere Verweildauer von ausländischen SchülerInnen auf dem Bildungsmarkt führt zu<br />

e<strong>in</strong>er größeren Nachfrage nach betrieblichen Ausbildungsstellen.<br />

Die Ausbildungschancen s<strong>in</strong>d seit 1994 wieder gesunken (Vergleich: 1994 bis 1998 -<br />

Ausbildungsquote von 44% auf 38% gefallen).<br />

21


Die Ausbildungschancen s<strong>in</strong>d am höchsten <strong>in</strong> Berufen, die aufgr<strong>und</strong> ger<strong>in</strong>gerer<br />

Verdienstmöglichkeiten, günstiger Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen oder schlechter Karrierechancen von<br />

Deutschen eher gemieden werden.<br />

Ausländische Jugendliche s<strong>in</strong>d häufiger arbeitslos/nicht erwerbstätig als gleichaltrige<br />

Deutsche.<br />

Jugendliche mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> s<strong>in</strong>d 3 mal so häufig <strong>in</strong> ungelernten oder angelernten<br />

Berufen anzutreffen wie deutsche Jugendliche.<br />

E<strong>in</strong>ziger Vorteil (auf kürzere Sicht): Ausländer verfügen früher über eigenes E<strong>in</strong>kommen.<br />

2.2.2 Vergleich – Abschlüsse nach ethnischer Herkunft<br />

Schulische <strong>und</strong> berufliche Abschlüsse nach ethnischer Herkunft (<strong>in</strong> Prozent)<br />

Ke<strong>in</strong> Abschluss<br />

Hauptschule<br />

Realschule<br />

Abitur<br />

Hochschulabschluss<br />

Ohne beruflichen Abschluss<br />

Mit beruflichen Abschluss<br />

Ohne beruflichen Abschluss<br />

Mit beruflichen Abschluss<br />

Ohne beruflichen Abschluss<br />

Mit beruflichen Abschluss<br />

Deutsche<br />

8,6<br />

42,8<br />

1,7<br />

26,0<br />

1,2<br />

7,3<br />

11,8<br />

Türken<br />

Quelle: Mikrozensus 1996; N. Granato/F. Kalter (Anm. 6)<br />

0,7<br />

38,2<br />

28,7<br />

2,9<br />

6,9<br />

1,3<br />

2,0<br />

2,0<br />

Italiener<br />

37,7<br />

32,2<br />

2,1<br />

9,5<br />

1,0<br />

1,4<br />

3,5<br />

Spanier<br />

Bei Migranten gibt es e<strong>in</strong>e hohe Anzahl von Schulabgängern ohne Abschluss. Nimmt man zu<br />

dieser Gruppe diejenigen h<strong>in</strong>zu, die zwar e<strong>in</strong>en Hauptschulabschluss erreichen, danach<br />

jedoch ke<strong>in</strong>e berufliche Ausbildung abschließen, so ergeben sich besonders für türkische <strong>und</strong><br />

italienische Migranten erschreckend hohe Prozentanteile: Türken - 56,1%; Italiener - 50,3%<br />

(Deutsche - 9,3%); umgekehrt bei höheren Abschlüssen – Hochschulabschluss: Deutsche -<br />

11,3%; Türken - 2%; Italiener - 3,5%.<br />

2.2.3 Wie kommt es zu Unterschieden <strong>in</strong> der Bildungsbeteiligung?<br />

(vgl. Elfter K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendbericht, 2002, S. 207)<br />

1. Migrationsbiographie:<br />

Wohl wichtigstes Kriterium der Integration <strong>und</strong> der späteren Schulkarriere ist das<br />

E<strong>in</strong>reisealter. Je höher das E<strong>in</strong>reisealter <strong>und</strong> je später der Besuch e<strong>in</strong>er Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />

erfolgt, desto ger<strong>in</strong>gere Chancen haben Migrantenk<strong>in</strong>der auf e<strong>in</strong>e höhere Schulausbildung<br />

(<strong>und</strong> umgekehrt);<br />

d. h. je früher also der Kontakt zum Bildungssystem hergestellt wird, desto besser ist dies für<br />

die späteren Chancen des K<strong>in</strong>des auf e<strong>in</strong>e erfolgreiche Bildungslaufbahn.<br />

Dagegen ist es <strong>in</strong> der Regel sehr schwierig, Benachteiligungen, die aus e<strong>in</strong>em verspäteten<br />

Start e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wanderungsland resultieren, wieder aufzuholen.<br />

17,9<br />

12,6<br />

10,7<br />

22,9<br />

30,4<br />

4,3<br />

17,0<br />

2,8<br />

4,7<br />

7,1<br />

22


2. E<strong>in</strong>geschränkte Möglichkeiten der Familien zur Unterstützung des Schulerfolgs:<br />

Zugewanderte Familien entstammen überwiegend den leistungsstärkeren Schichten der<br />

Herkunftsregionen, das gilt unabhängig von ihrer staatlichen Zugehörigkeit. Dennoch ist ihr<br />

formaler Bildungsstand meist niedriger als der des Durchschnitts der altansässigen<br />

Bevölkerung. Nach der Migration erfolgt zumeist e<strong>in</strong>e Abwertung des Sozial- <strong>und</strong><br />

Ausbildungsstatus (z. B. Beruf der Krankenschwester); d. h. Migranten führen Tätigkeiten<br />

aus, welche unterhalb ihres Kompetenzniveaus s<strong>in</strong>d. Somit haben sie im Vergleich zu<br />

gleichaltrigen Deutschen im Allgeme<strong>in</strong>eren schlechtere sozioökonomische Bed<strong>in</strong>gungen.<br />

3. Ressourcenansatz/Schichtzugehörigkeit:<br />

Individuen können die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen (materiell, kulturell, sozial)<br />

e<strong>in</strong>setzen, um ihre Ziele zu verwirklichen. Dieser Begriff umfasst dabei alle Eigenschaften,<br />

Positionen, Güter etc., die sich die „Akteure“ <strong>in</strong> irgende<strong>in</strong>er Weise zunutze machen können.<br />

Dennoch s<strong>in</strong>d Ressourcen immer e<strong>in</strong>geschränkt, d. h. es gibt ke<strong>in</strong>e unbegrenzten<br />

Handelsmöglichkeiten bzw. Zielverwirklichungen – die jeweilige Bevölkerungsgruppe hat<br />

unterschiedliche Möglichkeiten, ihre Ziele zu erreichen <strong>und</strong> zu verwirklichen.<br />

Wichtige Verbesserungsansätze wären:<br />

Kont<strong>in</strong>uierliche Förderung (regelmäßige Unterstützung bei den Hausaufgaben oder der<br />

Vorbereitung auf Klassenarbeiten) sowie das rechtzeitige Erkennen <strong>und</strong> Ausräumen von<br />

auftretenden Schwierigkeiten (Eltern, welche um die Struktur des Bildungssystems aus<br />

eigener Erfahrung wissen, können mehr Möglichkeiten der E<strong>in</strong>flussnahme ausschöpfen).<br />

Demzufolge kann sich der Bildungserfolg der Eltern über diesen Mechanismus der<br />

Bereitstellung bildungsrelevanter Informationen für den Schulerfolg der K<strong>in</strong>der auszahlen.<br />

4. Ethnische Segregation im Gr<strong>und</strong>schulbereich:<br />

Ethnische Segregation beschreibt die ungleiche Verteilung verschiedener ethnischer Gruppen<br />

über die Gr<strong>und</strong>schulen. Insbesondere <strong>in</strong> Städten konzentrieren sich Migrantenk<strong>in</strong>der meist an<br />

wenigen Schulen <strong>in</strong> typischen Stadtteilen; während sich an den anderen Gr<strong>und</strong>schulen nur<br />

ger<strong>in</strong>ge Anteile von K<strong>in</strong>dern mit Zuwanderungsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> f<strong>in</strong>den.<br />

Beispiel: In Mannheim mussten 48% aller türkischen K<strong>in</strong>der die Gr<strong>und</strong>schule wechseln, um<br />

e<strong>in</strong>e Gleichverteilung mit deutschen K<strong>in</strong>dern zu erzielen.<br />

5. Kognitive Defizite:<br />

Es besteht e<strong>in</strong> massives Defizit an geeigneten niedrigschwelligen Angeboten (Zeitgestaltung,<br />

K<strong>in</strong>derbetreuung). Durch diese Vernachlässigung des Schulsystems, werden die sprachlichen<br />

Lebensumstände der Migranten nicht angemessen <strong>in</strong> Erziehungs- <strong>und</strong> Bildungsprozessen<br />

berücksichtigt.<br />

2.3 Geschlechtsspezifische Unterschiede der Bildungsbeteiligung<br />

Das Kapitel „Geschlechtsspezifische Unterschiede von Mädchen <strong>und</strong> Jungen <strong>in</strong> der<br />

Bildungsbeteiligung“ wird sich im Folgenden <strong>in</strong> vier Unterkapitel unterteilen.<br />

Zu Beg<strong>in</strong>n werden die Geschlechtsunterschiede im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich betrachtet. Es<br />

folgt e<strong>in</strong> Blick auf die differenziellen Stärken <strong>und</strong> Schwächen von Jungen <strong>und</strong> Mädchen<br />

<strong>in</strong>nerhalb der e<strong>in</strong>zelnen Leistungsbereiche die von den Geschlechtsunterschieden <strong>in</strong>nerhalb<br />

der Bildungsgänge ergänzt werden. Zum Abschluss werden die Unterschiede <strong>in</strong><br />

Lesegewohnheiten <strong>und</strong> motivationalen Merkmalen aufgeführt.<br />

Alle Aussagen <strong>und</strong> Fakten beziehen sich auf die PISA-Untersuchung von 2000 sofern nicht<br />

anders vermerkt. Die folgenden Seiten sollen e<strong>in</strong>e Faktensammlung se<strong>in</strong>, die es ermöglicht<br />

die Situation von Jungen <strong>und</strong> Mädchen <strong>in</strong> der derzeitigen Schulsituation, bezogen auf die<br />

Leistungsbereiche, zu erfassen.<br />

23


2.3.1Geschlechterunterschiede im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich<br />

LESEN:<br />

Im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich ist der Geschlechtsunterschied im Bereich Lesen deutlich am<br />

größten <strong>und</strong> konsistentesten. (vgl. Baumert u.a., 2001, S.251ff)<br />

Hier erreichen die Mädchen <strong>in</strong> allen Teilnehmerstaaten höhere Testwerte als die Jungen. Es<br />

ist jedoch zu berücksichtigen, dass trotz der konsistenten Vorteile für Mädchen erhebliche<br />

Unterschiede zwischen den Teilnehmerstaaten selbst zu verzeichnen s<strong>in</strong>d.<br />

Deutlich wird dies am Vergleich Lettland mit 53 Punkten (hier liegt die größte Differenz vor),<br />

während die kle<strong>in</strong>sten Unterschiede <strong>in</strong> Korea mit weniger als 20 Punkten zu beobachten s<strong>in</strong>d.<br />

Die mittlere Geschlechtsdifferenz, über alle OECD-Mitgliedsstaaten berechnet, beträgt im<br />

Lesen 32 Punkte. (vgl. Abbildung 5.1)<br />

Die ger<strong>in</strong>gen geschlechtsspezifischen Unterschiede z.B. <strong>in</strong> Korea, Brasilien, Portugal usw.,<br />

nach e<strong>in</strong>er Hypothese von Petra Stanat <strong>und</strong> Mareike Kunter, weisen auf e<strong>in</strong>e möglicherweise<br />

stärkere Förderung von Jungen <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>hergehenden Benachteiligung für Mädchen<br />

<strong>in</strong> den anderen Fächern h<strong>in</strong>.<br />

Wenn wir nun den Blick auf <strong>Deutschland</strong> richten, so ist zu verzeichnen, dass der<br />

Geschlechtsunterschied auf der Gesamtskala im Bereich Lesen mit 35 Punkten nur knapp<br />

über den OECD-Mittelwert liegt.<br />

MATHEMATIK:<br />

Die Auswertungen im Bereich Mathematik ergaben, dass <strong>in</strong> den meisten Teilnehmerstaaten<br />

e<strong>in</strong>e Überlegenheit von Jungen zu verzeichnen ist, diese jedoch nicht so konsistent <strong>und</strong><br />

ausgeprägt wie der Vorteil der Mädchen im Lesen.<br />

Die Geschlechtsdifferenz <strong>in</strong> Mathematik liegt, gemäß dem Durchschnittswert der OECD-<br />

Länder, bei 11 Punkten. Bezogen auf die vorangegangene Hypothese von Stanat <strong>und</strong> Kunter,<br />

Jungen erhalten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ländern (z.B. Brasilien, Korea <strong>und</strong> Österreich) e<strong>in</strong>e besondere<br />

Förderung, könne dieses realistisch ersche<strong>in</strong>en bei e<strong>in</strong>em Testwert von 27 Punkten.<br />

Für <strong>Deutschland</strong> ist e<strong>in</strong>e Differenz von 15 Punkten zu verzeichnen, die zwar nur 4 Punkte<br />

über dem Mittelwert liegt, jedoch im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich signifikant ist. (vgl. Abbildung<br />

5.1)<br />

NATURWISSENSCHAFTEN:<br />

Im Durchschnitt der OECD-Staaten ist ke<strong>in</strong> signifikanter Geschlechtsunterschied zu<br />

verzeichnen. Lediglich <strong>in</strong> sechs Teilnehmerstaaten ist e<strong>in</strong>e Differenz zu verzeichnen. Bessere<br />

Leistungen erzielten die Mädchen <strong>in</strong> Lettland, der russischen Föderation <strong>und</strong> Neuseeland,<br />

während die Jungen <strong>in</strong> Korea, Österreich <strong>und</strong> Dänemark bessere Leistungen erbrachten.<br />

Für <strong>Deutschland</strong> ist der Unterschied im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich nicht bedeutsam, aber es ist<br />

zu sehen, dass <strong>in</strong> diesem Bereich die Jungen ger<strong>in</strong>gfügig bessere Ergebnisse erzielten. (vgl.<br />

Abbildung 5.1)<br />

24


Vergleich zur TIMSS-Mittelstufenuntersuchung:<br />

In der TIMSS-Mittelstufenuntersuchung ergaben sich ke<strong>in</strong>e statistisch nachweisbaren<br />

Unterschiede zwischen Mädchen <strong>und</strong> Jungen im Bereich Mathematik, während die PISA-<br />

Studie identifizierte Differenzen aufweist.<br />

Daher ist es im Folgenden wichtig, die Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Teilbereichen deutlich zu machen <strong>und</strong> nicht nur e<strong>in</strong>en globalen Vergleich aufzustellen.<br />

Lesen, Mathematik uns Naturwissenschaften werden nun bezüglich der Stärken <strong>und</strong><br />

Schwächen differenzieller betrachtet, um e<strong>in</strong>e strukturierte Übersicht zu erhalten.<br />

2.3.2 Differenzielle Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>in</strong>nerhalb der Leistungsbereiche<br />

Wie <strong>in</strong> Abbildung 5.2. zu sehen ist, wurden <strong>in</strong> den Bereichen Lesen <strong>und</strong> Naturwissenschaften<br />

<strong>in</strong>ternationale <strong>und</strong> nationale Tests durchgeführt, um Stärken <strong>und</strong> Schwächen der Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Domäne differenziert betrachten zu können. (vgl. Baumert u.a.,<br />

2001, S.254ff)<br />

LESEN:<br />

Wenn man das Lesen <strong>in</strong> verschiedene Teilbereiche unterteilt, wird hier deutlich, dass über<br />

die drei Skalen (Informationen ermitteln, Textbezogenes Interpretieren, Reflektieren <strong>und</strong><br />

Bewerten) die Geschlechtsunterschiede stetig zunehmen. Diese Geschlechtsdifferenz ist <strong>in</strong><br />

25


allen PISA-Staaten zu beobachten. Jungen fällt sche<strong>in</strong>bar die kritische Ause<strong>in</strong>andersetzung<br />

mit Texten schwerer als den Mädchen <strong>und</strong> zeigen daher relative Schwäche auf. Dies erklärt<br />

auch die folgenden Ergebnisse.<br />

Um weitere spezifische Schwächen <strong>und</strong> Stärken hervorzuheben <strong>und</strong> somit e<strong>in</strong>e<br />

Differenzierung zu beobachten, wurde <strong>in</strong> der Studie zwischen verschiedenen Textarten<br />

unterschieden: zum e<strong>in</strong>en kont<strong>in</strong>uierliche <strong>und</strong> zum anderen nicht-kont<strong>in</strong>uierliche Texte.<br />

Kont<strong>in</strong>uierliche Texte bestehen <strong>in</strong> der Regel aus Sätzen <strong>und</strong> werden <strong>in</strong> Absätze unterteilt.<br />

Beispiel: Erzählungen, Kommentare, Argumentationen.<br />

Nicht-kont<strong>in</strong>uierliche Texte dagegen stellen die Informationen nicht fortlaufend dar <strong>und</strong><br />

können auch visuell verstanden werden. Beispiel: Formulare, Tabellen, Graphiken,<br />

Diagramme oder Karten.<br />

Aus der Abbildung ist zu sehen, dass die Geschlechtsdifferenz zu Gunsten der Mädchen <strong>in</strong><br />

nicht-kont<strong>in</strong>uierlichen Texten im Vergleich zu kont<strong>in</strong>uierlichen Texten stark zurückgegangen<br />

ist. Man kann daher davon ausgehen, dass Jungen besser mit Tabellen, Graphiken usw. als<br />

mit kont<strong>in</strong>uierlichen Texten zu Recht kommen.<br />

Um die Domäne Lesen abzuschließen, ist es von großer Wichtigkeit noch auf die<br />

Lesegeschw<strong>in</strong>digkeit e<strong>in</strong>zugehen.<br />

Die Lesegeschw<strong>in</strong>digkeit der Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler wurde erfasst, <strong>in</strong>dem ihnen e<strong>in</strong> Text<br />

gegeben wurde, den sie mit e<strong>in</strong>em gewissen Maß an Aufmerksamkeit lesen sollten. Nach drei<br />

M<strong>in</strong>uten (abgelaufener Zeit) erfolgte e<strong>in</strong>e Aufforderung zu markieren, wie weit sie gekommen<br />

waren.<br />

Um die Aufmerksamkeit zu fördern <strong>und</strong> zu überprüfen, war <strong>in</strong> jedem dritten bis fünften Satz<br />

e<strong>in</strong>e Klammer mit drei Worten e<strong>in</strong>gefügt. Die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler waren angewiesen,<br />

das zu den gelesenen Sätzen passende Wort zu unterstreichen.<br />

Auch <strong>in</strong> dieser Untersuchung zeigten sich signifikante Geschlechtsunterschiede. Während<br />

Mädchen im vorgegebenen Zeitraum mit e<strong>in</strong>em gewissen Maß an Aufmerksamkeit im<br />

Durchschnitt bis zu 651 Zeilen lasen, erreichten die Jungen 624 Zeilen.<br />

Um zu prüfen, ob diese Ergebnisse (dieser gr<strong>und</strong>legenden Fertigkeit) verantwortlich für die<br />

Lesekompetenz ist, bedarf es tiefer gehende Analysen, <strong>in</strong> denen weitere Faktoren<br />

berücksichtigt <strong>und</strong> mit dieser Variable verknüpft werden.<br />

MATHEMATIK:<br />

Analysen im Bereich Mathematik zeigen e<strong>in</strong>e Geschlechtsdifferenz zu Gunsten der Jungen<br />

auf. Diese ist jedoch nicht so ausgeprägt wie die Leistungsstärke der Mädchen im Bereich<br />

Lesen.<br />

NATURWISSENSCHAFTEN:<br />

Bei den Ergebnissen der Naturwissenschaft ist <strong>in</strong>nerhalb der Abbildung zu sehen, dass sie<br />

differenziert nach <strong>in</strong>ternationalen <strong>und</strong> nationalen Tests sowie nach den<br />

naturwissenschaftlichen Fächern dargestellt werden.<br />

Gemäß dieser Abbildung s<strong>in</strong>d die nationalen Geschlechtsunterschiede größer als die<br />

<strong>in</strong>ternationalen, was vermutlicherweise auf die Schwerpunktsetzung der<br />

Naturwissenschaftstests zurück zu führen ist.<br />

Vergleicht man nun die e<strong>in</strong>zelnen Fächer im <strong>in</strong>ternationalen Test, so ist e<strong>in</strong>e<br />

Geschlechtsdifferenz zu Gunsten der Jungen im Bereich Physik <strong>und</strong> Chemie deutlich zu<br />

verzeichnen. Die etwas höheren Testergebnisse der Mädchen im Bereich Biologie s<strong>in</strong>d jedoch<br />

nicht signifikant.<br />

26


2.3.3 Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong>nerhalb der Bildungsgänge<br />

In den vorangegangenen Globalvergleichen der Schulleistungen von Jungen <strong>und</strong> Mädchen<br />

wird deutlich, dass <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bereich oder Teilbereich e<strong>in</strong>e gesamte Benachteiligung des e<strong>in</strong>en<br />

oder anderen Geschlechts vorliegt.<br />

An dieser Stelle kommt jedoch die Frage nach Chancengleichheit auf. – In wieweit s<strong>in</strong>d diese<br />

Geschlechtsunterschiede auch im Unterricht anzutreffen? – Um dieser Frage nachzugehen,<br />

ist e<strong>in</strong>e Betrachtung über den gesamten Geburtenjahrgang nötig, der die<br />

Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong>nerhalb von Schulen der gleichen Schulform aufzeigt. (vgl.<br />

Baumert u.a., 2001, S.257ff)<br />

Der Blick auf die e<strong>in</strong>zelnen Schulformen zeigt auf, dass Jungen <strong>und</strong> Mädchen unterschiedlich<br />

stark vertreten s<strong>in</strong>d. Jungen s<strong>in</strong>d häufiger <strong>in</strong> den leistungsschwächeren Schulformen<br />

anzutreffen, während Mädchen <strong>in</strong> den leistungsstärkeren Schulformen überrepräsentiert s<strong>in</strong>d.<br />

Zum Vergleich:<br />

– ca. 44 % der 15 jährigen Gymnasiasten s<strong>in</strong>d Jungen<br />

– ca. 55 % der Hauptschüler <strong>und</strong><br />

– ca. 69 % der Sonderschüler s<strong>in</strong>d Jungen<br />

Wie schon <strong>in</strong> der TIMMS - Untersuchung wird auch <strong>in</strong> der PISA-Studie deutlich, dass sich<br />

Geschlechtsdifferenzen bestärken, wenn der Blick auf die Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong> den<br />

e<strong>in</strong>zelnen Schulformen gerichtet wird.<br />

Mathematik <strong>und</strong> Naturwissenschaften<br />

Zum Beispiel lag im Globalvergleich der Geschlechtsunterschied im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Mathematiktest bei 4 Punkten (vgl. Abb. 5.2). Bezogen auf die e<strong>in</strong>zelnen Schulformen steigt<br />

dieser Wert jedoch auf etwa 8-10 Punkte an.<br />

Genauso steigen die Leistungen im Bereich Naturwissenschaften. Im Globalvergleich galten<br />

diese als nicht signifikant, während im Gymnasium <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Realschule (im <strong>in</strong>ternationalen<br />

Test) e<strong>in</strong>e Größenordnung nachweisbar ist. Auch die e<strong>in</strong>zelnen Fächer zeigen nun im<br />

Vergleich deutliche Werte. So hat sich z.B. im Gymnasium <strong>und</strong> der Realschule der ger<strong>in</strong>ge<br />

Vorteil der Mädchen <strong>in</strong> Biologie zu den Gunsten der Jungen verändert <strong>und</strong> e<strong>in</strong><br />

Signifikanzniveau erreicht.<br />

Lesen<br />

Im Bereich Lesen, bezogen auf die Gesamtskala, haben die Jungen im Globalvergleich<br />

stärkere Leistungsnachteile aufgewiesen als die Mädchen. Dies hängt mit dem deutlich<br />

höheren Anteil von Jungen <strong>in</strong> leistungsschwächeren Schulformen zusammen.<br />

Betrachtet man nun jedoch die Differenz <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Schulform, so wird diese erheblich<br />

kle<strong>in</strong>er.<br />

Zum Vergleich: Im Globalvergleich lagen die Werte bei -9 Punkten zu Gunsten der Mädchen<br />

(Abb. 5.2). Innerhalb der e<strong>in</strong>zelnen Schulformen wird jedoch <strong>in</strong> der Realschule e<strong>in</strong> knapper<br />

Wert über -4 <strong>und</strong> im Gymnasium e<strong>in</strong> knapper Wert unter -4 Punkten zu Gunsten der Mädchen<br />

erzielt.<br />

Die im Globalvergleich signifikante Leseschwäche ist somit <strong>in</strong>nerhalb der Schulformen<br />

weniger ausgeprägt, was jedoch nicht heißen soll, dass diese Benachteiligung zu<br />

vernachlässigen ist.<br />

27


Es ist festzuhalten, dass Jungen im Gesamttest Lesen auf der Kompetenzstufe I <strong>und</strong> darunter<br />

im Vergleich zu den Mädchen deutlich überrepräsentiert <strong>und</strong> auf der Kompetenzstufe IV <strong>und</strong><br />

V unterrepräsentiert s<strong>in</strong>d (vgl. Tabelle 5.2).<br />

Dieses Muster ist <strong>in</strong> allen PISA-Teilnehmerstaaten zu verzeichnen.<br />

In Mathematik s<strong>in</strong>d diese Ergebnisse zwar umgekehrt zu beobachten<br />

(Geschlechterrollentausch), jedoch s<strong>in</strong>d sie auf den unteren Kompetenzstufen nicht ganz so<br />

ausgeprägt wie beim Lesen (vgl. Tabelle 5.3).<br />

2.3.4 Geschlechtsunterschiede <strong>in</strong> Lesegewohnheiten <strong>und</strong> motivationalen<br />

Merkmalen<br />

Innerhalb der PISA-Studie wurden natürlich auch die Lesegewohnheiten <strong>und</strong> die Motivationen<br />

zum Lesen untersucht. (vgl. Baumert u.a., 2001, S.262ff)<br />

Abbildung 5.5 zeigt das Ergebnis auf die Frage: „Ich lese nur wenn ich muss“.<br />

28


Hier gaben im Durchschnitt der OECD-Länder 45,6 % der Jungen an, dass dies für sie zutrifft,<br />

während nur 26,3 % der Mädchen dieser Aussage zustimmen konnten.<br />

Vergleicht man dazu <strong>Deutschland</strong>, so steigert sich der Wert bei den Mädchen nur um 0,1 %,<br />

während für die Jungen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> diese Aussage zu 51,8 % zutrifft. Im Vergleich zum<br />

OECD-Durchschnitt lesen also die deutschen Jungen weniger gerne.<br />

Auch im Bezug auf das Lesen als Hobby gibt es signifikante Geschlechtsunterschiede<br />

(vgl. Abb. 5.6).<br />

29


In <strong>Deutschland</strong> gehört das Lesen bei 41 % der Mädchen zum Hobby, während dies nur 17,1<br />

% der Jungen bestätigen konnten. <strong>Deutschland</strong> liegt somit <strong>in</strong> beiden Werten unter dem<br />

OECD-Durchschnitt. Dieser liegt bei den Mädchen: 45,4 % <strong>und</strong> bei den Jungen: 25,2 %.<br />

Diese Werte zeigen, dass Mädchen viel motiviertere <strong>und</strong> aktivere Leser s<strong>in</strong>d als die Jungen,<br />

denn auch Abbildung 5.4 gibt an, dass Mädchen mehr Zeit für das Lesen <strong>in</strong>vestieren als<br />

Jungen.<br />

Hier kommt natürlich auch die Vermutung auf, dass die Leistungsdifferenz im Lesen zwischen<br />

Jungen <strong>und</strong> Mädchen vermutlich teilweise auf motivationale Merkmale zurück zu führen ist, da<br />

e<strong>in</strong> signifikanter Zusammenhang zwischen Interesse uns Schulleistung steht.<br />

Darauf weisen auch die Mediationsanlysen der PISA-Studie h<strong>in</strong>. Sie bestätigen, dass der<br />

Leistungsvorsprung der Mädchen im Lesen teilweise auf motivationale Merkmale zurück zu<br />

führen ist, dies jedoch nicht auf die Geschlechtsdifferenz <strong>in</strong> Mathematik <strong>und</strong><br />

Naturwissenschaften zu übertragen ist.<br />

Quellenverzeichnis:<br />

Baumert, Jürgen, Klieme, Eckhard, Neubrand, Michael u.a. (2001): PISA 2000.<br />

Basiskompetenzen von Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich. Opladen:<br />

Leske + Budrich<br />

Hopf, Wulf (2003): Soziale Ungleichheit <strong>und</strong> Bildungskompetenz. Erklärung <strong>und</strong> Exploration <strong>in</strong><br />

den<br />

PISA-Studien. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung <strong>und</strong> Sozialisation. 23. jg. S. 10-23<br />

Kristen, Cornelia (2003): Ethnische Unterschiede im deutschen Schulsystem. In: Aus Politik<br />

<strong>und</strong> Zeitgeschichte. S. 26-32<br />

30


3. Was ist Schulsozialarbeit?<br />

3.1 Elfter K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendbericht<br />

3.1.1 Bildungsmöglichkeiten <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

Das KJHG fordert, dass <strong>in</strong> der Schulsozialarbeit mehr Möglichkeiten geschaffen werden, alle<br />

K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen optimal zu fördern <strong>und</strong> fordern.<br />

Ziel der Schulsozialarbeit soll es darum se<strong>in</strong>, dass K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche, aller<br />

Schichtenzugehörigkeit die Chance erhalten, e<strong>in</strong>en höheren Bildungsweg e<strong>in</strong>schlagen zu<br />

können. Es soll, nach Ansicht e<strong>in</strong>iger Bildungsexperten, ebenfalls darum gehen, dass K<strong>in</strong>der<br />

sowie Jugendliche aus sozial schwachen Familien nicht gleich abgestempelt werden, als<br />

Versager oder sogar als Schulschwänzer. Es muss auf Gr<strong>und</strong> dessen <strong>in</strong> der Zukunft<br />

sichergestellt werden dass alle K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> Anrecht auf e<strong>in</strong>en Schulplatz erhalten. Im S<strong>in</strong>ne des<br />

K<strong>in</strong>des muss es darum gehen, dass man es nach se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Fähig- <strong>und</strong> Fertigkeiten<br />

schult.<br />

Diese Forderung des KJHG an unsere Bildungspolitik ist leider noch nicht erfüllt worden. In<br />

der Realität sieht es immer noch ziemlich katastrophal aus. Die Schulen s<strong>in</strong>d zu voll, die<br />

Lehrer müssen Überst<strong>und</strong>en machen, weil die (Landes-) Regierung für neue Lehrkräfte ke<strong>in</strong><br />

Geld mehr zur Verfügung stellt. Die vorhandenen Lehrkräfte übernehmen Schichten, die<br />

eigentlich für zwei Fachkräfte kaum zu schaffen s<strong>in</strong>d. Aufgr<strong>und</strong> dieser Tatsache können die<br />

K<strong>in</strong>der nicht richtig gefördert werden. Das hat wiederum zu Folge, dass die K<strong>in</strong>der <strong>und</strong><br />

Jugendlichen aggressiv <strong>und</strong> zum Teil auch krim<strong>in</strong>ell werden.<br />

Eigentlich sollte es der B<strong>und</strong>esregierung am Herzen liegen, dass das KJHG diese Forderung<br />

stellt, denn Bildung ist heutzutage das wichtigste Gut geworden. Menschen, die e<strong>in</strong>e optimale<br />

Schulbildung erfahren konnten, haben es wesentlich e<strong>in</strong>facher <strong>in</strong> der Gesellschaft zu<br />

bestehen, als Menschen die aufgr<strong>und</strong> ihrer Herkunft, ihres Geschlechtes oder sogar ihrer<br />

sozialen Zugehörigkeit nicht die Chance e<strong>in</strong>er optimalen Bildung erhalten durften.<br />

Bildung ist heute bedeutender als jemals zuvor, dass ist auch der Gr<strong>und</strong>, warum <strong>in</strong>zwischen<br />

sehr viele junge Menschen (Jugendliche <strong>und</strong> junge Erwachsene) sehr lange<br />

Bildungse<strong>in</strong>richtungen jeglicher Art besuchen.<br />

Bildung soll sich nicht mehr auf das re<strong>in</strong>e Wissen beschränken, sie soll sich vielmehr um die<br />

Aneignung sozialer Kompetenzen kümmern. Das Vermögen, Sachverhalte <strong>und</strong><br />

Zusammenhänge richtig deuten zu können <strong>und</strong> die Eigenverantwortung jedes e<strong>in</strong>zelnen<br />

Individuums zu stärken, sowie das eigene Handeln <strong>und</strong> Denken unter Kontrolle zu halten.<br />

Im Gegensatz zu anderen Ländern haben die K<strong>in</strong>der, die Jugendlichen <strong>und</strong> die<br />

Auszubildenden, <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> das Glück, e<strong>in</strong>e gute Versorgung mit Erziehungs- <strong>und</strong><br />

Bildungs<strong>in</strong>stitutionen zu erhalten. Hier können schon die Kle<strong>in</strong>sten unserer Gesellschaft e<strong>in</strong>en<br />

K<strong>in</strong>dergartenplatz erhalten. Noch weitreichender sieht es im Schulsystem aus Das<br />

Bildungssystem hat sich <strong>in</strong> den vergangenen Jahren erheblich verändert, es ist gestiegen,<br />

doch <strong>in</strong> den Klassen merkt man immer häufiger das auch K<strong>in</strong>der bzw. Jugendliche aus sozial<br />

schwachen Familien stammen. In den meisten Fällen schaffen diese Jugendlichen e<strong>in</strong>en<br />

mittleren oder sogar nur e<strong>in</strong>en untersten Bildungsabschluss. Das liegt <strong>in</strong> der Regel auch<br />

daran, dass die meisten K<strong>in</strong>der unter ihres Gleichen bleiben.<br />

Im Gegensatz dazu haben K<strong>in</strong>der, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em reichen Elternhaus aufwachsen e<strong>in</strong>e bessere<br />

Chance, e<strong>in</strong>en höheren Bildungsabschluss zu erhalten. Das liegt <strong>in</strong> vielen Fällen daran, dass<br />

die Eltern die Möglichkeit haben, vielleicht e<strong>in</strong> Elite-Internat zu bezahlen oder sogar an Orte<br />

zu ziehen, <strong>in</strong> denen vorzügliche Bildungsmöglichkeiten herrschen.<br />

31


Im Allgeme<strong>in</strong>en wollen reiche Familien bzw. Eltern immer, dass ihre K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>en höheren<br />

Bildungsabschluss erhalten, dies kann jedoch auch die Folge haben, dass die K<strong>in</strong>der auf dem<br />

Gymnasium überfordert s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> somit die schulischen Leistungen immer schlechter werden.<br />

Nach Forschungsergebnissen zeigt sich unter anderem auch, dass immer mehr Mädchen<br />

nach e<strong>in</strong>em höher stehenden Abschluss streben. Sie müssen jedoch immer damit rechnen,<br />

dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt e<strong>in</strong>e gut bezahlte Stelle zu erhalten ger<strong>in</strong>ger ist als<br />

bei den Männern.<br />

3.1.2 Wandel der Bildungsstrukturen<br />

Aufgr<strong>und</strong> der neuen Wirtschaftslage <strong>und</strong> mangelnder Arbeit müssen die Jugendlichen <strong>und</strong><br />

jungen Erwachsenen sozusagen immer mit der Zeit gehen, sie müssen sich an die neuen<br />

Gegebenheiten anpassen <strong>und</strong> es muss ihnen immer klar se<strong>in</strong>, dass es durchaus se<strong>in</strong> kann,<br />

dass sie ihren Berufswunsch nicht ausüben können <strong>und</strong> sich aufgr<strong>und</strong> dessen Alternativen<br />

suchen müssen. „An Heranwachsende stellt sich die Herausforderung sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

gleichzeitig vere<strong>in</strong>heitlichen <strong>und</strong> ausdifferenzierten Welt zu orientieren <strong>und</strong> ihr persönliches<br />

Repertoire an Wertevorstellungen <strong>und</strong> Praxisformen zu entwickeln“ (11. K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong><br />

Jugendbericht, Seite 157).<br />

Viele Jugendliche beugen sich diesem Wandel <strong>und</strong> zeigen die Neigung, sich den<br />

Gegebenheiten anzupassen <strong>und</strong> ihren eigenen Standpunkt darüber zu vertreten.<br />

Das bedeutet gleichzeitig, dass die Zukunft der Jugendlichen immer weniger planbar se<strong>in</strong><br />

wird. Die Folge ist, dass sich die Jugendlichen daran gewöhnen müssen, diese ungewisse<br />

Lage auszuhalten <strong>und</strong> nicht den Mut verlieren dürfen. Forschungsergebnisse über das<br />

Verhalten der Jugendlichen/jungen Erwachsenen belegen jedoch auch, dass die<br />

Jugendlichen trotz der wirtschaftlich schlechten Lage immer noch positiv <strong>in</strong> die Zukunft<br />

schauen <strong>und</strong> immer noch die Hoffnung besitzen e<strong>in</strong>en guten Job zu erhalten.<br />

3.2 Konzeptionelle Gr<strong>und</strong>lagen der Schulsozialarbeit<br />

Schulsozialarbeit existiert seit über 25 Jahren <strong>und</strong> hat sich als e<strong>in</strong>e besonders <strong>in</strong>tensive <strong>und</strong><br />

wirksame Form der Kooperation zwischen Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule bewährt. E<strong>in</strong>e<br />

Weiterentwicklung zu e<strong>in</strong>em Gesamtsystem von Bildung, Erziehung <strong>und</strong> Beratung wird<br />

angestrebt. Die Forderung der GEW ist es Schulsozialarbeit an allen Schulen auszubauen.<br />

Schulsozialarbeit bedeutet, die verb<strong>in</strong>dlich vere<strong>in</strong>barte <strong>und</strong> gleichberechtigte Kooperation von<br />

Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule, als eigenständige Institution. Sie br<strong>in</strong>gt jugendhilfespezifische Ziele,<br />

Tätigkeitsformen, Methoden <strong>und</strong> Herangehensweisen <strong>in</strong> die Schule e<strong>in</strong>, welche durch Lehrer<br />

alle<strong>in</strong>e nicht erreicht werden können. Schulsozialarbeit soll im Alltag von Jugendlichen<br />

erreichbar <strong>und</strong> präsent se<strong>in</strong>. Sie fällt <strong>in</strong> das Aufgabengebiet der Jugendhilfe <strong>und</strong> orientiert sich<br />

dementsprechend an den rechtlichen Gr<strong>und</strong>lagen des KJHG <strong>und</strong> dem Sozialgesetzbuch. Die<br />

Förderung der <strong>in</strong>dividuellen <strong>und</strong> sozialen Entwicklung von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen durch<br />

das Anbieten von Aktivitäten, durch die Schülern die Möglichkeit gegeben wird ihre<br />

Fähigkeiten zu entfalten, Annerkennung zu erfahren sowie soziale Prozesse gestalten zu<br />

lernen, ist e<strong>in</strong>es der Ziele von Schulsozialarbeit.<br />

Schulsozialarbeit leistet:<br />

1. Jugendarbeit gemäß §11 KJHG, fördert die Entwicklung von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen mit<br />

Hilfe ihrer Mitgestaltung. Sie richtet sich an alle K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen mit dem Ziel,<br />

sie zur Selbstbestimmung zu befähigen <strong>und</strong> zu gesellschaftlicher Mitverantwortung <strong>und</strong> zu<br />

sozialem Engagement anzuregen <strong>und</strong> h<strong>in</strong>zuführen.<br />

32


2. Jugendsozialarbeit gemäß §13 KJHG. Sie richtet sich an sozial <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuell<br />

bee<strong>in</strong>trächtigte K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche, die deswegen auf besondere Unterstützung<br />

angewiesen s<strong>in</strong>d. Für sie soll sozialpädagogische Hilfe angeboten werden, um ihre schulische<br />

<strong>und</strong> berufliche Ausbildung sowie soziale Integration zu fördern.<br />

3. Erzieherischen K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendschutz nach §14 KJHG. Dies soll K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendliche<br />

dazu befähigen sich vor gefährlichen E<strong>in</strong>flüssen zu schützen, sowie ihre Kritikfähigkeit,<br />

Eigenverantwortung, Entscheidungsfähigkeit <strong>und</strong> Verantwortung gegenüber Mitmenschen zu<br />

fördern.<br />

4. Beratung <strong>in</strong> Erziehungsfragen <strong>und</strong> trägt so zur allgeme<strong>in</strong>en Förderung der Erziehung <strong>in</strong><br />

Familien nach § 16 KJHG bei. Damit ist <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie die Beratung von Eltern, aber auch<br />

die Konfliktbearbeitung zwischen Eltern <strong>und</strong> Lehrer/Innen geme<strong>in</strong>t. Desweiteren kooperiert sie<br />

mit Elternvertretungen <strong>und</strong> bietet Beratung für Lehrkräfte <strong>und</strong> Schulleitung <strong>in</strong><br />

sozialpädagogischen Fragen an.<br />

Neben dem eigenen Jugendhilfeangebot das Schulsozialarbeit leistet, vermittelt sie auch zu<br />

anderen Jugendhilfeträgern, <strong>in</strong>sbesondere für Betreuung von K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> Notsituationen<br />

(§20KJHG), Hilfe zur Erziehung(§§ 27-35 KJHG), Hilfe für junge Volljährige (§ 41 KJHG) <strong>und</strong><br />

Schutz von K<strong>in</strong>dern <strong>und</strong> Jugendlichen (§§ 42, 43 KJHG).<br />

Schulsozialarbeit leistet außerdem, die nach § 81 KJHG geforderte Vernetzung <strong>und</strong><br />

Kooperation zwischen öffentlichen E<strong>in</strong>richtungen wie Schule <strong>und</strong> Schulverwaltung.<br />

3.2.1 Arbeitsfelder der Schulsozialarbeit<br />

Schulsozialarbeit muss abhängig von der Situation an der Schule aber auch nach den<br />

Erwartungen der jeweiligen Kooperationspartnern Schwerpunkte setzen. Dabei soll<br />

beratungs- <strong>und</strong> zielgruppenspezifische Angebote mit offenen Angeboten komb<strong>in</strong>iert werden,<br />

nur so kann sich die spezifische Wirksamkeit von Schulsozialarbeit entfalten. Dabei ist das<br />

zurückgreifen auf sozialpädagogische Methoden notwendig.<br />

Folgende Angebote haben sich als Kernelemente der Schulsozialarbeit bewährt:<br />

1. Offene Treffs ( Mädchenkaffe, Disco, etc.):<br />

Diese Treffs sollten von den Jugendlichen selbst mitgestaltet werden <strong>und</strong> für jeden zugänglich<br />

se<strong>in</strong>. Solche Veranstaltungen sollen zur Kontaktaufnahme zwischen den Schülern aber auch<br />

zwischen Schülern <strong>und</strong> Sozialarbeitern dienen. Sie fördern die Anerkennung <strong>und</strong> die<br />

Eigenverantwortung der e<strong>in</strong>zelnen SchülerInnen.<br />

2. Sozialpädagogische Gruppenarbeit:<br />

Sozialpädagogische Gruppenarbeit umfasst e<strong>in</strong> weites Spektrum von Angeboten. Zum e<strong>in</strong>en<br />

themenorientierte Interessengruppen, welche sich an spezifischen Themen orientiert, wie z.B.<br />

e<strong>in</strong>e Mädchen AG, die auf die Bedürfnisse dieser Gruppe e<strong>in</strong>geht. Zum anderen<br />

Gruppenarbeit mit Schülern der SV oder anderen Schülern, die Verantwortung bei der<br />

Schulgestaltung übernehmen möchten. Aber auch die Gruppenarbeit zur Verbesserung<br />

persönlicher <strong>und</strong> sozialer Kompetenzen. Dies kann e<strong>in</strong>e Hilfestellung bei<br />

Entwicklungsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten von Schülern se<strong>in</strong>. Soziales<br />

Kompetenz-Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für ganze Klassen ist e<strong>in</strong>e weitere Möglichkeit, an Gruppenprozessen<br />

E<strong>in</strong>fluss zu üben. Dazu gehören soziales Lernen <strong>in</strong> der Klassengeme<strong>in</strong>schaft aber auch die<br />

Begleitung auf Ausflüge.<br />

33


3. K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendberatung:<br />

Hier gibt es e<strong>in</strong> weites Feld von Beratungsmöglichkeiten, welche von Beratung <strong>in</strong><br />

Konfliktfällen (<strong>in</strong> der Schule wie auch <strong>in</strong> der Familie) über Lernprobleme, bis zur Beratung <strong>in</strong><br />

Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong>/oder Zukunftsperspektiven reicht. Dabei spielt Vertraulichkeit<br />

<strong>und</strong> Freiwilligkeit e<strong>in</strong>e der wichtigsten Rollen. Die Art der Beratung ist abhängig von den<br />

Bedürfnissen des Klientel, <strong>und</strong> kann somit von e<strong>in</strong>er Beratung zwischen „Tür <strong>und</strong> Angel“, bis<br />

zu fest vere<strong>in</strong>barten Term<strong>in</strong>en gehen.<br />

4. Schulbezogene Hilfe:<br />

Schulbezogene Hilfe dient dazu, <strong>in</strong> Kooperation mit Lehrern Wege zu f<strong>in</strong>den, Lernprobleme<br />

der Schüler abzubauen. Mit Schülern e<strong>in</strong>en persönlichen S<strong>in</strong>n im erfolgreichen Schulbesuch<br />

zu f<strong>in</strong>den <strong>und</strong> ihre Persönlichkeiten zu stärken.<br />

5. Konfliktbewältigung:<br />

Sowohl das Fördern von Kompetenzen zur Bewältigung von Konflikten, wie auch das<br />

Unterstützen der Lehrkräfte bei der Bearbeitung von Klassenkonflikten oder<br />

Krisensituationen, gehören zu den Aufgaben der Schulsozialarbeiter. Aber auch das<br />

Vermitteln bei Konflikten, sowie der Aufbau von Peer-/Mediations-Gruppen, gehört zum<br />

Arbeitsfeld der Pädagogen.<br />

6.Unterstützung beim Übergang von der Schule <strong>in</strong> die Berufswelt:<br />

Hier sollen Schüler gefördert werden, sich über berufliche Interessen klar zu werden. Sie<br />

sollen ihre Möglichkeiten erkennen, <strong>und</strong> lernen ihre Stärken <strong>und</strong> Schwächen realistisch<br />

e<strong>in</strong>zuschätzen.<br />

7. Mitwirken an Schulprogrammen <strong>und</strong> an der Schulentwicklung:<br />

Die pädagogischen Fachkräfte sollen <strong>in</strong> schulischen Gremien mitarbeiten <strong>und</strong> mitentscheiden<br />

können. Sie sollen an der Schulentwicklung beteiligt se<strong>in</strong>, <strong>und</strong> die Lehrkräften <strong>in</strong><br />

sozialpädagogischen Fragen beraten.<br />

8. Arbeit mit Eltern <strong>und</strong> Personensorgeberechtigten:<br />

Beratung, Elterngespräche, Teilnahme an Elternabenden, Vermittlungshilfe sowie<br />

Hausbesuche s<strong>in</strong>d Arbeitsfelder von Sozialarbeit im Umgang mit Eltern. Ziel dabei ist es, die<br />

Lebenssituationen zu verbessern <strong>und</strong> die Erziehungskompetenzen zu fördern, sowie e<strong>in</strong>e<br />

Unterstützung bei Problemen <strong>und</strong> Krisensituationen zu gewährleisten. Auch das Vermitteln an<br />

andere soziale E<strong>in</strong>richtungen mit alternativen oder tiefgreifenderem Angebot ist dabei <strong>in</strong><br />

Betracht zu ziehen.<br />

9. Vernetzung im Geme<strong>in</strong>wesen:<br />

Schulsozialarbeit versucht die Schule für andere soziale Träger zu öffnen, um e<strong>in</strong> breiteres<br />

Feld an sozialem Lernen zu ermöglichen. Aber auch e<strong>in</strong>e Kooperation zwischen<br />

Jugendämtern etc. zur Vermittlung anderer Jugendhilfeleistungen ist notwendig.<br />

3.2.2 Kooperation <strong>in</strong> der Schule<br />

Um das geme<strong>in</strong>same Ziel, junge Menschen zu eigenverantwortlichen <strong>und</strong><br />

geme<strong>in</strong>schaftsfähigen Individuen zu erziehen, ihnen zu ermöglichen, gesellschaftliches Leben<br />

mitzugestallten <strong>und</strong> ihren gegenwärtigen <strong>und</strong> zukünftigen Alltag zu bewältigen, müssen<br />

Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe, trotz ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Aufträge <strong>und</strong><br />

Arbeitsfelder, mite<strong>in</strong>ander kooperieren <strong>und</strong> zusammenarbeiten. Dies hilft durch<br />

unterschiedliche Wahrnehmung von Problemen, Handlungsmöglichkeiten zu verbessern <strong>und</strong><br />

auszubauen. Jede Institution hat die Möglichkeit nach ihren Qualifikationen eigenständig <strong>und</strong><br />

gleichberechtigt zu arbeiten, jedoch ist e<strong>in</strong> Austausch, sowie e<strong>in</strong> kooperatives<br />

Zusammenarbeiten, bei den e<strong>in</strong>zelnen Schwerpunkten notwendig.<br />

34


Dazu bedarf es verb<strong>in</strong>dlicher Absprachen, über geme<strong>in</strong>same oder getrennte Ziele sowie die<br />

Art <strong>und</strong> Form der Zusammenarbeit.<br />

Kooperation braucht fest vere<strong>in</strong>barte Strukturen!<br />

Es ist von großem Vorteil, e<strong>in</strong>en Kooperationsvertrag zwischen Lehrkräften <strong>und</strong><br />

Schulsozialarbeitern zu erarbeiten. Dies kann bei der Schulkonferenz geschehen.<br />

Inhalt des Vertrags sollten Schnittstellen <strong>und</strong> Zusammenarbeitsmöglichkeiten der<br />

verschiedenen Parteien se<strong>in</strong>. Dabei ist es notwendig, dass sozialpädagogische Fachkräfte<br />

ihren Arbeitsaufträgen nachkommen können. Sie müssen, unter E<strong>in</strong>beziehung ihrer<br />

sozialpädagogischen Kompetenzen, an der Schulentwicklung beteiligt werden. Desweiteren<br />

müssen sie mit den örtlichen/regionalen Jugendhilfe<strong>in</strong>stitutionen zusammen arbeiten, um<br />

Schule <strong>und</strong> Jugendhilfee<strong>in</strong>richtungen besser vernetzen zu können. Konzepte <strong>und</strong> Aktivitäten<br />

der Schulsozialarbeiter müssen Lehrern zugänglich se<strong>in</strong>, um über Kooperationsmöglichkeiten<br />

zu <strong>in</strong>formieren. Es f<strong>in</strong>den geme<strong>in</strong>same Fortbildungen von Lehrern <strong>und</strong> sozialpädagogischen<br />

Fachkräften statt. E<strong>in</strong> Kooperationsausschuss wird gebildet, <strong>in</strong> welchem Schulleitung,<br />

Lehrkräfte, sozialpädagogische Fachkräfte, Vertreter der Träger, SchülerInnen sowie Eltern<br />

gr<strong>und</strong>legende Kooperationsfragen sowie Konflikte klären können.<br />

3.2.3 Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für Schulsozialarbeit<br />

Schulsozialarbeit kann von unterschiedlichen Trägern f<strong>in</strong>anziert se<strong>in</strong>, dabei sollte darauf<br />

geachtet werden, dass die Träger Fachkompetenzen aufweisen. Schulsozialarbeiter sollten<br />

e<strong>in</strong>en ausreichenden Abschluss <strong>in</strong>ne haben. E<strong>in</strong> Hochschulabschluss im pädagogischen<br />

Bereich ist ratsam. Gr<strong>und</strong>lage sollte auch e<strong>in</strong> abgesichertes Arbeitsverhältnis nach BAT se<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>e ausreichende Anzahl von ausgebildeten Personen ist notwendig. Die Anzahl ist<br />

abhängig von Schulart <strong>und</strong> Standort. Es ist jedoch ratsam m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>en<br />

Schulsozialarbeiter auf 150 Schüler e<strong>in</strong>zusetzen, dabei ist darauf zu achten e<strong>in</strong><br />

ausgewogenes Verhältnis zwischen den Geschlechtern herzustellen. E<strong>in</strong> Drittel der<br />

Arbeitszeit sollte für die Konzeptionsentwicklung zur Verfügung stehen. Außerdem ist es<br />

notwendig, Zeit für Teamsitzungen sowie den Austausch mit den Trägern zur Verfügung zu<br />

stellen (m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>mal pro Woche). Supervisionen im Team <strong>und</strong> Fort- <strong>und</strong><br />

Weiterbildungsmaßnahmen mit anderen Institutionen müssen gewährleistet sei.<br />

Des weiteren ist es notwendig, Räumlichkeiten sowie Material, welches zu Arbeitszwecken<br />

benötigt wird, zu Verfügung zu stellen. E<strong>in</strong> eigener Etat sollte vorhanden se<strong>in</strong>.<br />

3.2.4 Ausbau von Schulsozialarbeit<br />

Sozialarbeit darf nicht abhängig von der Schulart se<strong>in</strong>, sie sollte vielmehr schulübergreifend<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. Es ist dafür notwendig gesetzliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen zu schaffen, die<br />

die Qualität sichern <strong>und</strong> die Vernetzung der e<strong>in</strong>zelnen Institutionen fördern.<br />

3.3 Halbtagsschule oder Ganztagsschule<br />

Dem Thema Halbtagsschule/Ganztagsschule <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> wurde noch vor wenigen Jahren<br />

höchstens von Reformpädagogen oder erwerbstätigen Müttern Aufmerksamkeit geschenkt.<br />

Das Modell Ganztagsschule wurde, bei uns, aus historischen Gründen eher negativ<br />

angesehen.<br />

Mit der Wiedervere<strong>in</strong>igung <strong>in</strong> den 90er Jahren musste unsere Halbtagsschule aufgr<strong>und</strong> der<br />

Anpassung des Erziehungs-/Schulsystems der DDR neu diskutiert werden. Es kam der<br />

Gedanke auf, dass die Ganztagsschule nicht nur Nachteile sondern auch Vorteile mit sich<br />

35


<strong>in</strong>gen könnte. Nach der Veröffentlichung der Pisa- Studie 2001 stand unser<br />

Halbtagsschulsystem dann endgültig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em rückständigen Licht.<br />

Durch dieses Ergebnis entstand nun die Forderung nach e<strong>in</strong>er Orientierung zur<br />

Ganztagsschule.<br />

Der Unterschied von e<strong>in</strong>er Ganztagsschule zu e<strong>in</strong>er Halbtagsschule ist nicht nur die <strong>in</strong> der<br />

Schule verbrachte Zeit, vielmehr bedeutet e<strong>in</strong> Ganztagsschulsystem e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>gere<br />

Selektivität der Schüler (zu frühe E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> unser dreigliedriges Schulsystem).<br />

Unser Schulsystem ist Bestandteil e<strong>in</strong>er soziopolitischen <strong>und</strong> soziokulturellen<br />

Gesamtkonstellation seit Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts.<br />

3.3.1 Rückblick<br />

Forderungen nach e<strong>in</strong>er Reform h<strong>in</strong> zur Ganztagsschule wurden schon im Kaiserreich <strong>und</strong><br />

der Weimarer Republik geäußert.<br />

Diesen Forderungen wurde jedoch ke<strong>in</strong> größeres Interesse beigemessen, da <strong>Deutschland</strong> mit<br />

se<strong>in</strong>em Schul-/Sozialsystem sehr zufrieden war.<br />

Die Zuständigkeit für die Bildung <strong>und</strong> die Erziehung der K<strong>in</strong>der war klar e<strong>in</strong>geteilt:<br />

a) die Betreuung/ soziale Erziehung war Verfassungsrechtlich der Familie zugeteilt<br />

b) die Vermittlung des Gr<strong>und</strong>wissens wurde den Lehrern übertragen<br />

Es gab sehr große Unterschiede <strong>in</strong> der Professionalisierung sowie die Statusdifferenzen<br />

zwischen Lehrern <strong>und</strong> Erziehern. (siehe Berufsbild Lehrer/Innen – Erzieher/Innen)<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> gab es e<strong>in</strong>e Art Ganztagsschule (19tes Jahrh<strong>und</strong>ert), diese war jedoch<br />

nur auf den Unterricht ausgerichtet.<br />

Von 8- 12 Uhr <strong>und</strong> von 14- 16 Uhr wurde unterrichtet. In der Mittagspause aßen die Schüler<br />

<strong>und</strong> Lehrer zu Hause. Diese Form des Unterrichts wurde aber bald wieder abgeschafft, da<br />

unter anderem Mediz<strong>in</strong>er der Me<strong>in</strong>ung waren, dass die Schüler von dieser Schulform<br />

überfordert waren. Auch <strong>in</strong> Polen <strong>und</strong> Österreich g<strong>in</strong>g die Entwicklung <strong>in</strong> Richtung<br />

Halbtagsschule wie wir Sie heute kennen. In den USA, Frankreich <strong>und</strong> England wurde die<br />

Ganztagsschule beibehalten <strong>und</strong> die Aufgaben der Freizeit-, Sozial- <strong>und</strong> Politikerziehung<br />

wurden Ihnen übertragen.<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> forderten e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>e Ganztagsschule, die sich an e<strong>in</strong>er „ganzheitlichen<br />

Menschenbildung“ orientiert:<br />

- Mittagsmahlzeiten<br />

- Freizeitangebote<br />

- flexible St<strong>und</strong>enplangestaltung<br />

Leider setzten sich diese Schulen, bis auf e<strong>in</strong> paar Modellschulen, nicht durch.<br />

In den angloamerikanischen Ländern sowie <strong>in</strong> Frankreich wurden bereits zu Beg<strong>in</strong>n des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert die Weichen für e<strong>in</strong>e Integration von Vorschulerziehung <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>schulausbildung sowie Ganztagsbetreuung gestellt.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Trennung von Bildung <strong>und</strong> Erziehung<br />

aufrechterhalten. Man wollte sich von der öffentlichen Erziehung während des<br />

Nationalsozialismus abgrenzen <strong>und</strong> außerdem e<strong>in</strong> anderes System wählen als das, welches<br />

<strong>in</strong> der neu e<strong>in</strong>gerichteten DDR angewandt wurde (welches der Erziehung im<br />

36


Nationalsozialismus sehr ähnelte). Also blieb das Angebot an K<strong>in</strong>derbetreuung stark<br />

e<strong>in</strong>geschränkt <strong>und</strong> halbtagsorientiert. Man wollte staatlichen <strong>und</strong> kirchlichen E<strong>in</strong>fluss<br />

vermeiden.<br />

Erst <strong>in</strong> den 60er Jahren entstanden <strong>in</strong>tensive, öffentliche Diskussionen um die Form e<strong>in</strong>er<br />

ganztägigen Schulerziehung.<br />

3.3.2 Entwicklung<br />

Aufgr<strong>und</strong> der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frau entstand, unter dem Aspekt der<br />

Chancengleichheit, e<strong>in</strong> erhöhter Betreuungsbedarf für K<strong>in</strong>der.<br />

Die vorher, aufgr<strong>und</strong> ihrer Nähe zum sozialistischen Gesellschaftsmodell so stark abgelehnte<br />

Form der Gesamtschule, schien nun die beste Lösung zu se<strong>in</strong>.<br />

1968 verabschiedete der deutsche Bildungsrat Empfehlungen zur Erprobung von<br />

Gesamtschulen.<br />

So kam es <strong>in</strong> den 70er Jahren zur E<strong>in</strong>führung von Gesamtschulen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Expansion des<br />

höheren Schulwesens mit gemischten Ergebnissen.<br />

Durch diese Expansion entstand e<strong>in</strong>e erhebliche Anhebung des Allgeme<strong>in</strong>bildungsniveaus.<br />

Die Pflichtschulzeit wurde auf zehn Jahre angehoben, breitere Schülerströme wurden auf<br />

mittlere Schulabschlüsse gelenkt <strong>und</strong> der Bereich des höheren Schulwesens<br />

(Hochschulbildung) wurde enorm ausgebaut. Konfessionelle <strong>und</strong> regionale Ungleichheiten<br />

wurden weitestgehend beseitigt <strong>und</strong> die Chancengleichheit für Mädchen verbesserte sich.<br />

Von diesen Fortschritten profitierten leider nicht alle. Die Zahl derer, die das Bildungssystem<br />

ohne Schul- oder Ausbildungsabschluss verließen war beträchtlich. 1996 betrug der Anteil<br />

von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss 9% (nur die alten B<strong>und</strong>esländer).<br />

Die Benachteiligten waren <strong>in</strong> diesem Fall vor allem K<strong>in</strong>der von Arbeitsemigranten. Daraus ließ<br />

sich e<strong>in</strong> Defizit im Primär- <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>arbereich erahnen. Dies erklärten Bildungsexperten<br />

damit, dass diese K<strong>in</strong>der nicht die dom<strong>in</strong>ante, e<strong>in</strong>heimische Erziehung genossen haben.<br />

Hier liegen laut dieser Experten die Herausforderungen an die Lehrer von der Orientierung an<br />

e<strong>in</strong>em kulturell e<strong>in</strong>heitlichem, bürgerlichen Lebensmodell abzusehen <strong>und</strong> den Erwerb/ die<br />

Vermittlung von <strong>in</strong>terkulturellen Kompetenzen zu ermöglichen.<br />

Die Konzentration des Lehrstoffs auf e<strong>in</strong>en halben Tag lässt jedoch ke<strong>in</strong>en Freiraum für<br />

projektbezogene Lernformen oder soziale Erziehung.<br />

Der soziale <strong>und</strong> politische Bereich der Erziehung ist so gut wie gar nicht vorhanden.<br />

Durch die knapp bemessene Zeit wird eventuelles Interesse der Schüler, an diesem Bereich,<br />

überhaupt nicht gefördert. Die vorhandenen Gruppen-/Freizeitaktivitäten beschränken sich auf<br />

e<strong>in</strong> m<strong>in</strong>imales, traditionelles <strong>und</strong> kulturelles Angebot (Sport, künstlerische Betätigung).<br />

Nach der Bildungsreform 1973 sollten alle bestehenden Schulen e<strong>in</strong>en Ganztags-Charakter<br />

bekommen. Tatsächlich zählte man <strong>in</strong> den 80er Jahren jedoch nur 300 Ganztagschulen.<br />

In den 90er Jahren war der Trend weiter rückläufig. Das politische Interesse g<strong>in</strong>g zurück <strong>und</strong><br />

aufstiegsorientierte Elternhäuser forderten die Absetzung der Ganztagsschule. Dadurch<br />

verstärkte sich die soziale Selektion der Schüler wieder. Weiter wurden Ganztagsschulen<br />

vorwiegend <strong>in</strong> sozialen Brennpunkten e<strong>in</strong>gerichtet. Dadurch verlor dieser Schultyp immer<br />

mehr an Achtung. Lehren an e<strong>in</strong>er Ganztags-Gesamtschule wurde zu e<strong>in</strong>er Art<br />

Entwicklungshilfe <strong>und</strong> konnte nur noch mit sehr viel Idealismus <strong>und</strong> Kämpfergeist bewältigt<br />

werden.<br />

3.3.3 Problematik der Halbtagsschule<br />

Halbtagsschule bedeutet e<strong>in</strong>e Hierarchisierung des Bildungswesen. Es entstehen automatisch<br />

verb<strong>in</strong>dliche Def<strong>in</strong>itionen von Schulabschlüssen <strong>und</strong> Zugangsberechtigungen zu<br />

weiterführenden Schulen. Durch die frühe E<strong>in</strong>teilung der Schüler für e<strong>in</strong>en Abschluss, wird<br />

ihnen die Möglichkeit genommen auf dem Arbeitsmarkt flexibel zu se<strong>in</strong>.<br />

Mit der E<strong>in</strong>führung der Schulpflicht für Gr<strong>und</strong>schulen (19. Jahrh<strong>und</strong>ert) hatte <strong>Deutschland</strong><br />

kurzzeitig e<strong>in</strong>e positive Vorreiterrolle im gesamten Schulsystem. Problematisch war jedoch,<br />

37


dass aufgr<strong>und</strong> der hohen Bildungsnachfrage e<strong>in</strong> Schulgeld verlangt werden musste <strong>und</strong> so<br />

<strong>in</strong>sbesondere die Gymnasien schnell zu Eliteschulen wurden.<br />

Durch die Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems <strong>und</strong> das geforderte Schulgeld, gab es e<strong>in</strong>e<br />

frühe <strong>und</strong> teilweise ungerechte Sortierung der Schüler.<br />

E<strong>in</strong> Fortschritt <strong>in</strong> unserem Bildungssystem war die E<strong>in</strong>führung der dualen Berufsausbildung.<br />

Es wurde e<strong>in</strong>e praktische Ausbildung im Betrieb <strong>und</strong> gleichzeitig e<strong>in</strong>e theoretische Ausbildung<br />

<strong>in</strong> den zunächst privaten Berufsschulen angeboten.<br />

E<strong>in</strong>e ähnlich fortschrittliche Form der Berufsausbildung gab es <strong>in</strong> anderen Ländern nicht.<br />

Dieser Vorteil der Ausbildung wurde den Mädchen jedoch vorenthalten, da Berufe wie<br />

K<strong>in</strong>dergärtner<strong>in</strong>, Krankenpfleger<strong>in</strong>, Hauswirtschafter<strong>in</strong>, Erzieher<strong>in</strong> <strong>und</strong> Sozialarbeiter<strong>in</strong> auf<br />

weiterführenden Mädchenschulen ausgebildet wurden. Dies sollte die Mädchen auf ihre<br />

Aufgabe als Ehefrau <strong>und</strong> Mutter vorbereiten. Wenn Sie nicht verheiratet wurden, hatten sie so<br />

immer noch die Möglichkeit sich im öffentlichen, sozialen Dienst zu engagieren.<br />

Die Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems sowie die duale <strong>und</strong> vollzeitschulische Ausbildung<br />

bewirkt also e<strong>in</strong>e soziale, berufliche <strong>und</strong> geschlechterbezogene Sortierung.<br />

3.3.4 Berufsbild Lehrer/Innen – Erzieher/Innen<br />

Da die Erziehung <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> Sache der Familie <strong>und</strong> die Schule ausschließlich für die<br />

Bildung zuständig ist, entwickelte sich der Ausbau sozialer <strong>und</strong> haushaltsbezogener<br />

Dienstleistungen eher ger<strong>in</strong>g. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wurde die Aufgabe der Erziehung nicht als<br />

vollwertiger Beruf angesehen. Für diesen Arbeitsbereich gab es ke<strong>in</strong>e klar def<strong>in</strong>ierten<br />

Qualifikationen oder Aufstiegsmöglichkeiten.<br />

In den 60er Jahren kam es erstmals zu e<strong>in</strong>er Aufwertung <strong>und</strong> Vere<strong>in</strong>heitlichung der<br />

Ausbildung von K<strong>in</strong>dergärtnern/Innen, Hortnern/Innen <strong>und</strong> Erziehern/Innen. Es wurde e<strong>in</strong>e<br />

dreijährige Ausbildung an Fachschulen für Sozialpädagogik e<strong>in</strong>gerichtet.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs verdienten Erzieher/Innen etwa e<strong>in</strong> Drittel weniger als Gr<strong>und</strong>schullehrer/Innen.<br />

Bis heute gibt es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitlichen Qualitätsstandards für die Arbeit mit K<strong>in</strong>dern im<br />

Vorschulalter.<br />

Der Bereich der Frühpädagogik hat sich <strong>in</strong> Westdeutschland, im Vergleich zu anderen<br />

Ländern, so gut wie gar nicht weiterentwickelt. Er ist immer noch auf dem Stand e<strong>in</strong>es<br />

historisch, traditionellen, existenzunsicheren <strong>und</strong> semiprofessionellen Frauenberufs.<br />

Im Gegensatz dazu hatten Lehrer/Innen schon früh die Möglichkeit akademische<br />

Ausbildungen <strong>in</strong> Anspruch zu nehmen <strong>und</strong> den Beamtenstatus mit se<strong>in</strong>en sozialen Vorteilen<br />

zu erreichen. Auch bei den Lehrern/Innen gab es Unterschiede. So wurden<br />

Volkschullehrer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Sem<strong>in</strong>aren ausgebildet, während die vorwiegend männlichen<br />

Gymnasiallehrern an Universitäten ausgebildet werden.<br />

Erst nach 1945 wurden diese Unterschiede durch den E<strong>in</strong>satz von Politikern, Lehrverbänden<br />

<strong>und</strong> Gewerkschaften angeglichen.<br />

Der Unterschied zu den Erziehern blieb jedoch bestehen.<br />

3.3.5 Abschlussbemerkung<br />

Bisherige Erfahrungen zeigen, dass es bei unseren Halbtagsschulen Chancen für e<strong>in</strong>e<br />

langsame Integration von Erziehung <strong>und</strong> Bildung sowie e<strong>in</strong>en Übergang zur<br />

Ganztagsbetreuung für Vorschul- <strong>und</strong> Schulk<strong>in</strong>der gibt.<br />

In <strong>Deutschland</strong> wird dieses Umdenken, aufgr<strong>und</strong> der historischen Tradition, zeit<strong>in</strong>tensiv se<strong>in</strong>.<br />

Außerdem stellt sich die Frage nach der F<strong>in</strong>anzierung. Ganztagsbetreuung kostet mehr Geld<br />

als Halbtagsschulen.<br />

38


Jedoch muss man sich die Ausgaben jenseits des Bildungsbereiches ansehen, d.h. die<br />

gesamten Sozialausgaben. So wurde im Laufe der Zeit genau dieser Posten immer mehr<br />

gekürzt.<br />

Betrachtet man unser gesamtes Sozialbudget, so werden überwiegend Gelder <strong>in</strong><br />

Sozialleistungen mit ger<strong>in</strong>gem Zukunftsprofil (Alterssicherung) gesteckt <strong>und</strong> weniger <strong>in</strong> die<br />

Forschung <strong>und</strong> Bildung.<br />

In anderen Ländern (Australien, Neuseeland, USA, Kanada) wird es umgekehrt gehandhabt.<br />

Sche<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>d die Ergebnisse der Pisa- Studie ke<strong>in</strong> Zufall!<br />

E<strong>in</strong>e politische Herausforderung liegt <strong>in</strong> der Annäherung von Schule <strong>und</strong> Jugendhilfe.<br />

So fordern Experten <strong>in</strong>stitutionelle <strong>und</strong> rechtliche Rahmenbed<strong>in</strong>gungen, die den<br />

Bildungsauftrag der Schule <strong>in</strong> Richtung Erziehung erweitern <strong>und</strong> umgekehrt die Berufe<br />

Erzieher/In, K<strong>in</strong>dergärtner/In <strong>und</strong> Hortnern/In durch fachwissenschaftliche Ausbildung <strong>und</strong><br />

Qualitätsstandards aufwerten.<br />

Außerdem müsste die Kulturhoheit der Länder aufgehoben werden, so dass es zu e<strong>in</strong>er<br />

Vere<strong>in</strong>heitlichung der Schultypen bzw. der Qualität der Abschlüsse kommt.<br />

Bei e<strong>in</strong>em Übergang zur Ganztagsschule müssten die Vielzahl freier Träger für<br />

Erziehungsaufgaben <strong>und</strong> Freizeitgestaltung mit e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en werden. E<strong>in</strong> neues<br />

Gleichgewicht zwischen bürgerschaftlichem Engagement <strong>und</strong> professioneller Arbeit müsste<br />

gef<strong>und</strong>en werden. Denn es ist jetzt schon klar, dass mit schlichter Indienstnahme von<br />

ehrenamtlicher Arbeit e<strong>in</strong>e Umstrukturierung h<strong>in</strong> zur Ganztagsschule nicht zu realisieren ist.<br />

39


4. Reformenvorschläge der Parteien als Reaktion auf die<br />

PISA-Studie<br />

4. 1. Folgerungen für die Schul- <strong>und</strong> Bildungspolitik aus der PISA-Studie<br />

(nach: Dieter Smolka, 2002)<br />

Die PISA-Studie hat gezeigt, dass vor allem Kreativität, Handlungsorientierung <strong>und</strong><br />

problemlösender Anwendungsbezug bei vielen Schülern fehlt. Daraus folgt, dass Schule<br />

ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e „Paukschule“ mehr se<strong>in</strong> darf <strong>und</strong> der Unterricht zu mehr Selbstständigkeit der<br />

Schüler führen muss.<br />

Im Folgenden werden nun e<strong>in</strong>ige Vorschläge benannt, die zu e<strong>in</strong>er Verbesserung der<br />

genannten Probleme führen sollen:<br />

Da wäre zum Ersten e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e „ Bildungsreform“ . In dem Zusammenhang soll der<br />

Ausbau schulischer Ganztagsangebote vorangetrieben werden. Dies könnte vor allem zu<br />

e<strong>in</strong>er Verbesserung bei K<strong>in</strong>dern mit „häuslichen Defiziten“ führen. Denn dadurch wird die<br />

Schule zum Lern- <strong>und</strong> Lebensraum, diese zwei Themen werden also stärker mite<strong>in</strong>ander<br />

verknüpft. (Zu den Ganztagsschulen haben sich die Parteien ganz besonders geäußert. Das<br />

wird <strong>in</strong> dem entsprechenden Kapitel beschrieben. Außerdem folgt noch e<strong>in</strong> Extra-Kapitel zum<br />

Thema:“Die Halbtagsschule <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>: E<strong>in</strong> Sonderfall <strong>in</strong> Europa?“).<br />

Als weiterer Erneuerungsvorschlag wird die besondere Sprachförderung im vorschulischen<br />

Bereich <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Gr<strong>und</strong>schule angegeben. Die so genannte „Risikogruppe“ soll dadurch im<br />

Besonderen gefördert werden. Außerdem sollte die Selbstständigkeit <strong>und</strong> Eigenverantwortung<br />

der Schulen gefördert werden. Das bedeutet: Die Schulen müssen schneller auf den<br />

gesellschaftlichen Wandel antworten können. Dies können sie besser, wenn ihnen mehr<br />

Freiheit gelassen wird. Als vierter Punkt sollten b<strong>und</strong>esweite Standards e<strong>in</strong>geführt werden<br />

(auch dazu äußern sich die Parteien etwas ausführlicher, siehe entsprechendes Kapitel).<br />

Die Autoren führen des Weiteren die <strong>in</strong>dividuelle Förderung von Schülern an. Das be<strong>in</strong>haltet<br />

die Begabtenförderung mit Teilnahmen an Wettbewerben <strong>und</strong> Kooperation mit<br />

Fachhochschulen <strong>und</strong> Universitäten. Außer dieser Bildungsreform wird auf e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />

der „ Kontextbed<strong>in</strong>gungen des schulischen Lernens“ h<strong>in</strong>gewiesen. Da wäre zum e<strong>in</strong>en die<br />

teilweise unzureichende Versorgung der Schulen mit Fachlehrkräften oder die fehlende<br />

Motivation dieser. Motivierte Lehrer stoßen dagegen häufig an die Grenzen der Belastbarkeit,<br />

sie s<strong>in</strong>d Gefühlen der Überforderung <strong>und</strong> Spannungen ausgesetzt, was wiederum zu<br />

Demotivation führen kann. Überdies müssten viele Schulgebäude zu Teil renoviert werden.<br />

Im Besonderen aber müssen die „pädagogischen <strong>und</strong> erzieherischen Anforderungen an die<br />

Schule steigen“. Denn immer stärker werdende Erziehungsprobleme der Eltern werden<br />

mitverursacht von<br />

- Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> Armut,<br />

- steigende Anzahl von Trennungen <strong>und</strong> Scheidungen,<br />

- immer stärker <strong>und</strong> unkontrollierbar werdender E<strong>in</strong>fluss der Medien auf die K<strong>in</strong>der<br />

- Defizite <strong>in</strong> der außerschulischen Sozialisation.<br />

Auffällig ist auch, dass Lehrkräfte im Durchschnitt immer älter werden. Das bedeutet, dass<br />

bald e<strong>in</strong>e „Pensionierungswelle“ bei den Lehrkräften auf die Schulen zukommt. Ob der daraus<br />

folgende, plötzliche Lehrkräfterückgang zu kompensieren ist, bleibt e<strong>in</strong>e Frage. Demzufolge<br />

ist es dr<strong>in</strong>gend notwendig, junge Lehrkräfte e<strong>in</strong>zustellen.<br />

40


„Die sächlichen, personellen <strong>und</strong> schulorganisatorischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen müssen<br />

verbessert, die Klassenfrequenzen deutlich gesenkt, die Wochenst<strong>und</strong>enzahl der Lehrkräfte<br />

verr<strong>in</strong>gert werden.“<br />

Als letzter Vorschlag wird e<strong>in</strong>e Lehrerreform angegeben. In dem Zusammenhang wird darauf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen, dass Lehrer Moderatoren von Lerngruppen <strong>und</strong> professionelle Gestalter<br />

anregender Lernumwelten se<strong>in</strong> sollten. Das bedeutet aber auch, dass dazu wichtige<br />

pädagogische Fähigkeiten <strong>in</strong> der Ausbildung erworben werden müssen, um dann später <strong>in</strong><br />

Weiterbildungen verbessert zu werden.<br />

Dazu müsste:<br />

- die Lehrerausbildung praxisnaher se<strong>in</strong> <strong>und</strong> sich um e<strong>in</strong>e verstärkte pädagogischpsychologisch<br />

Qualifizierung bemühen,<br />

- jeder Lehrer e<strong>in</strong>e systematische Weiterbildung <strong>und</strong> persönliche<br />

Weiterqualifizierung machen<br />

- das gesamte Bildungswesen <strong>Deutschland</strong> f<strong>in</strong>anziell besser ausgestattet werden,<br />

e<strong>in</strong>e “Schulorganisation“ gegründet werden, die sich “durch Leistungen <strong>in</strong><br />

- <strong>in</strong>ternationalen <strong>und</strong> nationalen Vergleichsstudien bewähren muss“.<br />

Nach der Darstellung der besonderen Lage des deutschen Schulsystems werden wir im<br />

folgenden die Pläne <strong>und</strong> Ziele der e<strong>in</strong>zelnen Parteien im H<strong>in</strong>blick auf Bildungspolitik im<br />

Allgeme<strong>in</strong>en <strong>und</strong> den Plänen für die Ganztagsschule im Besonderen noch e<strong>in</strong>mal näher<br />

beleuchten, da parteiübergreifend E<strong>in</strong>igkeit darüber besteht, dass der Ganztagsschule <strong>in</strong><br />

Zukunft e<strong>in</strong> größeres Gewicht beigemessen werden soll.<br />

4.2. Die Positionen der Parteien zur Bildungspolitik als Reaktionen<br />

auf die PISA-Studie<br />

Im folgenden Abschnitt werden wir die Positionen der momentan im B<strong>und</strong>estag vertretenen<br />

Parteien zur Bildungspolitik näher beleuchten. Aufgr<strong>und</strong> der Fülle der Thematik geben wir nur<br />

e<strong>in</strong>en groben Gesamtüberblick über die allgeme<strong>in</strong>en Forderungen <strong>und</strong> Reformen, bzw.<br />

Refpormvorschläge.<br />

4.2.1 Position der CDU/CSU zur Bildungspolitik<br />

Die CDU <strong>Deutschland</strong> verfügt über e<strong>in</strong> bildungspolitisches Gr<strong>und</strong>satzprogramm (“Erziehung<br />

<strong>und</strong> Bildung <strong>in</strong> unserem freiheitlichen <strong>und</strong> demokratischen Bildungssystem“, Beschluss des 4.<br />

Parteitags der CDU <strong>Deutschland</strong>, 1993). In diesem <strong>und</strong> aufbauend auf diesem tritt sie für die<br />

humane Leistungsschule als gegliedertes, differenziertes <strong>und</strong> somit begabungsgerechtes<br />

System e<strong>in</strong>. Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach s<strong>in</strong>d verschiedene Schulformen bzw. Bildungsgänge am<br />

ehesten <strong>in</strong> der Lage, auf unterschiedliche Begabungen <strong>und</strong> <strong>in</strong>dividuelle Leistungsfähigkeiten<br />

e<strong>in</strong>zugehen. Integrierte Gesamtschulen s<strong>in</strong>d den Schularten des gegliedertes Systems<br />

unterlegen. Ganztagsschulen leisten nach Me<strong>in</strong>ung der CDU/CSU <strong>in</strong> ihrer jetzigen Form<br />

lediglich Beitrag zur besseren Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, sie dienen aber nicht der<br />

Qualitätssteigerung des Unterrichts.<br />

41


Besonderes für folgende Schwerpunkte setzten sie sich <strong>in</strong> ihrem Gr<strong>und</strong>satzprogramm e<strong>in</strong>:<br />

– die Förderung aller, unter Berücksichtigung sowohl lernschwacher als auch der<br />

Begabten als Notwendigkeit zur Entwicklung unserer Gesellschaft, unserer<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> des Staates<br />

– nach der Ausgewogenheit von familiärer <strong>und</strong> außerhäuslicher Erziehung<br />

– weniger Spezialisierung <strong>und</strong> mehr Allgeme<strong>in</strong>bildung <strong>und</strong> Gewissenhaftigkeit sowie<br />

die Fähigkeit, Erlerntes anzuwenden<br />

– das Bejahen des Leistungspr<strong>in</strong>zip<br />

– Kopfnoten zur Beurteilung des Lern- <strong>und</strong> Sozialverhalten<br />

– regelmäßige Vergleichstest, auch zwischen den Ländern der B<strong>und</strong>esrepublik<br />

– dem Ausbau des Föderalismus im Bildungswesen zu e<strong>in</strong>em<br />

Wettbewerbsföderalismus<br />

– Bereitstellung e<strong>in</strong>es ausreichenden <strong>und</strong> qualitativ hochwertigen Angebots an<br />

Lehrmaterialien <strong>und</strong> Lehrkörpern<br />

– e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Aufwertung der Hauptschulee<strong>in</strong>e ablehnende Haltung<br />

gegenüber der Gesamtschule.<br />

[ http://www.cdu.de/projekt21/bildung/beschluss.htm];<br />

04.12.2003<br />

[http://www.cdu.de/politik-a-z/bildung/kap2.htm;<br />

], 28.10.2003<br />

4.2.2 Reformen <strong>und</strong> Pläne der SPD<br />

Die von der SPD beschlossene Bildungsreform hat das Ziel, das deutsche Bildungssystem <strong>in</strong><br />

zehn Jahren an die Weltspitze zu br<strong>in</strong>gen. Instrument hierfür ist das Investitionsprogramm<br />

„Zukunft Bildung <strong>und</strong> Betreuung“, durch das unter anderem vier Milliarden Euro <strong>in</strong> den Auf<strong>und</strong><br />

Ausbau e<strong>in</strong>es Ganztagsschulwesens gesteckt werden, dem e<strong>in</strong>e Schlüsselstellung <strong>in</strong> der<br />

Reform zukommt. Weiterh<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die Entwicklung e<strong>in</strong>es nationalen Bildungsstandarts <strong>und</strong> der<br />

Aufbau e<strong>in</strong>er unabhängigen Evaluationse<strong>in</strong>richtung für die Qualitätsicherung des<br />

Bildungssystem geplant oder teilweise bereits beschlossen, wie zum Beispiel die Lernziele <strong>in</strong><br />

den Fächern Deutsch, Mathematik, sowie der ersten Fremdsprache (Englisch <strong>und</strong><br />

Französisch) für Schüler, die nach der zehnten Klasse mit mittlerem Bildungsabschluss die<br />

Schule verlassen. Diese Lernziele s<strong>in</strong>d ab Sommer 2004 gültig <strong>und</strong> für alle B<strong>und</strong>esländer<br />

verpflichtend. Ähnlich dem <strong>in</strong> der Wirtschaft bereits vorhanden „Rat der Wirtschaftsweisen“,<br />

soll e<strong>in</strong>e äquivalente E<strong>in</strong>richtung für den Bereich Bildung geschaffen werden, e<strong>in</strong>hergehend<br />

mit e<strong>in</strong>er jährlichen Bildungsberichterstattung. Im Sektor der beruflichen Ausbildung sollen die<br />

bestehenden Berufsfelder e<strong>in</strong>er Modernisierung unterzogen werden <strong>und</strong> neue Berufsbilder<br />

geschaffen werden. Das Berufsbildungsgesetz soll mit dem Ziel novelliert werden, die duale<br />

Ausbildung zu stärken, die berufliche Bildung weiter zu <strong>in</strong>ternationalisieren <strong>und</strong> das<br />

Prüfungswesen zu modernisieren. Weiterh<strong>in</strong> ist für Jugendliche mit schlechten Startchancen<br />

42


e<strong>in</strong> System von Qualitätsbauste<strong>in</strong>en geplant, das immer weiter qualifiziert, bis zum Erwerb<br />

e<strong>in</strong>es vollen Berufabschlusses. Jugendliche mit Migrationsh<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> sollen verstärkt<br />

gefördert werden, um die Integration <strong>in</strong> die Gesellschaft zu erleichtern.<br />

Hochschulen sollen attraktiver gestaltet werden <strong>und</strong> sollen junge Menschen schnell,<br />

praxisorientiert <strong>und</strong> auf <strong>in</strong>ternationalem Niveau ausbilden. Kernpunkte s<strong>in</strong>d die qualitative<br />

Erhöhung des Studiums, e<strong>in</strong> gestuftes System von Studienabschlüssen, die wechselseitige<br />

Anerkennung von Abschlüssen, e<strong>in</strong> geschlossenes System der Nachwuchsförderung, sowie<br />

die stärkere <strong>in</strong>ternationale Ausrichtung der Hochschulen. Die sozialen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

für Studierende allgeme<strong>in</strong> <strong>und</strong> besonders für ausländische Studierende sollen verbessert<br />

werden, im besonderen der Bereich Wohnen <strong>und</strong> Arbeiten. Ausserdem sollen<br />

Mobilitätsh<strong>in</strong>dernisse zwischen Wissenschaft <strong>und</strong> Wirtschaft durch e<strong>in</strong>en<br />

Wissenschaftstarifvertrag abgebaut werden. Ziel der Hochschulreformen ist es<br />

schnellstmöglich Bed<strong>in</strong>gungen zu schaffen, den den Realitäten e<strong>in</strong>es hochdynamischen<br />

Arbeitsmarktes <strong>in</strong> Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung gerecht werden.<br />

Im Bereich der Forschungsförderung ist das erklärte Ziel, die öffentlichen <strong>und</strong> privaten<br />

Investitionen <strong>in</strong> den Bereich Forschung <strong>und</strong> Entwicklung bis 2010 auf 3% des<br />

Brutto<strong>in</strong>landsprodukts zu steigern. Gerade die Förderung von Schlüsseltechnologien soll<br />

verstärkt werden, Hochschulen, ausseruniversitäre Forschungse<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong><br />

Unternehmen sollen stärker vernetzt werden. Alle eben genannten Forschungse<strong>in</strong>richtungen<br />

sollen <strong>in</strong> den Aufbau von EU-weiten Exzellenzzentren e<strong>in</strong>bezogen werden. Allgeme<strong>in</strong> gesagt<br />

soll Forschung <strong>in</strong> Zukunft grössere Anteile an der Lösung gesellschaftlicher Fragen bieten<br />

<strong>und</strong> zur Entwicklung von Strukturen e<strong>in</strong>er nachhaltig zukunftsfähigen Gesellschaft leisten.<br />

[www.ganztagsschulen.org], 05.01.2004<br />

[www.bmbf.de/252_4786.html], 04.01.2004<br />

4.2.3 Bildungspolitik der Grünen<br />

Bei den Grünen fällt auf; dass sie allgeme<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e Öffnung des Bildungswesen <strong>und</strong> der<br />

betreffenden E<strong>in</strong>richtungen s<strong>in</strong>d. Das bezieht sich vor allem auf ausländische <strong>und</strong> weibliche<br />

Studierende.<br />

Sie wollen also bessere Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für ausländische Studierende schaffen<br />

(genauer wird darauf nicht e<strong>in</strong>gegangen), die Mobilität von deutschen <strong>und</strong> ausländischen<br />

Studierenden verbessern <strong>und</strong> <strong>in</strong>ternationale Studiengänge fördern.<br />

Auch sollen Frauen ganz besonders gefördert werden, was unter anderem dazu führen soll,<br />

dass mehr Frauen e<strong>in</strong>e wissenschaftliche Laufbahn e<strong>in</strong>schlagen.<br />

E<strong>in</strong> anderes, ganz wichtiges Thema <strong>in</strong> der Bildungspolitik der Grünen s<strong>in</strong>d die<br />

Ganztagsschulen, ganz besonders als Reaktion auf die PISA-Studie. Sie wollen den Aufbau<br />

solcher Schulen mit <strong>in</strong>sgesamt 4 Milliarden Euro unterstützen. Jugendliche sollen e<strong>in</strong> Anrecht<br />

auf „qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze“ haben. Lehrmaterialen sollen auch öffentlich<br />

zugänglich se<strong>in</strong>. Auch der Satz „Gleiche Bildungschancen für alle“ fällt.<br />

Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler sollen <strong>in</strong>dividuell gefördert <strong>und</strong> dabei unterstützt werden, ihre<br />

Bildungsziele zu erreichen. Bildungse<strong>in</strong>richtungen sollen Selbstverwaltung nach <strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Transparenz nach außen zeigen!<br />

43


Auch zum Thema Studium allgeme<strong>in</strong> gibt es Pläne <strong>und</strong> Verbesserungsvorschläge für die<br />

Zukunft. So muss die Hochschule der zentrale Ort für Studierende se<strong>in</strong>. Außerdem sollen die<br />

e<strong>in</strong>zelnen Studiengänge besser auf die Studenten zugeschnitten se<strong>in</strong>. DoktorandInnen<br />

müssen mehr unterstützt werden. Die angefangene Hochschulreform wollen die Grünen auch<br />

weiterführen. Zu guter Letzt soll die Abbruchquote gesenkt werden.<br />

Für alle Bildungse<strong>in</strong>richtungen sollen Qualitätsstandards gelten, die als Ergebnis e<strong>in</strong><br />

Qualitätssiegel haben. Damit sollen möglichst autonome Schulen <strong>und</strong> möglichst e<strong>in</strong>heitliche<br />

Standards erreicht werden. Dies gel<strong>in</strong>gt durch Vergleichbarkeit der Schulen untere<strong>in</strong>ander<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>heitliche Niveaus, das heißt: ke<strong>in</strong>e regionalen Unterschiede mehr.<br />

E<strong>in</strong> Sachverständigenrat „Bildung“ soll außerdem alle zwei Jahre e<strong>in</strong>en Bildungsbericht<br />

abgeben.<br />

Die Mittel für das Gebiet Bildung sollen weiter erhöht werden. Genaue Angaben machen die<br />

Grünen für das Feld „Forschung <strong>und</strong> Entwicklung“, dort von heute etwas über 2,4% auf 2010<br />

etwa 3% vom BSP. In dem Zusammenhang betonen sie auf ihrer Internetseite, dass sie die<br />

Ausgaben für „Bildung <strong>und</strong> Forschung“ seit 1998 auf 21,5% erhöht haben. Dies ist e<strong>in</strong>e der<br />

wenigen präzisen <strong>und</strong> konkreten Angaben der Grünen ihrer Verbesserungsvorschläge im<br />

Bereich „Bildung“. Auch wie das Internet zu e<strong>in</strong>em offenen Netzwerk weiterentwickelt werden<br />

soll, bleibt unkonkret.<br />

Als letztes noch e<strong>in</strong> Zitat:<br />

„Es muss verh<strong>in</strong>dert werden, dass die Gesellschaft entlang e<strong>in</strong>er neuen ‚digitalen Kluft‘ geteilt<br />

wird, die die modernen ‚ Wissensarbeiter‘ von denjenigen trennt, die ke<strong>in</strong>en Zugang zu<br />

anspruchsvoller Bildung <strong>und</strong> neuen Technologien haben.“<br />

[http://www.gruene-partei.de/rsvgn/rs_dok/0,,21236-pr<strong>in</strong>t, 00.htm, 28.10.2003]<br />

[http://www.gruene-frakion.de/rsvgn/rs_dok/0,,13529-pr<strong>in</strong>t,00.htm, 31.10.2003]<br />

4.2.4 AG Bildungspolitik der PDS von Berl<strong>in</strong> 2002<br />

Bildung braucht jeder Mensch für e<strong>in</strong> reiches selbstbestimmtes Leben. Für die kompetente<br />

Mitwirkung an e<strong>in</strong>er demokratischen <strong>und</strong> sozial gerechten Gesellschaft sowie für e<strong>in</strong>e<br />

erfolgreiche berufliche Entwicklung, ohne die heute für die meisten Menschen weder<br />

Selbstbestimmung noch gesellschaftliche Teilhabe zu verwirklichen s<strong>in</strong>d. Wegen dieser<br />

umfassenden Bedeutung betrachtet die PDS Bildung als e<strong>in</strong> Menschrecht <strong>und</strong> e<strong>in</strong> öffentliches<br />

Gut, dass nicht als Ware auf den Markt gehandelt <strong>und</strong> auf se<strong>in</strong>e Funktion als Standortfaktor<br />

begrenzt werden darf <strong>und</strong> als Gr<strong>und</strong>recht im Gr<strong>und</strong>gesetz zu verankern.<br />

In der Debatte um Bildung als Schritte zu e<strong>in</strong>er umfassenden Bildungsreform vertritt die PDS<br />

folgende 10 Kernforderungen, die sie allerd<strong>in</strong>gs für unabd<strong>in</strong>gbar hält:<br />

1. Die PDS tritt e<strong>in</strong> für den Ausbau des öffentlichen Bildungssystems, gegen dessen<br />

Vernachlässigung <strong>und</strong> Privatisierung <strong>und</strong> alle Versuche, Bildung als Ware zu<br />

behandeln – auch über 2005 h<strong>in</strong>aus. In diesem S<strong>in</strong>ne muss die B<strong>und</strong>esregierung <strong>in</strong><br />

der EU <strong>und</strong> <strong>in</strong> den WTO/GATS- Verhandlungen aktiv werden.<br />

44


2. Bildung geht alle an. Die PDS setzt sich deshalb für die Ausweitung der<br />

Mitbestimmungsrechte aller Schüler, Auszubildender, Studenten, Eltern <strong>und</strong><br />

Pädagogen e<strong>in</strong> – <strong>und</strong> die <strong>in</strong>nere Demokratisierung des Bildungswesens.<br />

3. In Bildung müssen mehr öffentliche Mittel <strong>in</strong>vestiert werden: Mittel für die<br />

Verbesserung der materiellen Situation auf allen Ebenen des Bildungswesens, die<br />

Ausstattung der Schulen mit modernen Fachräumen, Lehr- <strong>und</strong> Lernmitteln,<br />

Computern <strong>und</strong> Medienzugängen s<strong>in</strong>d ebenso erforderlich wie die Verbesserung der<br />

Personalsituation. Das erfordert die stärkere f<strong>in</strong>anzielle Beteiligung des B<strong>und</strong>es <strong>und</strong><br />

der Länder. Die öffentlichen Bildungsausgaben, gemessen am Brutto<strong>in</strong>landsprodukt,<br />

s<strong>in</strong>d auf 7 – 8% nahezu zu verdoppeln.<br />

4. Optionale, auf die <strong>in</strong>dividuellen Bedürfnisse der K<strong>in</strong>der ausgerichtete<br />

Fördermöglichkeiten für alle – gegen soziale Ungleichheit <strong>und</strong> Ausgrenzung. Bildung<br />

muss e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>recht für alle werden. Das bedeutet <strong>in</strong>haltliche <strong>und</strong> strukturelle<br />

Reformen: Fördern statt Aussortieren, Überw<strong>in</strong>den der Dreigliedrigkeit durch e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>heitliches, geme<strong>in</strong>sames Schulsystem mit <strong>in</strong>tegrativer Pädagogik, Orientierung der<br />

Inhalte an den globalen Schlüsselproblemen, Arbeit <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Gruppen, vermehrter<br />

E<strong>in</strong>satz von Psychologen <strong>und</strong> Sonderpädagog<strong>in</strong>nen, wirkliche Mitbestimmung der<br />

Lernenden, auch über Inhalte <strong>und</strong> den Lernprozess.<br />

5. Bildung von Anfang an. Entwicklung e<strong>in</strong>es flächen- <strong>und</strong> bedarfsdeckenden Netzes von<br />

Ganztagsangeboten für K<strong>in</strong>der im Vorschulalter. Ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d darf vom Recht auf<br />

elementare Bildung im Vorschulalter ausgeschlossen werden. Deshalb fordern wir<br />

kostenlose Kitas für alle K<strong>in</strong>der – auch der Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der unter 3 Jahren.<br />

6. Aus- <strong>und</strong> Aufbau e<strong>in</strong>es flächendeckenden Netzes von Ganztagsschulen für alle K<strong>in</strong>der<br />

wie fast überall <strong>in</strong> Europa. Sie ermöglicht ganzheitliche Pädagogik.<br />

7. Mehr PädagogInnen zu besseren Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen – E<strong>in</strong>stellung von 200000<br />

LehrerInnen, ErzieheriInnen <strong>und</strong> pädagogischen MitarbeiterInnen, Reform der<br />

Lehreraus– <strong>und</strong> Weiterbildung, Senkung der Klassenfrequenzen <strong>und</strong> Gruppengrößen.<br />

Arbeitszeitverkürzungen für PädagogInnen, um mehr Zeit für den E<strong>in</strong>zelnen zu haben.<br />

Erhalt kle<strong>in</strong>erer, wohnortnaher Schulen.<br />

8. Bereitstellung ausreichenden, qualitativ hochwertigen Angebots <strong>in</strong> der beruflichen<br />

Erstausbildung für alle Schulabgänger. Vorraussetzung dafür ist e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>haltliche<br />

Erneuerung des Berufsausbildungsgesetzes <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Ausdehnung auf alle<br />

Ausbildungsgänge sowie die E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>er solidarischen Umlagef<strong>in</strong>anzierung.<br />

Ke<strong>in</strong>e Privatisierung der Berufschulen.<br />

9. Materielle Sicherung der Hochschulen – Sicherung der Mitbestimmung der<br />

Betroffenen <strong>und</strong> des politischen Mandats der Studentenvertretungen. Verbot von<br />

Studiengebühren, wie auch immer deklariert.<br />

10. Ausbau der Weiterbildung zu e<strong>in</strong>em transparenten Bestandteil des Bildungswesens,<br />

mit der E<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> Gleichrangigkeit von allgeme<strong>in</strong>er, politischer <strong>und</strong> beruflicher<br />

Weiterbildung gewahrt <strong>und</strong> die soziale <strong>und</strong> aus der Erstausbildung resultierende<br />

Benachteiligung nicht wie bisher verstärkt, sondern abgebaut wird.<br />

[http://www.sozialisten.de/partei/strukturen/gigs/ag-bildungspolitik/broschüre/bildung2002pdf,<br />

04.12.2003]<br />

45


4.2.5 Vorschläge der FDP zur Bildungspolitik<br />

Die Freien Demokraten wollen die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Bildungssystems<br />

erhöhen. Dazu soll das Bildungssystem ständig überprüft werden, die Eigenverantwortlichkeit<br />

der Bildungse<strong>in</strong>richtungen erhöht, der Wettbewerb unter den verschiedenen E<strong>in</strong>richtungen<br />

massiv ausgebaut <strong>und</strong> die Öffnung zur Wirtschaft h<strong>in</strong> erlaubt werden (z.B. Schulsponsor<strong>in</strong>g).<br />

Familien sollen mehr gefördert, das K<strong>in</strong>derbetreuungsangebot von der Krippe bis zum Hort<br />

erweitert werden. Die Vere<strong>in</strong>barkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf ist e<strong>in</strong> wichtiges anliegen der FDP.<br />

Weiterh<strong>in</strong> wird vorgeschlagen e<strong>in</strong>e frühere E<strong>in</strong>schulung anzustreben, damit der Wissensdurst<br />

der K<strong>in</strong>der positiv genutzt werden kann, Klassengrössen sollen auf maximal 20 K<strong>in</strong>der<br />

beschränkt werden. Allgeme<strong>in</strong> sollen Schulen Zugang zu modernen Medien haben <strong>und</strong> diese<br />

auch im Unterricht e<strong>in</strong>setzen, die Lehrerausbildung <strong>und</strong> -fortbildung muss verbessert <strong>und</strong><br />

modernisiert werden <strong>und</strong> die staatliche Beaufsichtigung der Bildungse<strong>in</strong>richtungen muss nach<br />

Me<strong>in</strong>ung der FDP drastisch gelockert werden, um freien Bildungse<strong>in</strong>richtungen e<strong>in</strong>e<br />

gleichwertige Chance im Wettbewerb um Schüler zu ermöglichen.<br />

Das Hochschulwesen soll <strong>in</strong>ternationaler ausgerichtet gestaltet werden, die e<strong>in</strong>zelnen<br />

Hochschulen sollen ebenso wie Schulen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Wettbewerb um Studenten <strong>und</strong> Lehrende<br />

treten dürfen, wie Schulen auch. Wichtig ist der FDP hierbei die Unabhängigkeit der<br />

Hochschulen, die Freiheit <strong>in</strong> Forschung Lehre <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>beziehung <strong>und</strong> der Austausch mit<br />

Kräften aus der Wirtschaft. Der Situation auf dem Arbeitsmarkt, die e<strong>in</strong> wesentlich höheres<br />

Maß an Flexibilität erfordert soll durch flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten des Studiums<br />

Rechnung getragen werden. Kurz gesagt verspricht sich die FDP von e<strong>in</strong>er Liberalisierung<br />

des Bildungssystems <strong>und</strong> den dadurch erhöhten Wettbewerb e<strong>in</strong>e Verbesserung der Qualität<br />

des Bildungsystems <strong>in</strong>sgesamt.<br />

[http://www.fdp-b<strong>und</strong>esverband.de/pdf/Mehr_Bildung.pdf] 05.01.04<br />

4.3 Konzepte <strong>und</strong> Pläne der Parteien für die Ganztagsschule<br />

Die Diskussion über das Thema “Ganztagsschule“ wird dadurch erschwert, dass der Begriff<br />

unterschiedlich verwandt wird. E<strong>in</strong>e Basisdef<strong>in</strong>ition bietet die Kultusm<strong>in</strong>isterkonferenz.<br />

Kennzeichnend für Ganztagsschulen ist demnach, “dass an allen Tagen des<br />

Ganztagsbetriebs den teilnehmenden Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern e<strong>in</strong> Mittagessen<br />

bereitgestellt wird <strong>und</strong> das die Organisation aller Angebote unter Aufsicht <strong>und</strong> Verantwortung<br />

der Schulleitung steht.“ Bei offen Ganztagsschulen ist die Teilnahme an den<br />

Ganztagsangeboten freiwillig. Bei der geb<strong>und</strong>enen Ganztagsschule ist die Teilnahme<br />

verpflichtend. Die vormittäglichen <strong>und</strong> nachmittäglichen Aktivitäten müssen hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

konzeptionellen Zusammenhang stehen.<br />

Die entscheidende Frage ist, was Ganztagschule leisten soll: nur bessere Betreuung oder<br />

auch bessere Bildung? Von dieser Richtungsentscheidung hängt <strong>in</strong>sbesondere ab, wie das<br />

pädagogische Gesamtkonzept aussieht, <strong>in</strong> welchem Zusammenhang Unterricht <strong>und</strong><br />

ergänzende Angebote stehen, ob überwiegend Lehrer<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Lehrer oder andere<br />

Fachkräfte e<strong>in</strong>gesetzt werden, wie die Kooperation Schule – Verbände – Vere<strong>in</strong>e – Kirchen -<br />

kulturelle E<strong>in</strong>richtungen – Betriebe anzulegen s<strong>in</strong>d, ob die Teilnahme der Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />

Schüler freiwillig oder verpflichtend ist, wie die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung der Eltern erfolgt, welche<br />

Gr<strong>und</strong>sätze die F<strong>in</strong>anzierung seitens B<strong>und</strong>, Land <strong>und</strong> Kommune <strong>und</strong> die evtl.<br />

Kostenbeteiligung der Eltern erfolgt.<br />

46


4.3.1 Die Haltung der CDU<br />

Nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion kann der Ausbau e<strong>in</strong>es bedarfgerechten Angebots<br />

von Ganztagschulen für alle Schulformen <strong>in</strong> zwei Richtungen gehen:<br />

1. Offene Ganztagsschulen<br />

Die Schulen machen e<strong>in</strong> Bildungs- <strong>und</strong> Betreuungsangebot für Nachmittag. Es sollte<br />

Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung, Arbeitsgeme<strong>in</strong>schaften <strong>und</strong> ggf.<br />

Förderunterricht umfassen. H<strong>in</strong>zu kommen Angebote im sportlichen, sozialen,<br />

kulturellen <strong>und</strong> kreativen Bereich von außerschulischen Partnern (z. B. Träger der<br />

Jugendhilfe im S<strong>in</strong>ne des K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendhilfegesetzes, Jugendverbände,<br />

Sportvere<strong>in</strong>e, Kirchen, kulturellen E<strong>in</strong>richtungen, Betriebe).<br />

Mit den Kooperationspartnern müssen geme<strong>in</strong>same Zielsetzungen <strong>und</strong> verb<strong>in</strong>dliche<br />

Regeln verabredet werden. Diese Nachmittagsangebote sollten Teil des<br />

pädagogischen Konzept se<strong>in</strong>.<br />

Die Betreuung am Nachmittag kann von geeigneten Personen übernommen werde.<br />

Sie s<strong>in</strong>d durch e<strong>in</strong>e entsprechende Fortbildung auf die Arbeit mit den K<strong>in</strong>der <strong>und</strong><br />

Jugendlichen vorzubereiten.<br />

Es darf nicht vom E<strong>in</strong>kommen der Eltern abhängen, ob die K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

Ganztagsschulen besuchen können oder nicht.<br />

Die Teilnahme ist für Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler freiwillig.<br />

2. Geb<strong>und</strong>ene Ganztagsschule<br />

Der Unterricht wird über den Vor- <strong>und</strong> Nachmittag verteilt. Mittagessen <strong>und</strong><br />

Hausaufgabenbetreuung werden angeboten.<br />

Es f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong> Wechsel von Unterricht <strong>und</strong> Angeboten im sportlichen, sozialen,<br />

kulturellen, <strong>und</strong> kreativen Bereich statt. Diese dienen der Förderung sozialer<br />

Kompetenzen.<br />

Für diese ergänzenden Angebote bietet sich die Zusammenarbeit mit<br />

außerschulischen Partnern – wie auch bei der offenen Ganztagsschule – an. E<strong>in</strong>e<br />

entsprechende Fortbildung der Fachkräfte ist sicher zu stellen.<br />

Die größeren zeitlichen Möglichkeiten zur Förderung von besonders Begabten <strong>und</strong><br />

Lernschwachen <strong>und</strong> zur Förderung von Integration schlagen sich im pädagogischen<br />

Gesamtkonzept der jeweiligen Schule nieder.<br />

Die Teilnahme der Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler ist verpflichtend.<br />

[http://www.cducsu.de, 11.12.2003]<br />

47


4.3.2 Das Programm der SPD<br />

B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Länder haben am 12.Mai 2003 das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung <strong>und</strong><br />

Betreuung“ verabschiedet. Die vom B<strong>und</strong> bereitgestellten vier Milliarden Euro verteilen sich<br />

folgendermaßen auf die nächsten fünf Jahre:<br />

2003 – 300 Millionen Euro<br />

2004 bis 2006 – je e<strong>in</strong>e Milliarde Euro<br />

2007 – 700 Millionen Euro<br />

Die B<strong>und</strong>esmittel stehen für Neubau, Ausbau, Renovierung <strong>und</strong> für die Ausstattung der<br />

Schulen zur Verfügung. Die Länder s<strong>in</strong>d im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die Regelung des<br />

Förderverfahrens, die Auswahl der förderfähigen Schulen <strong>und</strong> die personelle Ausstattung<br />

zuständig.<br />

Folgende allgeme<strong>in</strong>en Kriterien werden allerd<strong>in</strong>gs angelegt:<br />

1. Individuelle Förderung <strong>und</strong> Eröffnen von Lernchancen durch e<strong>in</strong>e Pädagogik der<br />

Vielfalt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Lernvorraussetzungen der<br />

e<strong>in</strong>zelnen Schüler<br />

2. Veränderung von Unterricht <strong>und</strong> Lernkultur durch Verknüpfung von Unterricht,<br />

Zusatzangeboten <strong>und</strong> Freizeit über Vor- <strong>und</strong> Nachmittag<br />

3. Soziales Lernen durch altersübergreifende Angebote, die soziale Kompetenzen<br />

fördern<br />

4. Partizipation durch verbesserte Möglichkeiten der Mitentscheidung, Mitgestaltung <strong>und</strong><br />

Mitverantwortung von Eltern <strong>und</strong> Schülern<br />

5. Öffnung der Schule durch Kooperation mit der K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong> Jugendhilfe, sozialen <strong>und</strong><br />

kulturellen E<strong>in</strong>richtungen <strong>und</strong> mit Betrieben vor Ort<br />

6. Kreative Freizeitgestaltung durch E<strong>in</strong>beziehung außerschulischer Angebote (Vere<strong>in</strong>e,<br />

Jugendhilfe,etc.)<br />

7. Qualifizierung des Personals durch entsprechende Weiterbildung<br />

Besonders gefördert werden sollen Schulen, die <strong>in</strong>novative Konzepte zur Gestaltung des<br />

Schulalltags entwickeln, unabhängig davon, ob dieses Konzepte sich an den Modellen der<br />

offenen oder geschlossenen Ganztagsschule orientieren.<br />

48


4.3.3 Die Position der Grünen<br />

Wie fast alle anderen Parteien wollen auch die Grünen die Ganztagsschule e<strong>in</strong>führen. Hier<br />

nun die genauen Vorstellungen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige Gründe:<br />

Zuerst kann man vier Kriterien anführen, die e<strong>in</strong>e gute Ganztagsschule be<strong>in</strong>halten muss:<br />

1 Sie darf ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>e Verwahranstalt se<strong>in</strong>.<br />

2 Schulen brauchen Freiheit (Autonomie).<br />

3 Das Ganztagssystem soll vor allem <strong>in</strong> sozialen Brennpunkten massiv ausgebaut werden.<br />

4 Das Geld muss bei den Schulen auch wirklich ankommen.<br />

Betreuung <strong>und</strong> Unterricht müssen gekoppelt <strong>und</strong> mehr an den Bedürfnissen der K<strong>in</strong>der<br />

orientiert werden. Das heißt auch, dass es ke<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>en Betreuungsangebote geben soll,<br />

sondern Projekte <strong>und</strong> Workshops, die für die Persönlichkeitsentwicklung zuträglich s<strong>in</strong>d.<br />

Deshalb sollen die Schulen auch mit der Jugendhilfe kooperieren.<br />

Auch diese Schulen sollen mit e<strong>in</strong>em pädagogischen Gütesiegel ausgezeichnet werden.<br />

Das jeweilige Land soll sich an den Kosten beteiligen.<br />

Der Vorteil dieses Systems s<strong>in</strong>d, laut Bündnis ‘90/die Grünen, verbesserte Bildungschancen<br />

auch am Nachmittag, so werden Bildungsdefizite abgebaut. Außerdem wird die Koppelung<br />

von sozialer Herkunft <strong>und</strong> Schulerfolg durchbrochen.<br />

das Problem von Familie <strong>und</strong> Beruf kann besser vere<strong>in</strong>bart, d.h. beide Elternteile könnten<br />

theoretisch ganztags arbeiten.<br />

Ganztägig geöffnete Schulen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Ort des Lernens <strong>und</strong> der Begegnung, das führt zu<br />

vielfältigen Lernerfahrungen, Anregungen <strong>und</strong> sozialen Kontakten.<br />

Schulen müssen mehr Experimentierfeld für spannendes, neues Lernen se<strong>in</strong>.<br />

4.3.4 Me<strong>in</strong>ung der PDS<br />

Die PDS geht <strong>in</strong> ihren Kernpunkten nur kurz auf die Ganztagsschule e<strong>in</strong>, fordert aber flächen<strong>und</strong><br />

bedarfsdeckende kostenlose Ganztagsbetreuung für K<strong>in</strong>der <strong>und</strong> Jugenliche vom<br />

Krippenplatz bis zum Schulabschluss.<br />

4.3.5 Aussagen der FDP<br />

Die Freien Demokraten fordern ke<strong>in</strong> flächendeckendes Ganztagsschulangebot. Ihrer Me<strong>in</strong>ung<br />

nach soll die Entscheidung, ob e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Ganztagsschule besucht oder nicht im<br />

wesentlichen von den Eltern abhängen. Die Ganztagsschulen müssen demnach mit anderen<br />

Schulen <strong>in</strong> den Wettbewerb um die Schüler treten, so wie jede andere Bildungse<strong>in</strong>richtung<br />

nach dem Willen der FDP es auch tun sollte.<br />

49


5. Zusammenfassend können folgende Kernaussagen<br />

getroffen werden:<br />

● Bildung ist Humankapital <strong>und</strong> essentiell für das Wachstum <strong>und</strong> den Wohlstand e<strong>in</strong>er<br />

Industriegesellschaft.<br />

● Armut <strong>und</strong> <strong>Bildungsarmut</strong> bed<strong>in</strong>gen sich teilweise gegenseitig. Die Aneignung von Bildung<br />

ist somit e<strong>in</strong>e Chance zum sozialen Aufstieg bzw. zur sozialen Absicherung.<br />

● K<strong>in</strong>der aus Zuwandererfamilien können <strong>in</strong> der Regel nur über Bildungsabschlüsse langfristig<br />

attraktive <strong>und</strong> gesellschaftlich anerkannte Positionen im E<strong>in</strong>wanderungsland e<strong>in</strong>nehmen <strong>und</strong><br />

damit im Zusammenhang <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>wanderungsgesellschaft aufsteigen.<br />

● Bef<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Untersuchungen weisen darauf h<strong>in</strong>, dass massive geschlechtsspezifische<br />

Leistungsunterschiede <strong>in</strong> den e<strong>in</strong>zelnen Bereichen wie Mathematik, Lesen <strong>und</strong><br />

Naturwissenschaften bestehen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zur Förderung der<br />

jeweiligen Kompetenzen von Mädchen <strong>und</strong> Jungen.<br />

● Schulsozialarbeit ist e<strong>in</strong>e Kooperation von Jugenhilfe <strong>und</strong> Schule. Der 11. K<strong>in</strong>der- <strong>und</strong><br />

Jugendbericht stellt e<strong>in</strong>e Konzeption für die geforderte Schulsozialarbeit dar. E<strong>in</strong>e<br />

ganztägige Schulform würde die Möglichkeit schaffen, dass neben der re<strong>in</strong>en<br />

Stoffvermittlung auch im sozialen Bereich etwas getan werden kann<br />

(Sozialverhalten/politische Bildung).<br />

● Alle Parteien des B<strong>und</strong>estages sehen die Notwendigkeit von tiefgreifenden Reformen im<br />

Bildungssystem. Hierbei wird die Ganztagesschule von fast allen Parteien als adäquates<br />

Mittel gesehen um das Bildungsniveau <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> wieder <strong>in</strong> die <strong>in</strong>ternationale<br />

Spitzengruppe zu br<strong>in</strong>gen.<br />

50


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52

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