Gerda Freise Warum studierte ich Chemie? - Gute UnterrichtsPraxis
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nossen hatten. Ja, <strong>ich</strong> erinnere m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t einmal an die Tatsache, dass es z.B.<br />
Kapitel über Wehrphysik oder Kampfstoff-<strong>Chemie</strong> in unseren Schulbüchern gab<br />
- obwohl es daran, wie <strong>ich</strong> objektiv feststellen kann, keinen Zweifel gibt. Die<br />
allgemeine Hochachtung vor den Naturwissenschaften wurde von alledem n<strong>ich</strong>t<br />
erschüttert.<br />
Ich denke heute, dass unsere Reflexionslosigkeit das zwangsläufige Ergebnis<br />
eines Studiums ist, das s<strong>ich</strong> auf die Vermittlung disziplinspezifischer Fähigkeiten<br />
und Kenntnisse, und auf die Beschränkung allein mit innerwissenschaftl<strong>ich</strong>en<br />
Detailfragestellungen beschränkt und den Kontext Wissenschaft - Gesellschaft<br />
völlig außer Acht lässt, zumal wir in einer Zeit <strong>studierte</strong>n, in der diese<br />
Reflexion noch an keiner Stelle öffentl<strong>ich</strong> thematisiert wurde.<br />
Unsere anti-nazistische Position war n<strong>ich</strong>t die Folge wissenschaftskritischer<br />
oder politischer Reflexion, denn wir waren politisch naiv und dumm; wir hatten<br />
n<strong>ich</strong>ts gelernt, außer unserem Fach; wir kannten keine der w<strong>ich</strong>tigen gesellschaftl<strong>ich</strong>en,<br />
politischen und philosophischen Theorien und Entwürfe, und das<br />
seinerzeit im Gymnasium übermittelte Kulturgut hatte in unserem Leben keine<br />
Bedeutung bekommen.<br />
Vielmehr hatte unsere anti-nazistische Position ihren Ursprung in unseren<br />
Elternhäusern, in unserer Erziehung. Nur einzelne Kommilitonen dachten und<br />
diskutierten in politischen Kategorien. So nannte s<strong>ich</strong> der dann im erwähnten<br />
Hochverratsprozess zum Tode verurteilte und noch vor Kriegsende hinger<strong>ich</strong>tete<br />
Hans-Konrad Leipelt einen Kommunisten. Nach meinen Informationen wurden<br />
in seinem Freundeskreis wirkl<strong>ich</strong> politische Diskussionen geführt. - Demgegenüber<br />
blieben die offenen Gespräche im Institut auf der Ebene persönl<strong>ich</strong>er und<br />
moralischer Ablehnung des NS-Regimes. Von mir selbst weiß <strong>ich</strong>, dass <strong>ich</strong> alle<br />
vaterländischen, nationalistischen Argumente vehement ablehnte und m<strong>ich</strong> diffus<br />
linken, vermutl<strong>ich</strong> sozialdemokratischen Positionen verbunden fühlte, wahrscheinl<strong>ich</strong><br />
unter dem Einfluss eines Freundes der Eltern, der ein engagierter linker<br />
Sozialdemokrat war.<br />
Zusammenfassend möchte <strong>ich</strong> sagen: Ich war am Ende meines Studiums<br />
zwar keine von der <strong>Chemie</strong> faszinierte Wissenschaftlerin geworden, aber <strong>ich</strong><br />
war doch stolz auf das erre<strong>ich</strong>te Ziel. Meine Vorstellungen von einer berufl<strong>ich</strong>en<br />
Tätigkeit als Chemikerin waren zwar n<strong>ich</strong>t konkret geworden, aber das beunru-