Gerda Freise Warum studierte ich Chemie? - Gute UnterrichtsPraxis
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war es eigentl<strong>ich</strong> selbstverständl<strong>ich</strong>, dass nur ein technisches Fach fürs Studium<br />
in Frage kam. An Literatur oder Musik war n<strong>ich</strong>t zu denken. Ich hatte zwar Klavierunterr<strong>ich</strong>t,<br />
aber so, dass <strong>ich</strong> das Klavier zu schlagen lernte: der Vater stand<br />
hinter mir und haute mir mit dem Lineal auf den Kopf, damit <strong>ich</strong> den Rhythmus<br />
r<strong>ich</strong>tig reinkriegte. Und so'n Quatsch wie Germanistik? Da hätte <strong>ich</strong> überhaupt<br />
n<strong>ich</strong>t gewusst, warum man das studieren sollte. Die Familie war andererseits<br />
n<strong>ich</strong>t hinre<strong>ich</strong>end akademisch, dass <strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t Mathematik hätte wählen können.<br />
Man sah aber technische Geräte, war von der Technik fasziniert und dem<br />
Fortschritt. Also <strong>studierte</strong> <strong>ich</strong> Physik ... mit dem Ziel, Forschungsabteilungsleiter<br />
zu werden. Damit wurde <strong>ich</strong> von der Familie schon wieder unter Erfolgsdruck<br />
gesetzt, klar, das musste <strong>ich</strong> schaffen. Es fiel mir auch n<strong>ich</strong>t so schwer, entfremdete<br />
m<strong>ich</strong> dann aber von der Familie.<br />
Trotzdem hatte <strong>ich</strong> - im Rückblick - ein großes S<strong>ich</strong>erheitsgefühl zu Hause.<br />
Mein Vater war für m<strong>ich</strong> der starke Mann, bis <strong>ich</strong> nach dem Krieg abends mal<br />
durchs Schlüsselloch einen Streit über Geld zwischen meinen Eltern erlebte. Bis<br />
zu diesem Zeitpunkt hatte <strong>ich</strong> das Gefühl, wenn <strong>ich</strong> in seiner Nähe bin und bei<br />
meiner Mutter, dann ist die Sache in Ordnung. Das war schon sehr w<strong>ich</strong>tig, weil<br />
<strong>ich</strong> ja einen Teil der Bombenangriffe miterlebt hatte und wir manchmal zweimal<br />
nachts in den Keller mussten. Was das bedeutet hat, weiß <strong>ich</strong> wahrscheinl<strong>ich</strong><br />
erst jetzt, nachdem <strong>ich</strong> öfters angst- und schweißgebadet aufwache, weil <strong>ich</strong> von<br />
Panzern träume. Meine Frau meint, das hätte <strong>ich</strong> mir all die Jahre n<strong>ich</strong>t erlaubt,<br />
weil es einfach so schreckl<strong>ich</strong> war. Wenn <strong>ich</strong> jetzt morgens meine Kinder wecken<br />
muss, stelle <strong>ich</strong> mir vor, wie mein Vater mir sagte, Wenn die Sirene geht,<br />
seid ihr im Dunkeln in zwei Minuten angezogen! Jeder Ärmel vom Unterhemd<br />
musste so liegen, dass man das in zwei Minuten schaffte, denn sonst konnte es<br />
zu spät sein. Ich sehe noch meinen Vater mit einer Petroleumlampe, wie er uns<br />
runtertrug in das Stockbett im Keller, und <strong>ich</strong> dachte, uns kann eigentl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts<br />
passieren. Er stand dann mit 'nem Stahlhelm draußen und machte Luftschutz.<br />
Wir hatten eine Flakstellung nebenan, die donnerte ganz mächtig. Das gehörte<br />
zu unserem Leben, am nächsten Tag gingen wir wieder zur Schule.<br />
Regulären Schulunterr<strong>ich</strong>t hab <strong>ich</strong> nur wenig gehabt, zwei Jahre, dann<br />
wurde mein Vater versetzt. Und da meine Eltern an der neuen Dienststelle angebl<strong>ich</strong><br />
wenig Raum hatten, was wohl auch stimmte, kam <strong>ich</strong> in das Große Militärische<br />
Waisenhaus von Potsdam, Abteilung Sulzbach-Rosenberg, das durch