Gerda Freise Warum studierte ich Chemie? - Gute UnterrichtsPraxis
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kann ein qualifizierter Wissenschaftler sein, ohne diese Neigung, gerne zu erklären,<br />
aber dann n<strong>ich</strong>t als Lehrer.<br />
Das einzige, was mir manchmal Kopfschmerzen bereitet, ist, dass s<strong>ich</strong> berufl<strong>ich</strong><br />
nix ändert. Ich hab jetzt einen Standard erre<strong>ich</strong>t, den <strong>ich</strong> kaum verbessern<br />
kann. Aber es gibt keine Veränderung oder Weiterentwicklung. Kopfschmerzen<br />
bereiten mir etwas diese zwölf Jahre - <strong>ich</strong> bin jetzt fünfzig - die <strong>ich</strong> noch Lehrer<br />
zu machen habe. Und das nur als Fortsetzung des gegenwärtigen Zustands? Ich<br />
habe m<strong>ich</strong> einige Male für Funktionsstellen beworben, zweimal für eine Fachleiterstelle<br />
im Studienseminar und zweimal auf Schulleiterstellen. Aber das ist jedes<br />
Mal abgeschmettert worden, wohl aufgrund meiner bekannten Einstellung.<br />
Von meinen Formalqualifikationen her war da nix zu machen, aber <strong>ich</strong> bin halt<br />
als linker Lehrer bekannt.<br />
Meine politische Tätigkeit oder Bewusstheit begann übrigens erst sehr spät.<br />
Ich kann's mir im Nachhinein eigentl<strong>ich</strong> nur so erklären, dass <strong>ich</strong> am Anfang des<br />
Studiums so am Kämpfen war, um es überhaupt zu schaffen. Und während des<br />
Studiums war <strong>ich</strong> noch mit anderen Sachen beschäftigt.<br />
Als sehr streng erzogener Junge hatte <strong>ich</strong> mit Mädchen zieml<strong>ich</strong> Probleme.<br />
Bis zum Abitur hatte <strong>ich</strong> noch n<strong>ich</strong>t mal 'ne Freundin gehabt, hab also im Studium<br />
überhaupt erst einmal Freundschaftsformen - selbst Freundschaften harmlosester<br />
Art - nachzuholen gehabt. M<strong>ich</strong> da so halbwegs normal zu verhalten, das<br />
hat m<strong>ich</strong> zieml<strong>ich</strong> mit Beschlag belegt. Im zweiten Semester ging <strong>ich</strong> in die<br />
Tanzstunde, klingt zieml<strong>ich</strong> absurd, aber das war wohl nachzuholen. Daher hab<br />
<strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> um studentische Mitverwaltung zum Beispiel überhaupt n<strong>ich</strong>t gekümmert,<br />
war eigentl<strong>ich</strong> bei keiner einzigen Versammlung.<br />
Erst später fing <strong>ich</strong> an, m<strong>ich</strong> ernsthaft für Politisches zu interessieren. Bei<br />
den Notstandsgesetzen war <strong>ich</strong> schon in den politischen Auseinandersetzungen<br />
drin und trat während meiner Promotionszeit - das war damals diese Aufschwungphase:<br />
Brandt, mehr Demokratie wagen - in die SPD ein, und zwar<br />
gle<strong>ich</strong> mit Volldampf. Schon nach einem dreiviertel Jahr sägte <strong>ich</strong> den Vorsitzenden<br />
in meinem Ortsverein ab. Damit hatte <strong>ich</strong> natürl<strong>ich</strong> die einheimischen<br />
Familien vollzählig gegen m<strong>ich</strong> aufgebracht.