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Gerda Freise Warum studierte ich Chemie? - Gute UnterrichtsPraxis

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30<br />

Hier kam <strong>ich</strong> in eine völlig andere Welt. Da gab's diese ganzen Reformansätze,<br />

von denen <strong>ich</strong> in meiner Referendarzeit nie etwas gehört hatte. Ich kam<br />

aus dem Staunen n<strong>ich</strong>t mehr heraus. Die Art, wie da Unterr<strong>ich</strong>t gemacht wurde,<br />

wie Lehrer und Schüler miteinander umgingen, und die ganze Offenheit, das hat<br />

m<strong>ich</strong> unheiml<strong>ich</strong> aufgeputscht und hat mir auch viel Kraft gegeben für die Zeit,<br />

in der <strong>ich</strong> dann wieder an meiner Schule war, weil <strong>ich</strong> irgendwie wusste, <strong>ich</strong> bin<br />

n<strong>ich</strong>t allein. Das Gefühl kriegt man ja oft, wenn man so vor s<strong>ich</strong> hin wurschtelt.<br />

Zwar hatte <strong>ich</strong> vorher schon Kontakt zu ähnl<strong>ich</strong>en Leuten bekommen, hatte also<br />

schon angefangen, ein bisschen die Fühler auszustrecken, um Anschluss zu finden<br />

und m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so abgeschieden zu fühlen. Aber was <strong>ich</strong> da gesehen hatte,<br />

war einfach überwältigend. Ich wusste, es hat also so 'nen Sinn, es gibt anderswo<br />

in der Bundesrepublik noch andere Leute, die in der gle<strong>ich</strong>en R<strong>ich</strong>tung arbeiten,<br />

aber schon viel weiter sind. Deshalb hat es mir überhaupt n<strong>ich</strong>ts ausgemacht,<br />

dass <strong>ich</strong> die Stelle n<strong>ich</strong>t gekriegt habe, sondern einer, der unheiml<strong>ich</strong> toll<br />

über Curricula reden konnte. Für die war <strong>ich</strong> wohl n<strong>ich</strong>t so ganz der r<strong>ich</strong>tige,<br />

bildungspolitisch kompetente Typ. Aber <strong>ich</strong> wusste jetzt die R<strong>ich</strong>tung, in der es<br />

weiterging, und hab m<strong>ich</strong> dann um diese Sachen mehr gekümmert.<br />

Ich fing dann an, theoretische Sachen zu lesen und meinen Unterr<strong>ich</strong>t damit<br />

zu vergle<strong>ich</strong>en. Weit bin <strong>ich</strong> damit immer noch n<strong>ich</strong>t gekommen, weil <strong>ich</strong> auf<br />

m<strong>ich</strong> allein gestellt war. Aber als die nächste Stelle ausgeschrieben wurde, war<br />

<strong>ich</strong> schon ein bisschen besser darauf vorbereitet.<br />

Ich bewarb m<strong>ich</strong> dann wieder und erzählte diesmal in meinem Statement<br />

mehr von meinen Problemen im Unterr<strong>ich</strong>t, die mir immer klarer geworden<br />

sind: So sehr <strong>ich</strong> mir auch Mühe gab, etwas ganz logisch zu erklären - die Schüler<br />

sind immer wieder an ganz bestimmten Punkten verständnislos ausgestiegen.<br />

Und zwar gerade die Schüler, um die es mir vor allen Dingen ging, denen <strong>ich</strong><br />

noch am ehesten zutraute, dass sie aktiv werden. Die braven und bornierten sind<br />

immer unheiml<strong>ich</strong> abgefahren und haben gesagt, "Ist doch immer ganz einfach,<br />

verstehen wir sofort", haben das auswendig gelernt und gute Noten geschrieben.<br />

Aber die anderen, die so halbwegs ein kritisches Nachdenken gewohnt waren,<br />

sind dabei n<strong>ich</strong>t mitgekommen. Ich habe m<strong>ich</strong> dann mehr und mehr gefragt, ob<br />

das eigentl<strong>ich</strong> überhaupt so zu verstehen ist. Aber der Weg zu einer Analyse,<br />

warum das tatsächl<strong>ich</strong> so n<strong>ich</strong>t zu verstehen ist, der war mir durch meine eigene<br />

Sozialisation und meinen Positivismus völlig verstellt. Ich wusste nur, da gibt es

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