Gerda Freise Warum studierte ich Chemie? - Gute UnterrichtsPraxis
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rem Gebiet waren sie immerhin kompetent. Vor diesen unfähigen Leuten im Institut<br />
hatte <strong>ich</strong> keinen Respekt.<br />
Außerdem wurde mir deutl<strong>ich</strong>, wie speziell meine Arbeit, die ganze wissenschaftl<strong>ich</strong>e<br />
Arbeit geworden ist. Das hatte <strong>ich</strong> im Studium n<strong>ich</strong>t gemerkt. In<br />
einem kritischen Moment hab <strong>ich</strong> mir mal klargemacht, dass <strong>ich</strong> von den dreitausend<br />
Seiten, die das Journal of Chemical Physics im Jahr produziert, vielle<strong>ich</strong>t<br />
zehn Prozent mit Verständnis lesen kann, selbst was dazu beitragen könnte<br />
<strong>ich</strong> vielle<strong>ich</strong>t bei einem Prozent der Arbeiten. Und dafür von früh bis spät im<br />
Labor? Das leuchtete mir überhaupt n<strong>ich</strong>t ein. In diesen vier Jahren<br />
Doktoriererei bin <strong>ich</strong> mir zusehends s<strong>ich</strong>erer geworden, dass <strong>ich</strong> im Wissenschaftsbere<strong>ich</strong><br />
n<strong>ich</strong>t mehr weiter arbeiten werde.<br />
Das Doktorexamen lief dann sehr gut, so dass <strong>ich</strong> damit meine vorherigen<br />
Misserfolge doch weitgehend aufarbeiten konnte. Die Prüfung ging <strong>ich</strong> wieder<br />
so an, wie es meinem Arbeitsstil entsprach. Ich stürzte m<strong>ich</strong> auf die Relativitätstheorie,<br />
das wollte <strong>ich</strong> wissen und verstehen. Dazu suchte <strong>ich</strong> mir einen Prüfer<br />
aus, der als verrufen schwer galt, und arbeitete, bis <strong>ich</strong> die Relativitätstheorie<br />
wirkl<strong>ich</strong> von vorn bis hinten, vor- und rückwärts konnte, genau wie damals beim<br />
Vordiplom. das imponierte dem Professor unheiml<strong>ich</strong>, und er jubelte m<strong>ich</strong> auf<br />
Eins, was mir natürl<strong>ich</strong> sehr gut getan hat. Aber weiter dort arbeiten wollte <strong>ich</strong><br />
trotzdem n<strong>ich</strong>t, auch n<strong>ich</strong>t als Assistent. M<strong>ich</strong> über irgendeinen Spezialkram abschuften,<br />
um noch irgend ein letztes Detail rauszuholen, das wollt' <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t, das<br />
war mir zu eng. Ich wollte mehr Spielraum haben, m<strong>ich</strong> mehr verwirkl<strong>ich</strong>en.<br />
Also sagte <strong>ich</strong> mir, schließl<strong>ich</strong> hast du eine Doppelausbildung, versuch' es<br />
mal als Lehrer. Ich empfand das durchaus als Versuch, denn <strong>ich</strong> hätte ja weggekonnt;<br />
mit Diplom und Doktor in der Tasche war <strong>ich</strong> ja n<strong>ich</strong>t auf den Schuldienst<br />
angewiesen. Und die Referendarszeit musste <strong>ich</strong> eh' machen, sonst wäre<br />
mein Examen verfallen.<br />
Inzwischen hatte <strong>ich</strong> angefangen, m<strong>ich</strong> so'n bisschen politisch zu engagieren,<br />
deshalb kam für's Referendariat eine Rückkehr nach Bayern n<strong>ich</strong>t mehr in<br />
Frage. Hessen klang da schon besser, SPD und so, also bewarb <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> in Hessen.<br />
Ich hatte auch immer vermeiden wollen, dass <strong>ich</strong> später in der gle<strong>ich</strong>en Gegend<br />
lebe und arbeite, in der <strong>ich</strong> aufgewachsen bin.