Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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273: Im Unbewussten. Ein Witz, der uns wirklich erreicht, muss das Unbewusste getroffen haben, jenen Quellgrund<br />
verdrängter Wünsche und Ängste, aus dem Gefühle aufsteigen. Die These, dass es im Witz meist um das Verdrängte geht,<br />
mag übertrieben scheinen, weil auch harmlose und alberne Witze recht erheiternd sein können. Doch sollte man bedenken,<br />
wie sehr in unserer Kultur auch Unlogik und Albernheit verachtet und verdrängt sind. Erst der Witz schafft es, sie zur<br />
Geltung zu bringen.<br />
Die These über die Rolle des Unbewussten lautet: Witze - überhaupt das Komische und alle Arten des <strong>Humor</strong>s - sind<br />
deshalb so willkommen, weil sie auf eine ungefährliche Weise das Verdrängte für einen Augenblick befreien und damit<br />
halbwegs bewusst werden lassen.<br />
Aber das ist nur eine vorweggenommene, reichlich abstrakte Erklärung, die ich gleich noch mit der Unterscheidung zwischen<br />
Lustwitzen und Angstwitzen ausführlicher zu geben versuche. Zuvor sei jedoch ein einfühlsames Bild vom Unbewussten und<br />
seiner Rolle beim Witz erwähnt, das Karl Groos 1892, dreizehn Jahre vor Sigmund Freud, erdacht hat.<br />
274: Lust-Witze: Man kann, wie gesagt, die Witze einteilen in Lust- und Angstwitze. Bei den Lustwitzen geht es um das, was<br />
zwar Spaß macht, aber leider verboten ist, sagen wir, es geht um Sexualität und Aggression, also um etwas, was unsere<br />
Erziehung unterdrückt hat und was sich jetzt für einen Moment zeigen darf.<br />
275: Angst-Witze: Die Angstwitze bringen Themen zur Sprache, die viele Witzhörer als existenzielle Bedrohung empfinden:<br />
Grauen und Krankheit, Horror und Ekel, Scheitern und Tod. Und wieso ist das Bedrohliche, das wir im eigenen Interesse<br />
nicht gern ansehen möchten, im Witz plötzlich erwünscht? Wie kann überhaupt ein Mensch dazu gebracht werden, die Angst<br />
hervorzuholen, die er mit gutem Grund verschlossen hat? Um es zunächst ganz kurz zu sagen: Der Witz darf die verdrängte<br />
Angst nur deshalb ins Bewusstsein heben, weil er verspricht, sie dabei «ins Lächerliche zu ziehen». In einer Art<br />
Trainingsprogramm wird also diese Angst in kleiner Dosis erzeugt und - sobald sie erscheint - sofort verscheucht. Mit diesem<br />
Programm schaffen es die Angstwitze, an der Abwehr vorbeizukommen und Unlust am Ende in Lust zu wandeln. So können<br />
wir über unsere eigne Furcht endlich einmal triumphieren.<br />
Und wieso kann das Bedrohliche so schnell aufgelöst und verscheucht werden? Die Antwort ist: Nicht das Verdrängte des<br />
Witzhörers selbst erscheint im Witz. Was der Witz benennt, erinnert den Hörer zwar an seine eigenen Ängste, aber nach dem<br />
ersten Schrecken merkt er, dass er gar nicht betroffen ist. Auf den Schock folgt die Freude: Das ist ja nur eine Gefahr, in der<br />
ein anderer steckt, nicht ich! Das festzustellen, ist an sich schon erleichternd.<br />
276: Angst in Lust verwandeln, das gelingt außer dem Witz noch anderen Beschäftigungen des Menschen. Wer einen<br />
Schauerroman liest, einen Krimi ansieht oder Achterbahn fährt, weiß, wie das geht. Es ist eine alte Erfahrung: Ein kleiner<br />
Schrecken, der überwunden wird, nimmt die große Angst mit hinweg jedenfalls für den Augenblick. Die kleine Dosis wird<br />
wie beim Impfen zu einer Immunisierung verwendet. In der Verhaltenstherapie gibt es verwandte Strategien gegen die Angst.<br />
Über Lust- und Angstwitze Fassen wir zusammen: Bei Lustwitzen hören wir die Stimme der Zensur, die fordert: «Das darf<br />
man nicht aussprechen! » Bei Angstwitzen empfindet man: «Davon will ich nichts hören! » Der Unterschied besteht also vor<br />
allem darin, dass die Zensur im ersten Fall ein anerzogenes Verbot ausspricht, im zweiten Fall die Verdrängung aber einen<br />
Selbstschutz darstellt. Bedingung für die Zulassung von Lustwitzen ist: «Es fällt kein schlimmes Wort.» Und bei den<br />
Angstwitzen das Versprechen: «Es geht gar nicht um deine eigene Angst, nur um die anderer Menschen.» So ausgestattet,<br />
holt der Witz in beiden Fällen das Verdrängte für einen schockierenden Augenblick ins Bewusstsein, um es sofort in das<br />
Reich des Unernstes zu entlassen. Um meine Worte zu wiederholen: Der Witz macht für einen Augenblick das Verbotene<br />
erlaubt und das Gefürchtete erfreulich.<br />
282: Wie sich das Lachen verändert hat: Als eines der wenigen Programme, die in unserem Körper ebenso unwillkürlich wie<br />
offen erkennbar ablaufen, ähnelt das Lachen den anderen: Es ist so ansteckend wie das Gähnen, so befreiend wie das<br />
Niesen, kann uns so packen und hilflos machen wie das Weinen, und es wird ausgelöst durch einen fast so schmerzlich<br />
schönen Gefühlssturm wie der Orgasmus. Viel ist über das Lachen gerätselt worden, aber es hat sein Geheimnis bewahrt.<br />
Gründe des Lachens: Ein Säugling wird gekitzelt und quietscht vor Vergnügen, ja er lacht. Eine frühe Leistung, schon mit<br />
weniger als einem halben Jahr kann das Kleinkind beim Kitzeln quieken. Dieses Lachen gilt bei manchen Forschern, die sich<br />
damit befasst haben, als etwas ganz anderes als das Lachen über Komisches. Beim Kitzeln, sagen sie, lache man aus bloß<br />
körperlich verursachtem Anlass. Aber das scheint mir falsch. Gekitzelt zu werden, verursacht einen Gefühlsrausch, nicht viel<br />
anders als der, in den uns das Komische führen kann. Zu vermuten ist also, dass Lachen immer von einem sehr ähnlichen<br />
Grundmuster ausgelöst wird.<br />
Was nun das Kitzeln betrifft, so ist das Muster klar: Es wechselt verwöhnendes Streicheln mit kleinen Reizungen. Der Kitzel<br />
kann (ähnlich wie jucken) ziemlich unangenehm sein, aber der aggressive Zugriff wird immer wieder zurückgenommen und<br />
geht in handgemachte Liebesbezeugungen über. Dieser Wechsel, der eine Gefühlsmischung verursacht, löst das Lachen aus.<br />
Übrigens kann das Kitzeln nur von einer lieben, vertrauten Person vorgenommen werden (man weiß es), jeder andere Mensch<br />
würde auf den Säugling viel zu bedrohlich wirken. Andererseits ist die Bedrohung auch wichtig, deshalb kann man sich nicht<br />
selbst kitzeln.<br />
Das ist oft so beschrieben worden. Am besten wohl hat Arthur Koestler das Kitzeln gedeutet, der es einen Scheinangriff<br />
nennt, «eine Liebkosung in leicht aggressivem Gewand». Die Mutter könne das bei ihrem Kind am besten. Die Spielregel für<br />
das Kind dabei laute: «Mach mir nur ein klein wenig Angst, damit ich es genieße, keine Angst mehr zu haben!» Diesen<br />
letzten Satz halte ich für sehr tiefschürfend.<br />
Ist das Kleinkind schon etwas älter, spielt die Mutter mit ihm «Kuck-kuck-da!» Dazu verbirgt sie sich vor ihm, etwa unter<br />
dem Rand seines Bettchens, und ruft besagtes «Kuck-kuck», um dann mit ihrem Kopf plötzlich aufzutauchen und «da!» zu<br />
rufen. Wohl dosiert und gut abgestimmt auf die ständig wechselnden Gefühle des Kindes, kann das Spiel ein<br />
quietschvergnügtes Lachen hervorrufen. Auch hier ist der Grund für das Vergnügen leicht erkennbar. Das Rufen aus dem<br />
Verborgenen weckt Ängste, das plötzliche Auftauchen des Kopfes kann sogar erschreckend wirken. Dann aber erkennt das<br />
Kind das Gesicht der vertrauten Mutter und juchzt vor Erleichterung. Wieder haben wir den Wechsel der Gefühle, die unvereinbare<br />
Mischung der Empfindungen - und sie löst Lachen aus.<br />
Das Atmen hilft: Manchmal überfällt es uns, dann schüttelt uns das Lachen, da sitzen wir dann glucksend, keuchend,<br />
vielleicht auch nur mit einem Kichern oder doch mit brüllendem Gelächter, mit Tränen in den Augen, die wir uns<br />
wegwischen. Wenn man in der richtigen Stimmung ist, kann selbst ein harmloser Anlass ausreichen.<br />
286: Nervenbewegung strebt immer dazu, eine Muskelbewegung erzeugen.<br />
<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 10/68