Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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Schwarzer <strong>Humor</strong><br />
Thomas Köster (Encarta), von André Breton mit seiner Anthologie de l’<strong>Humor</strong> Noir (1937; Anthologie des schwarzen<br />
<strong>Humor</strong>s) in den Literaturdiskurs eingebrachter Begriff, der das mitunter zynische oder sarkastische, immer aber von<br />
moralischen Skrupeln freie, intellektuelle Scherzen über – der Konvention nach – Grauenhaftes und Schreckliches<br />
bezeichnet. Dabei stehen häufig soziale Tabuthemen wie Tod, Verbrechen, Grausamkeit oder Behinderung im Zentrum des<br />
Interesses. Mit der Groteske hat schwarzer <strong>Humor</strong> den Hang zur Verfremdung und Übertreibung gemein. Durch die ihm<br />
zugrunde liegende moralische Indifferenz – und durch den oftmals fehlenden Zeitbezug – ist er von der nach<br />
Weltverbesserung strebenden Satire unterschieden. Im Gegensatz zur Ironie zielt schwarzer <strong>Humor</strong> nicht durch<br />
uneigentliches Sprechen auf eine vom Leser zu entschlüsselnde Botschaft (das „eigentlich Gemeinte”), sondern konstatiert<br />
lediglich die von ihm beschriebene Situation ohne weiter reichende Implikationen. Allgemein liegt schwarzem <strong>Humor</strong> das<br />
Vermögen zugrunde, eine von gesellschaftlicher Normierung abweichende Perspektive einzunehmen. Eine stark<br />
situationsgebundene Sonderform des schwarzen <strong>Humor</strong>s ist der so genannte Galgenhumor, der das heitere Sichabfinden mit<br />
einer unausweichlichen oder gar tödlichen Situation – etwa den witzigen Einwurf des Delinquenten auf dem Weg zum<br />
Schafott – beschreibt. Von Sigmund Freud als „gröbster Fall des <strong>Humor</strong>s” verunglimpft, zitiert Breton gerade den<br />
Galgenhumor als Beweis sublimer Wesensart.<br />
Auch ursprünglich satirisch gemeinte Werke wie Voltaires Candide oder Johann Carl Wezels Belphegor können aus<br />
heutiger Sicht, ihrer Zeitkritik enthoben, als Zeugnisse schwarzen <strong>Humor</strong>s gelesen werden. Als erster Beitrag gilt Jonathan<br />
Swifts Ein bescheidener Vorschlag, wie man die Kinder der Armen daran hindern kann, ihren Eltern oder dem Lande zur<br />
Last zu fallen, der auf der Idee basiert, die Ernährungsprobleme der Armen durch gezielten Kannibalismus zu lösen. Vor<br />
allem die Literatur der Romantik festigte mit ihrer Entdeckung menschlicher Nachtseiten die Tradition. Wichtige Vertreter<br />
der Richtung waren u. a. François Rabelais, Edgar Allan Poe, Christian Dietrich Grabbe, Ambrose Bierce, Saki, Alfred Jarry<br />
und Roald Dahl. In der bildenden Kunst traten etwa Edward Gorey, Gary Larson und der belgische Zeichner Kamagurka, in<br />
der Musik Georg Kreisler und Ludwig Hirsch als schwarzhumorig hervor. Demgegenüber stellen die Bildergeschichten<br />
Wilhelm Buschs allenfalls einen Grenzfall dar, weil sie das Schreckliche (die Tabuverletzung) nur mehr als Medium zur<br />
Übermittlung einer Moral und einer Kritik an menschlichem Fehlverhalten funktionalisieren.<br />
Witz<br />
Cornelia Fischer (Encarta): im modernen Sprachgebrauch ein scherzhafter Einfall in sprachlich prägnanter Form. Bis in<br />
die Zeit Johann Wolfgang von Goethes wurde der Begriff synonym mit Verstand, Klugheit und Geist (französisch esprit)<br />
gebraucht. Wirkungsziel des zu den so genannten einfachen Textformen zählenden Witzes sind Überraschung und Lachen.<br />
Erzielt wird dieses Ergebnis auf der Grundlage einer von der Erzählung gelenkten Erwartungshaltung, die von der – einen<br />
unvermuteten semantischen Richtungswechsel vollziehenden – Pointe plötzlich durchbrochen wird. Das feste Schema, das<br />
sich aus hintergründiger Konstruktion und präzis formulierter Pointe ergibt, ist Voraussetzung für die Eignung des Witzes<br />
zum Weitererzählen. Jeder gelungene Witz durchkreuzt die Grenzlinien des gewohnten Denkens, ist also ein Angriff auf<br />
bestehende Ordnungen (siehe auch schwarzer <strong>Humor</strong>). Er kann so zum sprachlichen Ventil von Regungen werden, die sozial,<br />
sprachlich, ethisch etc. tabuisiert sind: Die Zote zielt auf die Aufhebung moralischer Befangenheit, der politische Witz auf<br />
die Desavouierung staatlicher Autorität, der pointenlose absurde oder surrealistische Witz auf die Irreführung der Logik.<br />
Standardisierte Situationen (running gags) und Typisierungen (<strong>Prof</strong>essorenwitz, Schottenwitz, Irrenwitz etc.) sind<br />
charakteristische Merkmale. Inhaltlich verwandt mit dem Witz sind Anekdote und Epigramm; durch die rationale Schärfe<br />
und seine oft satirische Tendenz unterscheidet er sich vom gefühlsbetonten <strong>Humor</strong>.<br />
Commedia dell’arte<br />
(Encarta) auch Commedia improvvisa, französisch Comédie à l’impromptu, Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien<br />
entstandenes Stegreiftheater, bei dem professionelle Schauspieler auf Wanderbühnen Handlungsabläufe und Szenenfolgen<br />
darstellten, die, durch Anweisungen als scenario lediglich grob skizziert, aus der jeweiligen Situation weiterentwickelt<br />
werden mussten. Dabei konnte ein bestimmtes Repertoire an Monologen und Dialogen immer wieder abgerufen – und<br />
variiert – werden. Die Commedia dell’arte entstand vermutlich in Norditalien, wo im Rahmen von Akrobaten-, Tanz- und<br />
Gesangsdarbietungen dialektal eingefärbte Farcen zur Aufführung kamen. Sie hatte entscheidenden Einfluss auf die<br />
Entwicklung des europäischen Theaters und wurde in Frankreich unter dem Namen Comédie italienne bekannt. Innerhalb<br />
eines fest vorgegebenen Rahmengeschehens entwickelten einzelne Schauspieler aus dem Stegreif komische Slapstickszenen.<br />
Bei diesen so genannten Iazzi kam auch die Narrenpritsche zum Einsatz, mit der die Schauspieler zur Erheiterung des<br />
Publikums aufeinander einschlugen. Seit 1947 versucht das Mailänder Piccolo Teatro (siehe Girgio Strehler) erfolgreich, die<br />
Commedia dell’arte neu zu beleben.<br />
Das Ensemble der Commedia dell’arte bestand für gewöhnlich aus sechs bis zwölf Schauspielern. Ihr Figurenrepertoire<br />
war streng festgelegt. Dabei zentrierte sich das Geschehen um ein junges Liebespaar (innamorati oder amorosi, oftmals<br />
Isabella und Florindo genannt), das als einzige Figurengruppe keine Masken trug. Demgegenüber war das Gesicht des<br />
Arlecchino (siehe auch Harlekin) – des clownesken, immer aber auch gierigen Dieners – mit einer schwarzen Maske<br />
verdeckt. Außerdem trug der Arlecchino einen Flickenanzug. Sein Charakter war durch Bauernschläue und anarchischen<br />
Witz geprägt. Der leichtgläubige Händlertypus Pantalone wiederum versuchte, trotz seines hohen Alters für Frauen attraktiv<br />
zu sein: Seine enge, türkische Kleidung indes wirkte lächerlich. Als Parodie auf alle Wissenschaftler skandierte Pantalones<br />
Freund, der aus Bologna stammende Pedant Dottore (Doktor), sinnlose Phrasen in Latein und verschrieb (oftmals<br />
gefährliche) Arzneien für die eingebildeten Krankheiten der anderen Charaktere. Der Capitano (Kapitän) hingegen rühmte<br />
sich seiner Siege in der Liebe und auf dem Schlachtfeld, entpuppte sich im Verlauf der Handlung aber als geistloser Feigling<br />
und Lügner. Dem grausamen Pulcinella stand die Dienerin Columbina entgegen, die durch Witz und Menschlichkeit<br />
gekennzeichnet war. Ein weiterer tollpatschig-naiver Diener war Pedrolino (Pierrot). Auch die Brighella aus Bergamo und<br />
der bäuerliche Truffaldino gehörten zum Personal.<br />
In Frankreich beeinflusste die Tradition der Commedia dell’arte u. a. die Arbeit Molières und die Stücke von Pierre<br />
Carlet de Chamblain de Marivaux. Die Theaterreform von Carlo Goldoni im 18. Jahrhundert läutete in Italien das Ende des<br />
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