Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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und beraubt ihn in gewissem Maße seiner emotionalen Macht, seines Privilegs und seines Schutzes in der in-group. Nur<br />
insoweit wir uns in unserer Vorstellung in etwas versetzen, das den ursprünglichen Umständen ähnlich ist, und uns unserer<br />
gemeinsamen Humanität entsinnen, können wir die meisten jener alten Schwänke schätzen. (Freilich habe ich die Erfahrung<br />
gemacht, dass ich die Kraftlosigkeit von einer dieser ollen Kamellen dadurch demonstrieren wollte, dass ich sie einer Gruppe<br />
vortrug - und mich dann ebenso lachen sah wie meine Hörerschaft). Der einsame Lesende kann sich in seiner Vorstellung in<br />
die Gruppe versetzen, kann aber auch die Rolle des Außenseiters bekommen, womit der Schwank beleidigend wirken kann,<br />
wo ursprünglich kein persönlicher Angriff beabsichtigt war.<br />
Das Fehlen der sozialen Gruppe und der gemeinschaftlichen Fröhlichkeit, die "Kälte" des <strong>Dr</strong>uckbilds, erlauben eine<br />
kulturelle Analyse und Geschichte. Es besteht jedoch kein Grund, die Analyse und die Geschichte amüsant zu finden,<br />
wenngleich es Ironie und Paradoxa im Überfluss gibt. Mit diesen Vorbemerkungen im Kopf können wir uns der Geschichte<br />
der Gattung selbst zuwenden, wobei wir zunächst die kulturellen Umstände betonen: die Schichten und Situationen der<br />
beteiligten Männer und Frauen.<br />
Natürlich gab es Schwänke bereits in der Antike und im Mittelalter, von denen einige viele Jahrhunderte lang überlebten,<br />
doch als das erste eigentliche Schwankbuch sieht man üblicherweise die Facetiae an, eine Sammlung von Schwänken, die<br />
von dem großen Humanisten Poggio Bracciolini (1380 - 1459) angelegt wurde. Es ist eine Serie von recht geschmacklosen,<br />
teils antiken Anekdoten; entstanden ist sie angeblich aus dem Klatsch und Tratsch der päpstlichen Sekretäre in Rom während<br />
dem, was im 15. Jahrhundert unseren Kaffeepausen entsprach. Um 1450 in lateinischer Sprache geschrieben - die gelehrte<br />
Sprache zeigt an, in weich gebildeter und gesellschaftlich kohäsiver Gruppe sie entstanden -, hatten die Facetiae in Europa<br />
einen weiten Umlauf und wurden im Jahre 1477 im <strong>Dr</strong>uck herausgebracht.<br />
S. 90. komische Erzählung einige Ausführungen mehr.<br />
S. 92: Alte Geschichten mögen dies wirklich gewesen sein. Die Schwänke blieben manchmal über Jahrhunderte, ja vielleicht<br />
Jahrtausende erhalten, und dies unter verschiedenen Kulturen, üblicherweise in Prosa und allenfalls unter Abänderung<br />
oberflächlicher Umstände des Erzählten.<br />
Herman Roodenburg: Um angenehm unter den Menschen zu verkehren"<br />
Die Etikette und die Kunst des Scherzens im Holland des 17.Jahrhunderts<br />
Abschnitte: Witze und der Historiker, Witze im <strong>Dr</strong>uck, Witze im Manuskript, usw.<br />
Antoine de Baecque: Parlamentarische Heiterkeit in der französischen<br />
verfassungsgebenden Versammlung (1789-1791)<br />
Mary Lee Townsend: <strong>Humor</strong> und Öffentlichkeit im Deutschland des 19.<br />
Jahrhunderts<br />
Henk <strong>Dr</strong>iessen: <strong>Humor</strong>, Lachen und die Feldforschung:<br />
Betrachtungen aus dem Blickwinkel der Ethnologie<br />
S. 169: Scherzen im ethnologischen Sinne ist ein Diskurs von Mensch zu Mensch, eine darstellende Gattung, zu der<br />
Schauspiele, Geschichten, Volkserzählungen, Ritualsformen und -clownerien sowie gewöhnliche Konversation gehören.<br />
Witze werden von Darstellern auf einer kulturellen Bühne einem Publikum vorgeführt.<br />
S. 170: Der Aufsatz "Die gesellschaftliche Kontrolle der Kognition: Einige Faktoren der Witzwahrnehmung" von Mary<br />
Douglas war, wie ich meine, der klügste Essay über den <strong>Humor</strong>, den die Ethnologie bis in die frühen 80er Jahre unseres<br />
Jahrhunderts hervorgebracht hat. Indem Douglas die Thesen von Bergson mit denen von Freud verbindet, sieht sie das Wesen<br />
des <strong>Humor</strong>s in seinem Angriff auf die Kontrolle: "Etwas Formales wird von etwas Informellem attackiert, etwas<br />
Organisiertes und Kontrolliertes von etwas Lebendigem, Energetischen - einem Aufquellen von Leben für Bergson, von<br />
Libido für Freud." Anders gesagt ist ein Witz ein Spiel mit der Form.' Douglas fährt fort: "Dies setzt disparate Elemente auf<br />
solch eine Weise zueinander in Beziehung, dass ein akzeptiertes Muster durch die Erscheinung eines anderen in Frage<br />
gestellt wird, das auf irgendeine Weise im ersten verborgen war." Douglas unterscheidet dann standardisierte Witze, die in<br />
einen konventionellen Kontext gesetzt werden, von spontanen Witzen. Das Muster des Witzes lässt sich dabei leicht<br />
innerhalb des mündlichen Formulars der Standard-Witze und der Wortspiele identifizieren. Der spontane Witz hingegen<br />
organisiert in seinem Muster die ganze Situation. Douglas schlägt schließlich vor, dass die Leistung eines Übereinstimmens<br />
zwischen verschiedenen Erfahrungsbereichen Quelle einer tiefen Befriedigung für die Beteiligten ist.<br />
In den späten 70er und frühen 80er Jahren unseres Jahrhunderts interessierten sich die Ethnologen zunehmend für den<br />
<strong>Humor</strong>, und zwar dank der Wirkung der symbolischen Analyse und einer "literarischen Wende“ Eine kleinere Erhebung<br />
gegen das positivistische Paradigma schuf Platz für neue Forschungsthemen und neue Modi des ethnographischen Schreiben<br />
Die erste umfassende und aktuelle Studie des Komischen in der Ethnologie erschien im Jahre 1985. Dies ist ein<br />
konventionelles, aber nützliches Buch mit einer komparatistischen und ganzheitlichen Perspektive. Sein Verfasser, Mathadev<br />
Apte, deckt ungefähr 800 aufgelistete Quellen zu folgenden Themen ab und erörtert sie: Scherzbeziehungen, sexuelle<br />
Ungleichheit im <strong>Humor</strong>, <strong>Humor</strong> von Kindern, ethnischer <strong>Humor</strong>, <strong>Humor</strong> in Sprache und Religion, der Schelm in der Folklore<br />
sowie biosoziale und Evolutionsaspekte des Lachens und des Lächelns. Angesichts des gegenwärtigen Forschungsstands<br />
verwirft Apte die Möglichkeit einer allgemeinen <strong>Humor</strong>theorie und konzentriert sich statt dessen auf einen "Mittelgrund" in<br />
Gestalt theoretischer Aussagen zu jedem dieser Themen. Dieser Ansatz hat einige Nachteile, da er sich nicht mit den<br />
symbolischen Aspekten des <strong>Humor</strong>s befasst und auch die Obszönität ausschließt.<br />
Lachen, ohne zu scherzen<br />
Während der ersten Kontakte eines Ethnologen mit seiner gastgebenden Gemeinschaft scheint es viel Lachen ohne Scherzen<br />
zu geben, um eine Situation zu entkrampfen, die für beide Seiten unangenehm, unbequem und verwirrend sein kann. Beide<br />
Parteien empfinden Lachen als gemeinsamen Grund für die Kommunikation und eine Befreiung der Spannung, die der<br />
Situation innewohnt. Lachen macht das Unerträgliche erträglich.<br />
<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 52/68