Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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alle, wie ein Scherz plötzlich eine gespannte Atmosphäre entspannen kann. In einem weiteren Zusammenhang können der<br />
Karneval und vergleichbare Festlichkeiten die starren gesellschaftlichen Regeln, denen wir alle unterworfen sind,<br />
vorübergehend aufweichen, wenn auch oft eher mit gewöhnlichem als mit gehobenem <strong>Humor</strong>. Angesichts dieser<br />
Mannigfaltigkeit ist es nicht überraschend, dass Jacques le Goff in seinem Beitrag zu diesem Buch bemerkt, dass es bis jetzt<br />
unmöglich war, in den verschiedenen Worten, Konzepten und Praktiken des Lachens eine Kohärenz festzustellen.<br />
Freilich haben Gelehrte immer wieder versucht, eine solche Kohärenz zu finden. Von Freud und Bergson bis zu Mary<br />
Douglas haben Psychologen, Philosophen, Soziologen und Anthropologen sich darum bemüht, eine allumfassende Theorie<br />
des <strong>Humor</strong>s und des Lachens zu finden.“ Ein Fehler, der all diesen Versuchen gemein ist, bleibt die unausgesprochene<br />
Voraussetzung, dass es so etwas wie eine „Ontologie des <strong>Humor</strong>s“ gibt, dass also <strong>Humor</strong> und Lachen transkulturell und<br />
ahistorisch sind. Doch ist das Lachen genauso ein Kulturphänomen wie der <strong>Humor</strong>. Wie Henk <strong>Dr</strong>iessen im letzten Kapitel<br />
dieses Buches feststellt, dokumentieren die Erfahrungen aus der Feldforschung den Reichtum des komischen Ausdrucks auf<br />
der ganzen Welt: Manche Stämme lachen leicht, wohingegen von anderen gesagt werden kann, dass sie eher verdrießlich und<br />
trübselig seien. Ähnliche Schwankungen lassen sich in der Geschichte Europas erkennen: Die frühen Angelsachsen fanden es<br />
normal, sich vor Lachen über den Fußboden zu kugeln, während der heutige Mensch seinen Sinn für <strong>Humor</strong> oft eher mit<br />
einem zivilisierten Kichern ausdrückt.<br />
Bis jetzt hat sieh die Aufmerksamkeit der Gelehrten üblicherweise auf literarische Werke oder Geschichten aus dem Volk<br />
konzentriert. Typische Beispiele hierfür sind Untersuchungen zum <strong>Humor</strong> bei Shakespeare oder zu den Schwankbüchern der<br />
frühen Neuzeit. Die interessanteren dieser Studien versuchen, die Inhalte der humoristischen Texte mit besonderen<br />
literarischen Traditionen oder mit einem bestimmten Typ oder Motiv in Verbindung zu bringen, wie man es in den<br />
Motivregistern finden kann, die von den Ethnologen oder Literarhistorikern angefertigt worden sind. Leider haben diese<br />
Studien solche Texte nur selten einer Gruppe oder Kultur zugeordnet, in der sie im Umlauf gewesen sein müssen. Die<br />
Verfasser dieses Bands zielen auf einen weiter gefassten Begriff. Auf verschiedene Weise interessieren sie sich für den<br />
<strong>Humor</strong> als einen Schlüssel zu bestimmten Kulturen (etwa der Italiens in der Renaissance oder zu der Deutschlands im<br />
19.Jahrhundert), Religionen (wie dem frühen oder dem nachreformatorischen Christentum) und Berufsgruppen (wie dem<br />
Lachen von Politikern, das hier Antoine de Baecque untersucht). Diese Vielfalt impliziert, dass sich die an diesem Band<br />
Beteiligten auf eine viel breitere Quellenbasis stützen, als sonst meist berücksichtigt wird. Philosophen und Redner,<br />
Kirchenväter und Verhaltenshandbücher, Streiche und Schwankbücher, Parlamentsaufzeichnungen und Tagebücher, Bilder<br />
und Anekdotensammlungen - die Beiträge in diesem Band eröffnen neue Blickrichtungen auf die Kulturgeschichte, indem sie<br />
ungewöhnliche oder selten genutzte Quellen heranziehen. Freilich ist nicht einmal hier jede nur mögliche Quelle ausgewertet<br />
worden: Liebhaber von Beethovens Diabelli-Variationen, Ives' Lieder oder Ligetis Aventures et Nouvelles Aventures<br />
werden sogleich bemerken, dass jeder Hinweis auf den <strong>Humor</strong> in der Musik fehlt (H.V. warum ist nicht einmal Mozart z.b.<br />
Dorfmusikanten-Sextett, Hindemith Militärmarsch, Minimax oder Gerald Hoffnung erwähnt??). Wer gebaute Kuriositäten<br />
wie den riesigen Pfefferstreuer im Dubliner Power Court schätzt, wird sich über das Fehlen der Architektur in unserem Buch<br />
wundern, und was die Untersuchung satirischer Zeitschriften angeht, so kann die hier vorgelegte Studie von Mary Lee<br />
Townsend sicher nur auf die Spitze des Eisbergs hinweisen. Die bloße Erwähnung der englischen Magazine Punch, Private<br />
Eye, des amerikanischen National Lampoon oder der deutschen Eulenspiegel oder Titanie legt jedenfalls die Vermutung<br />
nahe, dass die <strong>Dr</strong>uckerpresse weit mehr Felder eröffnet hat, als es den meisten Historikern recht ist.<br />
<strong>Humor</strong> wurde erstmals im Altertum systematisch untersucht. Leider ist es nicht möglich, den antiken <strong>Humor</strong>theorien in<br />
zufriedenstellender Weise nachzugehen, da das zweite der Poetik des Aristoteles, das sich auf die Komödie bezieht,<br />
unwiederbringlich verloren ist (was Umberto Eco für seinen Roman Der Name der Rose brilliant genutzt hat); ebenso fehlen<br />
uns von Aristoteles' Schüler Theophrast die Werke über die Komödie und über das Lächerliche (Frg. 709-710). Zitate und<br />
Bruchstücke dieser und anderer Werke aus der Schule des Aristoteles, dem Peripatos, zeigen, dass Cicero diese Tradition für<br />
seine Erörterung des <strong>Humor</strong>s in De oratore (2, 216 - 290) nutzen konnte, wenn auch nur indirekt und von römischen<br />
Vorstellungen umgeformt. Ihm verdanken wir die erste erhaltene systematische Analyse, und auch die nächstfolgende<br />
Erörterung, die ein Jahrhundert später Quintilian vorgelegt hat, ist ihm sehr verpflichtet.<br />
Cieero ist auch eine wichtige Quelle für das römische Vokabular des <strong>Humor</strong>s. Obwohl die Römer ihre verschiedenen<br />
Begriffe ohne viel Beständigkeit benutzten, kann man etwas differenzieren. So werden etwa facetiae, "Schlagfertigkeiten"<br />
oder "Witze", üblicherweise der gravitas, "Ernsthaftigkeit, Würde" gegenübergestellt (2, 262 und 3, 30), wohingegen das<br />
weniger elegante Wort iocus, das Quintilian (6, 3, 21) dem Begriff serium entgegensetzt, eher "Spaß", aber auch "Neckerei"<br />
bedeutet. Cieero unterscheidet auch zwischen dem inhaltlichen Witz, etwa dem Erzählen von Anekdoten oder unterhaltsamen<br />
Geschichten, und dem formalen Witz, der sich in humorvollen Bemerkungen und Wortspielen äußert (2, 239-247). Guter<br />
<strong>Humor</strong> kennt seine Grenzen und vermeidet unter allen Umständen die Nachahmung und die Gestik von Schauspielern und<br />
Spaßmachern (2, 244 und 247). Wie Fritz Graf zeigt, erörterte Cieero den <strong>Humor</strong> für eine Leserschaft aus den oberen<br />
Schichten; dieser <strong>Humor</strong> hatte das Publikum zu amüsieren, ohne seine Würde zu verlieren.<br />
Es ist wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass Ciceros Abhandlung in der Renaissance und der frühen Neuzeit sehr lebendig<br />
war. Castiglione etwa unterschied 1528 in seinem Libro del Cortegiano zwischen inhaltlichem und formalen Witz......<br />
weitere 6 Seiten folgen ...<br />
Jan Bremmer: Witze, Spaßmacher und Witzbücher in der antiken griechischen<br />
Kultur<br />
S. 18: Mit dieser spannenden Szene eröffnet Xenophon (um 430 - 350 v. Chr.) sein Symposion, das er nach 380 v. Chr.<br />
schrieb, um - nur wenige Jahre nach dem hervorragend stimmungsvollen Symposion Platons - sein eigenes Bild des verehrten<br />
Meisters Sokrates zu bieten. Nachdem Xenophon so die Bühne bereitet hat, wendet er einen wohlbekannten literarischen<br />
„Trick“ an, indem er einen Unbekannten vorstellt. Nach einem plötzlichen Klopfen an der Tür kündigte der Pförtner die<br />
Ankunft des gelotopoios (wörtlich: „Lachen-Machers“) Philippos an. Nachdem man ihn eingelassen hatte, blieb er auf der<br />
Schwelle stehen und stellte fest: „Dass ich ein Spaßmacher bin, wisst ihr alle. Ich wollte einfach 'mal hereinkommen, weil ich<br />
mir dachte, es sei lustiger, ungeladen als eingeladen zum Essen zu kommen.“ Darauf erwiderte der Gastgeber: „Leg dich nur<br />
nieder, denn die Leute hier sind, wie du siehst, ganz mit Ernst erfüllt und könnten wohl eher etwas Lachen vertragen.“ Gleich<br />
<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 46/68