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Humor - Prof. Dr. Horst Völz

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201: Ostfriesen-Witz in den 70er Jahren. Sie entstanden in einem Gymnasium in Westerstede (Städtchen im Ammerland<br />

zwischen Oldenburg und Ostfriesland. Der Primaner Borwin Bandelow redigierte 1970 die Schülerzeitung „Trompeter“. In<br />

der Spalte „Aus Forschung und Lehre“ gab es eine Spalte „Homo ostfrisiensis“.<br />

204: Horaz in seinen Satiren: Lieber einen Freund verlieren als einen guten Witz.<br />

Witzbolde sind von Hause aus feindselig. Häufig zeigen sie eine geschickte, durchtriebene, hochentwickelte, intelligente<br />

Niedertracht.<br />

205: Witz-Erzähler hat eine fertige Witz-Konserve, die er öffnet und taufrisch serviert. (Möchte die Aufmerksamkeit auf sich<br />

lenken, wie lustig bin ich doch, möchte unterhalten, dass die Stimmung fröhlich wird H.V.)<br />

206: Witz kann einfach aus Freude an Beweglichkeit und Indirektheit, am Spiel von Hemmung und Lösung kommen<br />

Der Erzähler selbst lacht nicht.<br />

Das Witz-Machen ist weniger ein Symptom einer Krankheit als der Versuch ihrer Therapie.<br />

207: Es gibt auch skeptische Witze.<br />

208: Freud: die Lust des Witzes stammt aus erspartem Hemmungsaufwand. Gleichgewicht als Gegendruck zum <strong>Dr</strong>uck.<br />

Witz kennzeichnet die Eleganz, mit der die hemmenden Zensur, die durchaus weiter tätig ist, dennoch umgangen wird.<br />

209: Die Lust bei jedem Witz besteht darin, dass man den Trieb zulassen und zugleich Abstand wahren kann.<br />

211: Es mag deutlich geworden sein, wie weitgehend Freud mit seiner Theorie vom Witz recht hat. Man muss eigentlich nur<br />

den Ausdruck „Lust aus Ersparnis“ zur Seite rücken und eher von Befreiung und Konfliktlösung sprechen<br />

219: Widerspruch: Alles wovon Witze handeln, macht Spaß und ist verboten. neben Sex noch lustiger Unsinn, von Hass und<br />

Grausamkeit, von Schadenfreude, Wunsch nach Überlegenheit.<br />

220: Unterschied von natürlicher Angst vor Tod und Verderben und der durch Erziehung erworbenen Angst.<br />

geistreicher Witz bedeutet: Der Erzähler vermeidet alle tabuisierten Ausdrücke und anschaulichen Beschreibungen.<br />

221: Was verboten ist, das macht uns gerade scharf. Das ist das Geheimnis der Rückkopplung zwischen Lust und Unlust.<br />

Eine wohldosierte alte Angst vor Strafe verschärft die sexuelle Begierde. Und so kommen wir zu einem fast paradoxen<br />

Schluss: Ohne Erziehung zum Tabu, die wir leider haben über uns ergehen lassen müssen, hätten wir heute kaum etwas zu<br />

lachen. Wo alles erlaubt ist, ist nichts mehr komisch (Anything goes H.V.)<br />

223: Die andere große Quelle des Lachens im Kindesalter ist das Kitzeln, zugleich erschreckend und erwünscht.<br />

224: man kann sich selbst nicht kitzeln. Es versteht sogar nicht jeder die Kunst des Kitzelns. Es freundlich spielerisch<br />

gemacht werden, damit die Folge von nicht Schock, Angst oder Ärger (H.V. Schmerz) ist.<br />

Es ist eine Liebkosung in leicht aggressivem Gewand. Die Mutter kann ihr Kind am besten Kitzeln.<br />

228: Lust an der Angst (H.V. Extrem-Sport, -Reisen) Es ist eben so entlastend, wenn man eine Lage aktiv herbeiführte, von<br />

der man, würde man sie passiv erdulden müssen, Überwältigt werden würde. Daher die Lust am Schauerroman.<br />

229: Achterbahn und Schaukeln. Man könne dabei etwa von Trauma abreagieren und bekomme das Gefühl, fähig zu sein,<br />

mit einigen Ängsten fertig zu werden. Eine Art selbstverordnetes Trainingsprogramm. Die geringe Dosierung soll, wie bei<br />

einer Impfung, gegen die große Krankheit immun machen.<br />

Der Witz ist deshalb die wirksame und gesuchte Form, Angst in Lust zu verwandeln, weil die Angst, die er benennt und<br />

hervorruft, nicht ernst genommen zu werden braucht. Diese Angst ist überhaupt unwirklich und stellt sich als bloßer<br />

Schreckschuss heraus.<br />

231: der „sick humor“, der kranke, der perverse <strong>Humor</strong>, die Gräuel-Witze, sie kamen in den 50er Jahren auf. Niemand weiß<br />

wieso. Weil damals Angst vor dem Atomkrieg zu leidenschaftlichen Protesten führte, lag es nahe, die grausigen Witze als<br />

Echo auf den Overkill zu deuten.<br />

232: Man kann diese Gruselwitze damit erklären, dass jede Generation gezwungen ist, mit neuen Witzen neue Tabu-<br />

Grenzen zu verletzen, weil die alten Witze harmlos werden (H.V. Schneller Verbrauch der künstlerischen Zeichen, gilt das<br />

auch hier und wer hat davon überhaupt gesprochen ich glaube Moles Ästhetik.<br />

234: 1977 wurden die Judenwitze in westdeutschen Schulen mit wiederbelebt. Sie trieben grausigen Scherz mit dem Tod im<br />

KZ, indem sie fragten, wozu Juden gut seien.<br />

238: Die literarische Spukgeschichte gibt es seit 1764, da hat sie der englische Landedelmann Sir Horace Walpole erfunden.<br />

Sie hat sich seitdem gehalten, denn hier genießt man seine eigene ängstliche Beklemmung. Da haben wir also genau die<br />

paradoxe Verbindung von Angst und Lust, die uns schon früher für den Witz typisch zu sein schien. Und ich füge hinzu:<br />

Nicht nur die Geistergeschichte und der Angst-Witz, auch Achterbahn und Fernsehkrimi und sehr viele andere<br />

Vergnügungen wandeln Angst in Lust. Charakteristisch für den Angstwitz ist dabei vor allem, dass diese Wandlung bei ihm<br />

so schnell geht. Die Pointe, die den Schrecken auslöst, ist an sich schon sehr kurz; noch kürzer ist die Schrecksekunde des<br />

Hörers, die vergeht, bis er sich wieder fängt und seinen Triumph hat. Und noch etwas hebt den Witz aus den anderen Medien<br />

der Angstlust heraus: Er provoziert das heilsame Lachen.<br />

Im Deutschen heißt es, man wolle «sich ausschütten vor Lachen». Ich glaube, das ist eine sehr gute Beobachtung, denn<br />

Lachen ist Ausatmen. Darin erinnert es an das Stöhnen, das so erleichternd wirkt und bei dem man auch einen inneren<br />

<strong>Dr</strong>uck wegatmet. Das Seufzen hingegen ist ein Ringen um Luft. Vom Ein- und Ausatmen schrieb schon Goethe: «Jenes<br />

bedrängt, dieses erfrischt, so wunderbar ist das Leben gemischt.»<br />

Die alten traumatischen Erinnerungen, die der Witz in uns weckt, kann man als Introjekte bezeichnen. Die Pointe des Witzes<br />

befreit, schüttelt böse und bedrohliche Introjekte ab und atmet sie in Form von Gelächter aus. Das ist es, was wir meinen,<br />

wenn wir sagen: Lachen befreit.<br />

Vom Lachen sagte der Anthropologe Helmuth Plessner, es sei eine Reaktion auf eine Lage, «auf die es keine andere Antwort<br />

gibt». Lachen sei eine Reaktion, «die zugleich Selbstbehauptung und Selbstpreisgabe verrät», wobei ich hinzufügen möchte,<br />

dass die Selbstbehauptung doch den Schluss bildet und das letzte Wort behält.<br />

242: Zynismus kann zum Lieblingswitz werden. Dem Zynismus ist nichts mehr heilig; wobei es auf das Gleiche hinausläuft,<br />

ob die zynische Bemerkung aus kaltem Herzen kommt oder nur dazu dienen soll, die Tränen zu verscheuchen, wie Grotiahn<br />

das bei Reportern und Krankenwagenfahrern beobachtet hat. Das kann einem die Sprache verschlagen. Diese Rohheit trifft<br />

den Hörer. Ein Quäntchen Zynismus aber steckt wohl in jedem Witz, sofern jeder Witz etwas, was sakrosankt ist, nicht ernst<br />

nimmt. «Ohne Zynismus kann es im Komischen gar nicht abgehen», meint Friedrich Theodor Vischer, «alle <strong>Humor</strong>isten sind<br />

nach einer Seite Zyniker gewesen». Sich an Tabus vergreifen, Gefühle nicht respektieren, seinen Mitmenschen die Achtung<br />

<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 7/68

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