Humor - Prof. Dr. Horst Völz
Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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versagen, das ist es, was der Witzbold tut. Manchmal wird der Held des Witzes jedoch den Zynismus halb unschuldig<br />
vorbringen. Nicht die Witze seien zynisch, meint Peter Sloterdijk, nein, umgekehrt, sie machten sich über die «Kardinal-<br />
Zynismen» wie etwa Militär, Politik, Sexualität oder Religion lustig und hätten darin einen moralischen Sinn. Die Witze<br />
funktionierten im kollektiven Bewusstsein wie ein <strong>Dr</strong>ainagesystem, als «ein allgemein akzeptierter regulativer Mini-<br />
Amoralismus, der klug davon ausgeht, dass es gesund ist, sich über das lustig zu machen, was über unsere<br />
Empörungskapazitäten hinausgeht». Amoralismus im Dienste einer besseren Moral; Lachen, wo man sich nicht mehr<br />
empören kann - das scheint mir eine richtige Deutung mancher zynischen Witze.<br />
Ebenfalls aufbegehrend gegen die überkommene Vorschrift, schreibt Theodor Reik in seinem Aufsatz über den zynischen<br />
Witz: «Moral ist der Stock, der uns zum Krüppel schlägt. Dann dient er uns als Krücke»<br />
Schon Horaz sagte: «Warum lachst du? Ändere die Namen, und schon handelt die Geschichte von dir.» In diesem Sinne<br />
müsste ich wohl einsehen, dass ich mich in der gekränkten Geliebten wiederfinde und nur lache, um nicht mit getroffen zu<br />
sein. «Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter „ schreibt Goethe, „als durch das was sie lächerlich<br />
finden“.<br />
250: Die Pfeile des Witzes werden von unten nach obengeschossen (Politik-Witz). Er ändert aber nichts, der Untertan macht<br />
sich lustig, ohne deshalb den Gehorsam zu verweigern. Das Lachen über den Flüsterwitz erleichtert die Anpassung (H.V. Das<br />
scheint mir zu negativ, warum fürchten denn Diktaturen und Absolut-Herrscher Witze, Bereiten solche Witze nicht auch den<br />
Wiederstand vor und zeigen besonders deutlich die Schwächen auf!?)<br />
Aphorismen, Geflügelte Worte, Limericks, Schüttelreime - sie alle haben meist überlieferte Urheber, der Witz hat nie einen<br />
Autor. Der Witz entsteht offensichtlich in der Kommunikation.<br />
253: Friedrich Nietzsche bedauert n „Ecco homo“, dass folgender Aphorismus nicht von ihm, sondern von Stendhal stammt:<br />
„Die einzige Entschuldigung Gottes ist, dass er nicht existiert.“<br />
254. Für das Komische ist die Lage verzweifelt, aber nicht Ernst.<br />
256: <strong>Humor</strong> hat den Konflikt überwunden. Trennung <strong>Humor</strong> und Komisches, Witz. Im Englischen hat man die nicht, da ist<br />
alles <strong>Humor</strong>; das setzt sich bei uns auch weitgehend durch: <strong>Humor</strong> als Oberbegriff alles Komischen. Nach alter deutscher<br />
Tradition aber wird unterschieden zwischen Witz und <strong>Humor</strong>, wobei es auch Übergangsformen gibt: den humorvollen Witz<br />
und den witzigen <strong>Humor</strong>.<br />
Man kann Witz und <strong>Humor</strong> auf wenigstens dreierlei Weise unterscheiden. Die erste Entgegensetzung lautet: «Verstand»<br />
gegen «Gemüt», kalt gegen warm oder «Geist» gegen «Herz».<br />
1.Wenngleich der <strong>Humor</strong> bei dieser Unterscheidung weit höher rangiert, wird doch eingeräumt, dass es Übergangsformen<br />
gibt.<br />
2: Witz und <strong>Humor</strong> zu unterscheiden, läuft etwa so: Der Witzige lacht über andere, der <strong>Humor</strong>volle über sich selbst. Das ist<br />
Ja auch nicht ganz falsch. «Das Höchste und Tiefste, was der Mensch an sich vollbringen kann, ist es, sich selbst lächerlich<br />
zu erscheinen, die komische Vorstellung der anderen heiter über sich ergehen zu lassen». <strong>Humor</strong> hat nur derjenige, der seinen<br />
Witz auch gegen sich selbst richtet. Ähnlich sagt es Peter Sloterdijk: Wo der Witz «sich über sich selbst beugt», entsteht<br />
<strong>Humor</strong>.<br />
3. Witz und <strong>Humor</strong> zu scheiden, liegt mir selbst am nächsten: Witz ist Kampf und Bewältigung, <strong>Humor</strong> ist ein Zeichen von<br />
Abgeklärtheit und souveräner Freiheit. Es war ja bisher oft genug davon die Rede, dass der Witz ein dramatischer Versuch<br />
ist, mit den eigenen Hemmungen (der Zensur) oder mit den eigenen Ängsten fertig zu werden. Der <strong>Humor</strong> spiegelt den<br />
Zustand danach, wenn man seinen Frieden mit sich und anderen gemacht hat.<br />
Theodor Reik den Witz eine Waffe genannt und den <strong>Humor</strong> einen Trost.. Und Ernst Kris sagt vom <strong>Humor</strong>, dass er im<br />
Gegensatz zum Witz «postambivalent» sei. Hier darf man auch noch eine Definition des <strong>Humor</strong>s von Albert Camus nennen:<br />
«Die Einbildung tröstet die Menschen über das, was sie nicht sein können, und der <strong>Humor</strong> tröstet sie über das, was sie<br />
wirklich sind. »<br />
Doch der <strong>Humor</strong> ist manchmal, weil er so altersweise und abgeklärt ist, etwas betulich. Ihm fehlen Biss und Bosheit. Er ist<br />
keine Hilfe in unserem inneren Befreiungskampf, wohl aber ein großes Vorbild für das, was wir gern auch einmal sein<br />
wollen. «Er scheint», schreibt Ernst Kris, «die späteste Form der Komik zu sein, die der Mensch auf seinem Lebenslauf<br />
auszubilden vermag» (ebd., 465). Der humorvolle Mensch ist nicht nur mit sich selbst im reinen, er kann auch anderen milde<br />
und nachsichtig begegnen.<br />
258: Wie Sie merken, habe ich nicht die Absicht, den <strong>Humor</strong>, wie es deutscher Tradition entspricht, weit über den Witz zu<br />
stellen; er steht nicht über ihm, er kommt nach ihm - zeitlich gesehen. Allzu oft bietet er einen faulen Frieden und ist, wie<br />
Sloterdjik schreibt, ein <strong>Humor</strong>, der «kampflos» geworden ist . Er nimmt selbst das Böse «mit kühler Gelassenheit zur<br />
Kenntnis», meint Bergson (87), und das ist nicht immer am Platz.<br />
259: Frauen hätten größere Aussichten, die Reifestufe <strong>Humor</strong> zu erreichen, schrieb Martin Grotjahn, obwohl ihre Rolle<br />
schwieriger sei, gelangten sie öfter als die Männer ans Ziel.<br />
Als Freud 1938 aus Wien emigrieren wollte, wurde er von der Gestapo gezwungen, eine Bestätigung zu unterschreiben, dass<br />
er «von den deutschen Behörden und im besonderen von der Gestapo mit der meinem wissenschaftlichen Ruf gebührenden<br />
Achtung und Rücksicht behandelt wurde». Freud erbat nur, noch einen Zusatz beifügen zu dürfen, und schrieb: «Ich kann<br />
die Gestapo jedermann aufs beste empfehlen» (111, 268). Eine ironische Bemerkung, die genau seiner Deutung des <strong>Humor</strong>s<br />
entsprach: «Ich bin zu groß(artig), als dass diese Anlässe mich peinlich berühren sollten. »<br />
Mir scheint, das habe ich schon angedeutet, Freuds Bestimmung des <strong>Humor</strong>s ein wenig nach Galgenhumor oder überlegener<br />
Ironie zu schmecken. Noch lieber ist mir eine Definition des <strong>Humor</strong>s, die betont, dass sich der Mensch im <strong>Humor</strong> selbst nicht<br />
wichtig nimmt. Also nicht nur (wie bei Freud) «Ich bin zu groß(artig)», sondern zugleich «Ich bin nicht so wichtig» - ein<br />
paradoxes Zugleich.<br />
260: Galgenhumor, die Sublimierung des Lachens: Der Galgenhumor ist nur ein Sonderfall des <strong>Humor</strong>s; genauer, um mit<br />
Freud zu sprechen, «der gröbste Fall des <strong>Humor</strong>s». Und doch ist er auch von ihm unterschieden, denn hier lacht der<br />
humorvolle Mensch nicht über seine eigene Unzulänglichkeit, sondern er lacht gleichsam sein Schicksal aus. Er erhebt sich<br />
nicht über sich selbst, sondern über die drohenden Gefahren. Weil hier also von aktueller Gefahr die Rede ist, hat der<br />
Galgenhumor sehr viel mehr als der <strong>Humor</strong> Ähnlichkeit mit dem Witz; denn wie beim Witz wird im Hörer Angst geweckt<br />
und überwunden.<br />
<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 8/68