Humor - Prof. Dr. Horst Völz
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erster die „humorvolle Beziehung“. Es stellte sich heraus, dass diese Art der sozialen Bindung in allen Gesellschaften weit<br />
verbreitet ist. Radcliffe-Brown (1952 S. 90) definierte sie als eine Beziehung zwischen zwei Personen, von denen die eine<br />
traditionell berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet sei, die andere zu necken oder zu verspotten. Diese jedoch<br />
dürfe nichts übel nehmen. Hierbei gibt es zwei Varianten:<br />
Erstens die symmetrische, bei der beide Beteiligten einander aufziehen und veralbern, und zweitens die asymmetrische, bei<br />
der einer der Beteiligten den anderen neckt, und dieser es entweder „mit <strong>Humor</strong> nimmt“ und schweigt oder nur wenig Kontra<br />
gibt. Die Neckerei kann auf der verbalen Ebene bleiben, aber auch zu Balgereien führen oder obszöne Elemente beinhalten.<br />
Es handelt sich um eine eigentümliche Mischung aus Freundschaft und Feindschaft, die Radcliffe-Brown als „erlaubte<br />
Respektlosigkeit“ bezeichnet. Dieses Gebaren, so Levine (1961), sei so wichtig, da eine soziale Ordnung nur weiterbestehen<br />
könne, wenn bestimmten Personen, dingen, Gedanken und Symbolen der gebührende Respekt entgegengebracht werde (S.<br />
91).<br />
Solche von Spott und Witz gekennzeichneten Interaktionen erfüllen bei der Definition und Festigung verwandtschaftlicher<br />
Beziehungen eine maßgebliche Funktion. Außerdem verschaffen sie der Gesellschaft die Möglichkeit, sexuelle und<br />
aggressive Triebe indirekt abzureagieren, deren direkte Entladung gegen die kultureigenen Regeln verstoßen würde. Bei<br />
vielen Indianerstämmen ist der rituelle Narr ein hochangesehenes Stammesmitglied, dessen Possen Bestandteil der<br />
Stammeszeremonien sind und der alle sozialen Tabus brechen darf. Das Publikum erfährt dabei eine stellvertretende<br />
Entlastung.<br />
Die ethnischen, kulturellen oder nationalen Eigenheiten eines sozialen Verbandes spiegeln sich auch in seinen Witzen wider;<br />
so gibt es beispielsweise typisch irische, schottische, deutsche und englische Witze, in denen sich inhaltlich oder<br />
formell/stilistisch die Charakterzüge, Stereotypen und Konflikte der jeweiligen Volksgruppen manifestieren. Ziv (1988) hält<br />
fest, dass die Funktionen des <strong>Humor</strong>s zwar universell seien, es jedoch stilistische Unterschiede zwischen den verschiedenen<br />
Nationen gebe. Gerade den <strong>Humor</strong> betreffend zeigten sich die größten kulturellen Diskrepanzen, da dessen Inhalt und<br />
Kontext stark von der Entwicklungsgeschichte und dem kulturellen Hintergrund der jeweiligen Gruppe beeinflusst sei.<br />
Während der irische <strong>Humor</strong> oft mit dem Trinken zu tun habe, komme dieses Thema in israelischen Witzen praktisch nicht<br />
vor. Sexuell unterlegter, aggressiver <strong>Humor</strong> dominiere den amerikanischen Witz, während dieser bei weniger kämpferischen<br />
Nationen, z. B. in Japan oder Belgien, sehr selten auftrete. Der französische <strong>Humor</strong> sei häufig sexuell angehaucht, der<br />
britische eher intellektuell. Für „Pioniergesellschaften“ wie die USA, Australien und Israel seien die für „altehrwürdige“<br />
Nationen eher ungewöhnlichen Räuberpistolen und Obertreibungen typisch (S. xi).<br />
Mikes (197 1) vertritt die Meinung, überall in der Welt lache man generell über dieselben Dinge, es gebe jedoch einige<br />
Witze, die den Nationalcharakter widerspiegelten. Der kleine Gauner oder Schwindler werde in englischen Witzen stets als<br />
fair dargestellt, während er im jüdischen Witz clever sei. In der deutschen Version des Witzes wiederum werde das Opfer als<br />
dumm charakterisiert. Typisch britisch sei das Understatement, typisch amerikanisch die Obertreibung und die Frotzelei.<br />
Engländer und Juden hätten die Vorliebe für Selbstironie und -kritik gemeinsam.<br />
114: Die Juden, so argumentiert Mikes, seien auf ihre Witze angewiesen gewesen. Nur durch <strong>Humor</strong> hätten sie es geschafft,<br />
die Jahrtausende währende Verfolgung zu überleben, sich ihre Selbstachtung zu bewahren und ihre Peiniger auszulachen. Die<br />
vielen Witze über den Antisemitismus und die überlegene Schlauheit der Juden stellten einen Präventionsmechanismus dar,<br />
der potentielle Angriffe im vorhinein abwehre, Stolz mit Bescheidenheit kombiniere und versuche, Sympathie zu wecken.<br />
Unter Juden wirke dieser <strong>Humor</strong> solidarisierend. Erzähle man einem Antisemiten einen Judenwitz und dieser lache darüber,<br />
so sei er bereits etwas weniger antisemitisch. Infolge der veränderten Lebenssituation nach der Übersiedlung nach Israel, so<br />
Mikes, habe sich der typisch jüdische <strong>Humor</strong> jedoch verloren, da die israelischen Juden kein unterdrücktes Volk mehr seien.<br />
Zwar gebe es in Israel noch immer <strong>Humor</strong>, dieser habe sich jedoch erheblich gewandelt. Das zeigt auch der folgende Witz (S.<br />
115):<br />
Ein israelisches Ehepaar reist mit seinem 11 jährigen Sohn durch Europa. In Italien, Deutschland, Holland,<br />
Schweden usw. fragt das Kind: „Sind diese Leute Juden?“ Jedesmal erhält es die Antwort: „Nein, das sind<br />
Christen.“ Voller Mitgefühl sagt der Junge schließlich: „Die armen Christen! Es muss furchtbar für sie sein, so<br />
über die ganze Welt verstreut zu leben!“<br />
Ziv (1988) schreibt, „israelischer“ <strong>Humor</strong> sei zwar aus der reichen Tradition des jüdischen <strong>Humor</strong>s hervorgegangen, der<br />
„große Ernst“ der Aufgabe, eine neue Heimat aufzubauen und „moderne Juden“ zu werden, habe aber nicht mehr viel Raum<br />
dafür gelassen, sich selbst auf den Arm zu nehmen (S. 122). An die Stelle der liebevollen und liebenswürdigen Selbstironie<br />
sei aggressiver und sozialkritischer <strong>Humor</strong> getreten.<br />
Auch andere Minderheiten haben <strong>Humor</strong> in ähnlicher Weise genutzt. Viele Komiker und <strong>Humor</strong>wissenschaftler behaupten,<br />
<strong>Humor</strong> habe mehr zur Verbesserung der Situation von Minderheiten und zum Abbau rassischer Vorurteile beigetragen als<br />
jeder andere Faktor. Schwarze Komiker halten Witz und <strong>Humor</strong> für bessere und wirksamere Mittel gegen Rassenkonflikte als<br />
Wut.<br />
Der Zusammenhang zwischen <strong>Humor</strong> und rassischen Vorurteilen gegenüber kulturellen Minderheiten war immer wieder<br />
Gegenstand der Forschung. Bereits Myrdal (1944) beschrieb im Hinblick auf die Beziehung zwischen unterschiedlichen<br />
Rassen eine Reihe sozialer Funktionen, die der <strong>Humor</strong> für die Eigengruppe besitzt. Er diene als Fluchtweg, als<br />
Kompensation, als Absolution in Form eines verständnisvollen Lachens und als indirekte Tolerierung all dessen, was nicht<br />
explizit akzeptiert werden könne (S. 38/39).<br />
Laut Burma (1946) spielte <strong>Humor</strong> in der Geschichte des Rassenkonflikts eine entscheidende Rolle. Er eigne sich besonders<br />
gut als Streitbehelf, da er nicht an bestimmte Themenbereiche gebunden sei und von Natur aus mehr oder weniger gut<br />
getarnte Bosheit enthalte. Burma diskutiert in erster Linie den zwischen Weißen und Schwarzen auftretenden <strong>Humor</strong>, bei<br />
dem stets der jeweils andere Zielscheibe des Spottes ist. Die Tatsache, dass auch Schwarze die Weißen verhöhnt haben, mag<br />
etwas überraschend erscheinen, aber gerade die Schwarzen befanden sich über Jahrzehnte hinweg in einer Position, die<br />
verdeckte Kampf- und Abwehrstrategien verlangte.<br />
137: <strong>Dr</strong>ei Stufen der <strong>Humor</strong>entwicklung: 1. Spiel, 2. „Ulkerei“, wenn das Sprachvermögen einsetzt, und 3. die Verwendung<br />
der „Scherzfassade“, wenn mit 6 - 7 Jahren die Abstraktionsfähigkeit heranreift.<br />
produzieren Kinder Nonsens und Absurditäten<br />
<strong>Humor</strong>.doc angelegt 21.2.02 aktuell 04.08.02 Seite 65/68