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JOHANNES: gäbe es keine realität, es gäbe nichts simbolisches. ein simbol ist umso bedeutungsvoller<br />
und entsprechend ansprechender, auf je realistischere realität es sichbezieht.<br />
REKTOR: hörsich das einer an - des apostolischen Johannes totenpredigt! (siehtsichum) na ja, hir<br />
ist kein publikum. zum glück. fändet Du Dein auditorium maximum auf dem friedhof, wie würdest<br />
Du jetzt ausgezischt.<br />
JOHANNES: würden sie es wagen, wo sie gefahrliefen, <strong>Stalin</strong> zu kränken?<br />
REKTOR: würde <strong>Stalin</strong> sie erlauben, diese Deine predigt?<br />
JOHANNES: allerdings, daran hängt's. liesse er mich gewähren<br />
REKTOR: himmel, arsch und zwirn - er hätte sich alsdann für Dich als für sein eigentlich wesentliches<br />
selbst entschieden.<br />
(die bühnenszene blendet erneut ab. halbdunkel, das verhalten sich schliessliche wiederlichtet.)<br />
IV. AKT; 14. BILD; 10. szene<br />
REKTOR: wie die zeit vergeht - als läge nichts dazwischen, als wär alles nur wie ein einziger augenblick.<br />
JOHANNES: von einem augenblick zum anderen vergeht die zeit, weil's blitzschnell der ewigkeit<br />
entgegengeht bzw. entgegenfährt bzw. entgegenfliegt, je nach zeitgemähsem technikstand.<br />
REKTOR: na ja, wie oft ist nach kurzem zeitlichen abstand bereits gras übers grab grab gewachsen.<br />
anders allerdings bei <strong>Stalin</strong>. da, schau, da kommt er wieder zum friedhofsbesuch.<br />
JOHANNES: unverkennbar das schwarze mächtige automobil, das gemächlich den weg zwischen<br />
den gräbern entlangfährt. da, <strong>Stalin</strong> steigt aus<br />
REKTOR: die wachen sind auf zack, forschen nach, ob sich auch kein attentäter zwischen den<br />
umstehenden grabsteinen versteckthält. hahaha, wer den friedhof besucht, sagt damit noch lange<br />
nicht, er möchte sich ebenfalls gerne begrabenlassen.<br />
JOHANNES: <strong>Stalin</strong> vertieftsich einmal mehr in das marmone haupt, das die gesichtszüge der verstorbenen<br />
so getreulich wiedergibt, unauslöschliche idealität unseres ganz persönlichen wesens<br />
widerspiegelt.<br />
REKTOR: wie oft haben wir das nun schon miterlebt: sie bringen ihm einen stuhl. <strong>Stalin</strong> setztsichnieder<br />
zur totenwache. sogar um mitternacht nimmt er sich zeit, solcher zwiesprache mit der<br />
verstorbenen raumzugeben. na ja, vor spuk hat er jedenfalls keine bange.<br />
JOHANNES: lt. volksmund zieht es den verbrecher immer wieder zum tatort zurück - bisweilen<br />
sogar als spukungeisterei vom jenseits her.<br />
REKTOR: das sagst auch Du, so unaufgeklärtes zeugs?<br />
JOHANNES: sags auch noch: hat der zögling aus klosterschule und priesterseminar auch eine<br />
zeitlang das beten verlernt - das gelernte sitzt dennoch.<br />
REKTOR: wenn auch hoffentlich anders als gelernt.<br />
JOHANNES: das eben steht jetzt an zur entscheidung.<br />
REKTOR: da - hör! es ist, als könnten wir mitanhören, was genosse <strong>Stalin</strong> mit sich selbst bespricht.