DIE GOTTESFRAGE HEUTE - von Prof. Dr. Joseph Schumacher
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Die Tendenz, die natürliche Gotteserkenntnis abzuwerten, erklärt sich einmal aus einem latenten<br />
Agnostizismus, zum anderen aus dem ökumenischen Bestreben, die Kluft zwischen den Konfessionen,<br />
die gerade an diesem Punkt sehr deutlich wird, zu überwinden. Die Gefahr, die hier<br />
jedoch permanent im Hintergrund lauert, ist jene des Fideismus, der Abwertung oder Herabsetzung<br />
der menschlichen Vernunft.<br />
Es gibt heute - in verschiedenen Schattierungen - auch in der katholischen Theologie einen<br />
solchen Trend zum Fideismus, große Skepsis gegenüber der natürlichen Gotteserkenntnis und<br />
gegenüber dem Weg zum Gott der Offenbarung über den Gott der Philosophen. Man spielt dann<br />
den trinitarischen Gott der Offenbarung aus gegen den monotheistischen Gott der Philosophen<br />
und überakzentuiert dabei gewissermassen das Dogma vom dreifaltigen Gott.<br />
Auch Hans Urs <strong>von</strong> Balthasar (+ 1988) Abschnittswechsel polemisiert (Fortlaufend) gegen den Weg vom Gott der Philosophen<br />
zum Gott der Offenbarung, wenn er in seinem Buch „Schleifung der Bastionen“ schreibt: „Wie<br />
lebendig könnte die christliche Verkündigung in der Schule, <strong>von</strong> der Kanzel, auf den Kathedern<br />
sein, wenn alle theologischen Traktate trinitarisch durchformt wären“ 88 . Von daher hält er die<br />
klassische Zweiteilung der Gotteslehre in der Dogmatik in einen Traktat „Über den einen Gott“<br />
und einen zweiten „Über den dreifaltigen Gott“ für obsolet. Er meint, hier werde Untrennbares<br />
auseinandergerissen und es greife so ein unbiblischer Formalismus Platz, der das Erbe der<br />
Neuscholastik sei.<br />
Diese Zweiteilung ist jedoch mitnichten das Erbe der Neuscholastik, sondern der Überlieferung<br />
der Kirche. Die Trennung der natürlichen Gotteslehre <strong>von</strong> der übernatürlichen ist <strong>von</strong> der Sache<br />
her nicht nur berechtigt, sondern auch geboten, denn es ist der Gott der Philosophen, der sich in<br />
der Offenbarung als der trinitarische Gott mitgeteilt hat. Auch in der Heilsgeschichte führt der<br />
Weg zum dreifaltigen Gott über den einen Gott. Im Alten Testament ist noch keine Rede vom<br />
trinitarischen Gott. Hier gibt es nur den unanfechtbaren Monotheismus, den einen Gott. Erst im<br />
Neuen Testament erfolgt die trinitarische Entfaltung des alttestamentlichen Monotheismus.<br />
88 Hans Urs <strong>von</strong> Balthasar, Schleifung der Bastionen. Von der Kirche dieser Zeit, Einsiedeln 1954, 18.