DIE GOTTESFRAGE HEUTE - von Prof. Dr. Joseph Schumacher
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keinen Ausweis für die Wahrheit des ihn anredenden Gottes verlangen kann“ 100 . Bultmann erklärt<br />
dann, die Aussage, dass Gott existiere, sei unbegründet und könne nicht begründet werden,<br />
im Übrigen gründe der Glaube nicht in der Vernunft, sondern im Glauben. Für ihn gründet der<br />
Glaube an die Offenbarung bzw. an den sich offenbarenden Gott nicht im Wissen um den existierenden<br />
Gott, sondern im Glauben an seine Existenz. Demgegenüber sagt die zweitausendjährige<br />
Theologie und im Grunde genommen auch die zweieinhalbtausendjährige Philosophie: Der<br />
Glaube gründet in der Erkenntnis. Wir sagen also: Der Glaube gründet in der Erkenntnis, Bultmann<br />
sagt hingegen und im Grunde die ganze reformatorische Christenheit, mehr oder weniger<br />
jedenfalls: Der Glaube gründet im Glauben.<br />
In der Dialektischen Theologie besteht man darauf, dass der Glaube im Glauben gründet, nicht in<br />
der Vernunft oder in der Erkenntnis, sc. der natürlichen Erkenntnis, wie wir es ausdrücken würden.<br />
Die Erkenntnis, in der der Glaube gründet, ist die <strong>von</strong> der Existenz Gottes und <strong>von</strong> der<br />
Glaubwürdigkeit des Anspruchs der Heiligen Schrift, Gottes Wort zu sein, bzw. die <strong>von</strong> der<br />
Glaubwürdigkeit der Kirche, die legitime Interpretin der göttlichen Offenbarung zu sein.<br />
Es ist die erklärte Absicht der Dialektischen Theologie, in Absetzung <strong>von</strong> der liberalen protestantischen<br />
Theologie des 19. Jahrhunderts die eigentlichen Anliegen der Reformation wieder<br />
deutlich ins Licht zu rücken.<br />
Die Skepsis der Reformatoren gegenüber der Philosophie ist ein Grunddatum des reformatorischen<br />
Glaubens und der reformatorischen Theologie. Sie steht an der Wiege des reformatorischen<br />
Christentums. Martin Luther (+ 1546) spricht in diesem Zusammenhang <strong>von</strong> der „Hure<br />
Vernunft“.<br />
In diesem Kontext wird auch das Faktum verständlich, dass es bei den Protestanten keine Fundamentaltheologie<br />
gibt im Reigen der theologischen Disziplinen, also keine rationale Glaubensbegründung,<br />
jedenfalls bisher nicht. Erst in der Gegenwart bemüht man sich darum, unter katholischem<br />
Einfluss, nicht zuletzt auch im Zuge einer Wiederentdeckung der natürlichen Theologie,<br />
100 Rudolf Bultmann, Kerygma und Mythos II, Hrsg. v. Hans - Werner Bartsch, Hamburg 3 1954, 207.