DIE GOTTESFRAGE HEUTE - von Prof. Dr. Joseph Schumacher
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Sakramente, werde ich dann, wenn ich nichts mehr erfahre - in innerer Trockenheit, in nüchternen<br />
Phasen des Lebens - die Glaubensrealitäten als solche in Frage stellen, denn was ich erfahren<br />
kann, aber faktisch nicht erfahre, das kann auch nicht existent sein.<br />
Wenn in der zeitgenössischen katholischen Theologie die Gotteserfahrung und die Glaubenserfahrungen<br />
so sehr betont werden, führt das zu einer Relativierung und Naturalisierung des<br />
Christentums. Auch wenn das so nicht beabsichtigt ist, geschieht es doch faktisch. Dann wird<br />
aus der Theologie Anthropologie, dann wird aus der übernatürlichen Theologie natürliche Theologie.<br />
Es wird dann übersehen oder nicht genügend gewürdigt, dass die göttliche Offenbarung -<br />
um sie geht es ja im Christentum - die menschliche Erfahrung übersteigt, und zwar grundsätzlich.<br />
Denn in der Offenbarung geht es um unsichtbare Wirklichkeiten, um Wirklichkeiten, die gerade<br />
nicht der Erfahrung zugänglich sind, sondern nur im Glauben ergriffen werden können.<br />
Nicht zuletzt ist es die starke Betonung der Kategorie der Erfahrung, die starke Betonung der<br />
religiösen Erfahrung in der Theologie und in der Verkündigung, die dazu geführt hat, dass man<br />
heute in wachsendem Maß die Glaubensaussagen selektiert und die Sichtbarkeit oder auch die<br />
Verstehbarkeit und die Plausibilität zum Maßstab dessen macht, was man glaubt.<br />
Wo die Betonung der Kategorie der Abschnittswechsel Erfahrung im (Fortlaufend) Religiösen im Fall der konkreten Absenz<br />
dieser Erfahrung nicht zum Atheismus führt, da führt sie heute oft zum Okkultismus und zum<br />
New Age, zur Religion des Übersinnlichen. Über die Religion des Übersinnlichen habe ich im<br />
Jahre 1995 eine Monographie veröffentlicht, die ich Ihrer Lektüre angelegentlich empfehlen<br />
kann.<br />
Oft geschieht es heute, dass man die Erfahrung der Vernunft gegenüberstellt oder dass man<br />
unterscheidet zwischen der cartesianischen Vernunft, der Vernunft im engeren Sinne, und der<br />
Vernunft im weiteren Sinne, worunter man dann die Intuition versteht. So sehr es sinnvoll ist, die<br />
Vernunft als ratio und als Intuition zu verstehen (man könnte hier auch <strong>von</strong> der analytischen und<br />
<strong>von</strong> der synthetischen Vernunft sprechen), so missverständlich ist es, <strong>von</strong> Vernunft und Erfahrung<br />
zu sprechen. Es gibt die diskursive Vernunft und die Intuition. Das ist nicht zu leugnen.<br />
Aber die Intuition muss auf den Begriff gebracht werden, sie muss sich durch begrifflich klare