Das System der Besserungsarbeitslager in der UdSSR ... - gulag

Lagersystems: als sich die Lager im zweiten Quartal 1931 nicht arbeitsfähiger Gefangener
entledigen wollten, sollten 26.000 Personen wegen Invalidität entlassen werden, wobei die
Gesamtzahl der Inhaftierten zum 15. April 1931 234.600 Personen 40 betrug; 1931 starben 7.283
Gefangene (Jahresdurchschnitt 2,9%) 41 . Aus dem Gesagten folgt: der relativ geringe Einsatz von
Häftlingsarbeitskraft wurde in erster Linie von objektiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
und den Führungsqualitäten des Staatsapparats bestimmt 42 .
Was die Erschließung dünn besiedelter Regionen angeht (eine der Hauptaufgaben der Lager
gemäß dem Beschluss von 1929), ist offensichtlich: bereits seit 1930, nachdem die
Entkulakisierung und Verbannung großer Bevölkerungsteile in Sondersiedlungen einsetzte, kam
diese auch ohne die Einrichtung riesiger Lagerstrukturen aus 43 .
Aus dieser Bestandsaufnahme des Lagersystems in den ersten beiden Jahren seines Bestehens
wird ersichtlich, dass allein der Beschluss aus dem Jahre 1929 die Entwicklungsrichtung für das
Vollzugsystem in der UdSSR noch nicht endgültig festlegte. Damit die Lager wie auch immer
geartete Aufgaben von allgemeinem staatlichem Interesse erfüllen konnten, die über die reine
Abschreckungsfunktion hinausgingen 44 , war ein Geflecht von Zusatzbedingungen erforderlich,
das sich in den folgenden Jahren herausbildete. Mit gewissen Einschränkungen trifft das auf den
Zeitraum von 1931-1934 zu.
Die sich schnell ausbreitende Kommandowirtschaft und die damit einhergehende
Zentralversorgung der Produktion in Form der später allseits bekannten "Fonds" gewann Anfang
der dreißiger Jahre für die Volkswirtschaft im allgemeinen wie auch für die Lagerwirtschaft im
besonderen zunehmend an Bedeutung. Für die davon betroffenen Objekte und Organisationen
änderten sich die Prioritäten ihres wirtschaftlichen Handelns: an Stelle der Rentabilität – bzw. im
Falle der Vollzugsanstalten der wirtschaftlichen Selbstständigkeit – stand nun an erster Stelle die
Erfüllung der Planvorgaben unter Beachtung festgesetzter Fonds und begrenztem
Arbeitskräfteeinsatz, wobei die Zahl der Beschäftigten, nicht jedoch die Höhe der zu leistenden
40 Ebenda. L. 39, 40. Es sei angemerkt, dass den Lagern nur Personen von körperlich gesunder Konstitution
zugeführt werden sollten (GARF. F. 5446. Op. 1. D. 48. L. 210–212).
41 Ebenda. F. 9414. Op. 1. D. 2740. L. 1. Von den Gefangenen des Zentralasiatischen ITL starben jährlich 10,6% des
Jahresdurchschnitts (ebenda).
42 Objektiv betrachtet lag in dem unausweichlichen Wettbewerb zweier Vollzugssysteme der Vorteil eindeutig auf
Seiten der OGPU. So war der Bedarf an Arbeitskräften in den unbewohnten Regionen und in Zentralasien (wo die
Qualifikation und Arbeitskultur der Einheimischen nicht den staatlichen Anforderungen entsprach) ganz klar höher
als in den Zentralbezirken des Landes. Allein dieser Umstand sollte der OGPU erlauben, für die bereitgestellten
Arbeitskräfte eine Vergütung einzufordern, die über der durchschnittlichen Vergütung für Vollzugsanstalten unter
republikanischer Leitung lag. Der Vorteil der OGPU lag auch darin, dass sie einem Betrieb per Vertrag sofort
Arbeitskräfte in nahezu unbegrenzter Anzahl, überall und jederzeit zur Verfügung stellen konnte und somit dem
"Arbeitgeber" eine ganze Reihe von Organisations- und Wirtschaftsproblemen ersparte.
43 Das folgt z.B. aus der gängigen Praxis bei der Einrichtung von Sondersiedlungen für die Verbannten der Jahre
1930–1933 (siehe: Verordnungen des Rates der Volkskommissare 130ss vom 01.07.31, 174s vom 16.08.31 und
775/146s vom 20.04.33 sowie den Befehl 890/s der OGPU vom 14.09.32, der die "Vorübergehende Anordnung zu
den Siedlungskolonien der ITL der OGPU" einführte). Die Zahl der Sondersiedler (zum 01.01.32 betrug sie
1.317.022 Personen, siehe V. N. Zemskov: "Kulackaja ssylka" v 30-e gody ["Kulakenverbannung" in den 30-er
Jahren] In: Sociologičeskie issledovanija [Soziologische Forschungen]. 1991. Nr. 10. S. 3–21) überstieg die Zahl der
Häftlinge um ein Mehrfaches.
44 In dieser Funktion waren sie unverbindlich und die Regierung war sich dessen sehr wohl bewusst: als Zeiten der
Massenerschießungen gelten die Jahre der Kollektivierung, der Höhepunkt des Terrors (1937–1938) und die ersten
Kriegsjahre.
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