Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 15<br />
Muster; sie machten keinen Anspruch auf Wirklichkeit, wohl aber auf Geltung<br />
(vgl. Herbart: SW Bd. 2, S. 326 f.). Herkunft und epistemischer Status dieser<br />
idealen Verhältnisse wird von Herbart nicht restlos geklärt: Sind sie im<br />
ästhetischen Gegenstand (beispielsweise im musikalischen Kunstwerk) oder im<br />
Urteil des Wahrnehmenden verankert (vgl. dazu Stuckert 1999, S. 34 ff)?<br />
Jedenfalls geben sie der Phantasie Anlass zu einem vollendeten Vorstellen.<br />
Es gibt zu denken, dass trotz Herbarts Scharfsinn immer noch Ungelöstes und<br />
Unbegriffenes, vielleicht Unbegreifbares, in Bezug auf ein Problem, das zu<br />
lösen und eine Frage, die eine Antwort verlangte, zurückbliebt, die Herbart<br />
jedoch gegeben zu haben glaubte. Sehr früh schon, in den „Hauptpuncten der<br />
Metaphysik“, deutet Herbart eine sehr moderne Fragestellung in Bezug auf<br />
Kognition und Emotion, Begriffs- und Urteilsbildung an, indem er zu verstehen<br />
gibt, dass an der Bildung allgemeiner Begriffe „Zustände der Phantasie und der<br />
Begierde“ beteiligt wären, die miteinander verschmelzen und fährt fort, indem er<br />
die Frage nach der Begriffsbildung auf die Urteilsbildung erweitert: „Nicht<br />
anders das Geschmacksurtheil; – vielleicht die größte aller psychologischen<br />
Aufgaben“ (1808, 2. Bd., S. 213, Herv. von M. el-S.). Es ist leider Usus<br />
geworden, Herbart auf einen rein formalistischen, intellektuell übersteuerten<br />
Ästhetikbegriff festzulegen, der Emotionales angeblich gänzlich vernachlässige,<br />
was viel mehr auf Herbarts Schüler, insbesondere auf die Ästhetik von Robert<br />
Zimmermann, als auf Herbart selbst zutrifft.<br />
Was von Herbart seinerzeit als Geschmacks- oder Werturteil thematisiert<br />
wurde – und nach Herbart zu einem Hauptanliegen der deutschen Psychologie<br />
avancierte – betrifft im Wesentlichen nichts anderes als die derzeitige Suche<br />
nach einer, auch neurologisch interpretierbaren, Kognition und Emotion<br />
(Begehren mit Emotion von älteren Psychologen in einer Klasse zusammengefasst)<br />
verbindenden „Konvergenzzone“. Die wissenschaftliche Entschlüsselung<br />
dieses Problems wurde von dem Philosophen und Gehirnforscher Gerhard<br />
Roth in den 1990erjahren als „den größten Schritt zum Verständnis der Gehirns“<br />
darstellte (Roth 1996, S. 212).<br />
Das Rekurrieren auf ideale Verhältnisse als Kern des Ästhetischen und<br />
Ethischen (Letzteres von Herbart dem Ästhetischen subsumiert) hinterließ einen<br />
starken Nachhall selbst bei Philosophen, die ansonsten Herbart gegenüber eher<br />
eine Abwehrhaltung einnahmen, wie Hermann Lotze (vgl. dazu Nath 1892) und<br />
Franz Brentano (vgl. Brentano 1889/1969, S. 72, 83); das Postulat idealer Verhältnisse<br />
verschaffte aber auch dem Form- und Gestaltproblem eine, wenngleich<br />
umstrittene Grundposition (worauf im 2. <strong>Teil</strong> der historischen Reflexionen ausführlich<br />
zurückzukommen sein wird). Psychologisch werden die postulierten<br />
idealen Verhältnisse oder „Muster“ nach Herbart durch die menschliche Befähigung<br />
eines vollendeten Vorstellens konstituiert. Denselben Gedanken hatte aber<br />
bereits der ,Empirist„ David Hume geäußert im Hinblick auf die mathematischen<br />
Formen und die, die musikalische Harmonie erzeugenden konsonanten