Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 53<br />
,unmittelbar Gegebene„ bereits in ein wissenschaftlich zu Behandelndes<br />
transformiert und in der Regel reduziert.<br />
Auch in Bezug auf die Unhaltbarkeit eines unmittelbar Gegebenen als<br />
Grundlage der empirischen Psychologie wäre wiederum auf Paul Ferdinand<br />
Linke zu verweisen, der in seiner Arbeit, „Die phänomenale Sphäre und das<br />
reale Bewußtsein“ offenbar gegen Wilhelm Wundt gerichtet geltend macht, dass<br />
das unmittelbar Gegebene, das Erlebnis, gerade nicht Gegenstand einer<br />
empirischen Psychologie sein könnte, weil für es keine Stelle im objektiven<br />
Zeitfluss auszumachen und es infolgedessen nicht zum Wirklichen zu rechnen<br />
wäre (vgl. Linke 1912, S. 5 f.).<br />
9. Fazit<br />
Folgendes sollte abschließend zu denken geben: Eine ernst zu nehmende<br />
erkenntnistheoretische Reflexion der zahlreichen und vielschichtigen Versionen<br />
der Gestalt- und Ganzheitspsychologie mit dem Ziel, einen, der menschlichen<br />
Realität näherstehenden empirischen Begriff des Psychischen nachzuweisen,<br />
scheint in erster Linie mit dem Anschauungsproblems zu konfrontieren. Nach<br />
Ursula Neemann ist mit seiner Klärung „die Frage nach der Wissenschaftlichkeit<br />
der Philosophie überhaupt gestellt, ob eine philosophische Entscheidung [in<br />
Fragen der Anschauung] auf wissenschaftlicher Basis überhaupt möglich sei<br />
oder einer religiösen Entscheidung gleichkomme“ (1972, S. 13). Eine letztlich<br />
„religiöse“ Unterscheidung unterstellt Neemann Husserls Plädoyer für<br />
Wesenschau. Neemann hat wiederholt betont, dass dieses Grundproblem von der<br />
Psychologie jedenfalls nicht gelöst oder auch nur in Angriff genommen werden<br />
könnte, weil diese sich nicht einmal intradisziplinär über allgemein verwendbare<br />
Termini wie ,Wahrnehmung„ oder ,Anschauung„, geschweige denn über<br />
,Begriff„ oder ,Denken„ Klarheit verschafft hätte. Nun, <strong>Stumpf</strong>, der Neemann<br />
offenbar völlig unbekannt war, hat ja gerade und mit nahezu pedantischer<br />
Akribie auf diesem in der Tat wichtigen Grundlagenfeld exzessiv gearbeitet,<br />
während die reduktionistischen und physikalistischen Tendenzen der neueren<br />
Gestaltpsychologie sich über Erkenntnistheorie und Funktionspsychologie<br />
hinwegsetzten; es scheint Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg gebraucht zu<br />
haben, bis ein diesbezügliches Manko überhaupt wieder Erwähnung fand.<br />
In historischer Perspektive ist einigermaßen verwunderlich, dass ausgerechnet<br />
Karl Raimund Popper in seiner letzten, mit dem Neurologen John Eccles<br />
verfassten Arbeit „Das Ich und sein Gehirn“ seine frühere Wertschätzung der<br />
Köhlerschen parallelistischen und physikalistischen Auffassung der Gestalt<br />
revidierte und sich nun veranlasst sah, Köhlers ehemaligen Lehrer <strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong><br />
zur Sprache zu bringen und ihm Recht zu geben, ja ihn sogar als seinen<br />
„Vorläufer“ zu nominieren (1981, S. 46, 228, 229). Popper kündigt in dieser<br />
Arbeit auch seine jahrzehntelang vertretene antipsychologische Einstellung auf<br />
und denkt noch einmal prinzipiell über das Verhältnis des Psychischen zum